Die öffentliche Religion

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Wien und Straßburg haben gesprochen: Zwei Gerichtsurteile über Kreuze in öffentlichen Kindergärten und Schulen bedeuten sicher nicht Schluss der Debatte. Die Auseinandersetzung über Religion im säkularen Staat geht weiter.

Als "Frühlingszeichen“ qualifizierte Christoph Schönborn letzten Woche die beiden "Kreuz-Urteile“ in Wien und Straßburg. Der Kardinal bekräftigte auch zum Abschluss der Frühjahrssession der Österreichischen Bischofskonferenz seine und der anderen Bischöfe Position, dass das Kreuz auch ein Zeichen der Identität und der Toleranz in Europa darstelle.

Die Urteile führten zu einer hörbaren Erleichterung im christlich respektive katholisch geprägten Segment Europas, und auch "säkulare“ Regierungen wie jene Italiens durften sich bestätigt fühlen. Das eine der beiden Urteile sprach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, der damit eine gegenteilige Entscheidung aus dem Jahr 2009 revidierte: Eine in Italien lebende finnische Atheistin hatte das Abhängen der Kreuze in der Schule ihrer Kinder verlangt, weil sie sich in ihrem Recht auf Religionsfreiheit eingeschränkt sah.

Der EGMR begründete die Ablehnung des Abhängebegehrens damit, dass es sich nicht beweisen lasse, "ob ein Kruzifix an der Wand eines Klassenzimmers einen Einfluss auf Schüler hat, auch wenn es in erster Linie als religiöses Symbol zu behandeln ist“.

Zur Argumentation des italienischen Staates, das "Kruzifix symbolisiere über die religiöse Bedeutung hinaus die Werte und Prinzipien, die die westliche Demokratie und Zivilisation begründeten“, nahm der EMGR keine Position ein, respektierte aber den nationalen Beurteilungsspielraum in dieser Frage. Er stellte weiters fest, dass das Anbringen eines Kreuzes im Klassenzimmer keine staatliche Indoktrinierung bedeute.

In Straßburg wie in Wien …

Kardinal Schönborn zeigte sich vor allem davon beeindruckt, dass 15 der 17 Richter des EGMR dem Urteil nahegetreten waren.

Bekanntlich hatte es kurz zuvor ein Erkenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofs (VfGH) in einer ähnlichen Causa gegeben, die von einem niederösterreichischen Vater gegen das Anbringen von Kreuzen sowie gegen religiöse Feiern in Kindergärten angestrengt worden war. Der VfGH hatte einerseits argumentiert, die Teilnahme an religiösen Feiern wie dem Nikolausfest seien nicht verpflichtend. Und das Anbringen eines Kreuzes verstoße nicht gegen die Verfassung, weil dieses nicht als "staatliche Äußerung einer Präferenz für eine bestimmte Religion“ zu werten sei. Außerdem hält der VfGH fest, dass das Kreuz "zweifelsohne zu einem Symbol der abendländischen Geistesgeschichte geworden“ sei.

Es gab Kritik am VfGH-Urteil: Der Verfassungsrechtler Bernd Christian Funk rückte bei einer Diskussion der "Initiative gegen Kirchenprivilegien“ insbesondere das Argument des VfGH, in Österreich herrsche ohnehin eine Trennung zwischen Staat und Kirche, in die "Nähe von Scheinbegründungen“. Das Straßburger Kreuz-Urteil hingegen sah Funk als in sich schlüssig an.

Fachkritik am Verfassungsgericht

Die FURCHE befragte dazu den Wiener Religionsrechtler Richard Potz, der gemeinsam mit seiner Kollegin Brigitte Schinkele ein Gutachten für die niederösterreichische Landesregierung im Kreuz-Verfahren vor dem VfGH verfasst hatte. Potz pflichtet der Kritik von Verfassungsrechtler Funk am österreichischen Kreuz-Urteil bei. Potz stößt sich vor allem daran, dass der VfGH das Kreuz als religiöses Symbol heruntergespielt habe.

