Die Nerven liegen blank

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Angesichts der Reihe an islamistischen Terroranschlägen setzt langsam da und dort ein Umdenken ein. Im öffentlichen Diskurs ist dieses freilich noch kaum angekommen.

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Angesichts der Reihe an islamistischen Terroranschlägen setzt langsam da und dort ein Umdenken ein. Im öffentlichen Diskurs ist dieses freilich noch kaum angekommen.

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Diesmal also keine westliche Metropole: Die jüngste in einer beinahe schon unübersehbar gewordenen Kette an Schreckensmeldungen erreicht uns aus Teheran. Im Parlament sowie beim Chomeini-Mausoleum haben sich Attentäter in die Luft gesprengt bzw. in die Menge gefeuert. Tote, Verletzte, Chaos. Wie immer. Wie in London, Manchester, Paris, Berlin, Nizza Und wie immer zunächst sinngemäß die Feststellung, über Motive und Identität der Attentäter wisse man noch nichts. Obwohl es natürlich alle wissen, obwohl es letztlich immer dasselbe ist: Der islamistische Terror hat wieder zugeschlagen, seine schreckliche Fratze gezeigt.

Es ist dies die zur Zeit mit Abstand größte Bedrohung der freien Welt, der westlichen Zivilisation. Und man sollte die Dinge auch beim Namen nennen und sich nicht - im Zeichen falsch verstandener Toleranz oder Dialogfähigkeit -in verallgemeinernde Formulierungen flüchten: "Es waren keine christlichen Pfadfinder, die ein Blutbad in einem Konzerthaus anrichteten, keine jüdischen Talmud-Studenten, die mit einem Laster einen Weihnachtsmarkt plattmachten, und keine Buddhisten, die ihre Gefangenen enthaupteten", schrieb der deutsch-polnisch-jüdische Publizist Henryk M. Broder kürzlich mit Recht.

Politisch korrekte hilflosigkeit

Unsere einschlägigen Debatten sind indes noch immer von einer irritierenden Mischung aus politischer Korrektheit und Hilflosigkeit gekennzeichnet. Da wird stets pflichtschuldig darauf hingewiesen, dass "das alles mit dem Islam nichts zu tun" habe. Da richtet sich das Augenmerk der Medien mit Vorliebe auf das (vermutete, teils wohl auch tatsächliche) Versagen der Behörden. Da verbeißen wir uns mit Verve in möglicherweise nicht ganz stromlinienförmige Reaktionen von Politikern, die unter dem Eindruck der Ereignisse ohne Rücksichtnahme Klartext reden, wie zuletzt die britische Premierministerin Theresa May. "May will Menschenrechte begrenzen" lief da etwa auf allen Plattformen und Kanälen des ORF über einen Tag lang -als würden im Vereinigten Königreich demnächst Rechtsstaat und Demokratie außer Kraft gesetzt und Menschen wie im Mittelalter für vogelfrei erklärt (und die Ö1-Reporterin im Morgenjournal II entblödete sich nicht zu sagen, May "zielt auf die Ängste der Menschen"). Und zu all diesen Vernebelungs-und Relativierungsversuchen kommt noch eine Art trotziges Pfeifen im Wald, welches sich in der auch schon zum Standardrepertoire der Postterrorreaktionen gehörenden Phrase ausdrückt, wir müssten jetzt erst recht an unserem Lebensmodell festhalten.

Was ist "unsere Art zu leben"?

An diesem Lebensmodell festzuhalten, hieße freilich, es beherzt und entschlossen zu verteidigen. Mit gelangweilter Saturiertheit kann und wird das nicht gelingen. Aber vielleicht ist ebendiese saturierte Langeweile ja längst unser eigentliches Lebensmodell geworden. Dann aber würde es sich ohnedies über kurz oder lang von selbst erledigen. Wir stehen also einmal mehr vor der Frage, was wir überhaupt meinen, wenn wir von "unserer Art zu leben" sprechen. Diesen Diskurs zu führen, ist freilich kaum wer bereit und/oder imstande. Dies gilt für Führungspersönlichkeiten in der Politik gleichermaßen wie für jene traditioneller Einrichtungen wie etwa der christlichen Kirchen.

Die Nerven liegen blank -wie man beispielsweise an der Massenpanik beim Public Viewing in Turin sehen konnte. Die Bilder, die von dort kursierten, sind von hoher Symbolkraft: Sie zeigen die Verletzlichkeit einer verängstigten, überreizten und verweichlichten Gesellschaft. Da und dort gibt es Anzeichen für ein Umdenken im Umgang mit den großen Herausforderungen unserer Zeit: der Massenmigration und der Konfrontation mit der islamischen Welt, die eng miteinander verbunden sind. Im Mainstream des öffentlichen Diskurses ist dieses Umdenken freilich noch kaum angekommen.

rudolf.mitloehner@furche.at

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