Bereits 2009 hatten Potz und Schinkele in einem Positionspapier für den Katholischen Laienrat argumentiert, das Kreuz dürfe "nicht auf ein säkulares, die abendländische Geistesgeschichte vergegenwärtigendes Symbol“ reduziert werden: "Es handelt sich in erster Linie um ein Glaubenssymbol des Christentums - und nicht nur des Katholizismus“, und es könnten ihm nicht "schlechthin ein appellativer oder missionarischer Charakter“ zugesprochen werden.

Natürlich, so Potz zur FURCHE, sei durch das Anbringen eines Kreuzes die "negative Religionsfreiheit“, also die Freiheit vom Zwang zur Religionsausübung, betroffen - man kann sich dem Anblick eines Kreuzes ja nicht entziehen. Aber für den Religionsrechtler liegt diesen "Zwang“ unter der "Erheblichkeitsschwelle“, sodass das Recht auf Religionsfreiheit nicht betroffen sei. Derartiges Argument vermisst Potz im VfGH-Urteil .

Die beiden Kreuz-Urteile sind somit auch Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung - auch wenn die Schlüssigkeit der Urteilsbegründung an der Sache wenig ändert. Dennoch zeugt die Diskussion, dass die Öffentlichkeit von Religion auf der europäischen und erst recht der österreichischen Agenda steht.

Trennung oder Konvergenz?

Aufgrund der Kritik am VfGH-Urteil erklärten denn auch die Betreiber des "Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien“, dass also auch "letztinstanzliche Urteile zu Gunsten einer Religionsgemeinschaft“ ausfallen würden. Niko Alm, einer der Initiatoren, fühlt sich bestätigt: "Es offenbart die Notwendigkeit unseres Volksbegehrens.“

Zurzeit ist der Widerhall dazu allerdings enden wollend. Kardinal Schönborn meinte nach der Frühjahrs-Bischofskonferenz auf die Frage der FURCHE nach dem Anti-Kirchenvolksbegehren, dieses sei "diffus und konfus“, die Positionen darin seien rechtlich unklar.

Auch Richard Potz formuliert ähnlich: Er qualifiziert die Vorschläge gegen "Kirchenprivilegien“ als "unausgegoren“ und an der Rechtslage vorbeigehend. Außerdem kämen die "Privilegien“ und Steuervorteile ja allen anerkannten Religionsgemeinschaften - und nicht nur der katholischen Kirche - zugute. Auch der von den Volksbegehrern ins Spiel gebrachten Aufkündigung des Konkordates mit dem Heiligen Stuhl gewinnt Potz nichts ab.

Die österreichische Diskussion verfolgt der Religionsrechtler außerdem mit Erstaunen, da diese den Entwicklungen in Europa zuwider laufe. Denn europaweit komme man weg von einer strikten Trennung von Religion und Staat, es gehe vielmehr in Richtung einer "Konvergenz“. Potz zitiert dazu den im angelsächsischen Raum und in Israel tätigen Religionssoziologen und -politologen Jonathan Fox, der die Perspektiven des Zueinanders von Religionen/Kirchen und Staat mit dem Begriff "moderate involvement“ beschrieben habe.

Dieses Zueinander und mitunter wechselseitige Verhältnis werde zurzeit weithin diskutiert. Dass es in Österreich dem entgegen wieder einmal die Diskussion um eine Trennung von Staat und Kirche gibt und ein dementsprechendes Volksbegehren im Schwange ist, verwundert den Religionsrechtsexperten.

Das "christliche Land“ Österreich

Gegen das Anliegen der Anti-Kirchenvolksbegehrer steht derzeit aber auch die öffentliche Meinung. Zumindest in der Kreuz-Frage sind die Gewichte hierzulande klar verteilt: Eine Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstitut IMAS ergab dieser Tage eine Mehrheit von 70 Prozent für Kreuze in Schulen, nur 19 Prozent sprachen sich dezidiert dagegen aus. Auch der Aussage, Österreich sei ein christliches Land und solle es auch bleiben, stimmten 80 Prozent der Interviewten der repräsentativen Befragung zu.

Herr und Frau Österreicher wollen nach diesen Ergebnissen somit in einem christlichen Land leben. Und das trotz der Austrittswelle aus der katholischen Mehrheitskirche: Was dieser Befund im Konkreten bedeutet, bedarf aber zweifelsohne der weiteren - öffentlichen - Auseinandersetzung.

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