Die "Papisten" bleiben ausgeschlossen

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Vieles kann ein Katholik im Vereinigten Königreich werden. Den Thron besteigen darf er nicht: Die Diskrimierung ist immer noch nicht völlig ausgeräumt.

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Vieles kann ein Katholik im Vereinigten Königreich werden. Den Thron besteigen darf er nicht: Die Diskrimierung ist immer noch nicht völlig ausgeräumt.

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Warum sollte es einem Hindu, Moslem, Juden oder Orthodoxen möglich sein, den englischen Thron zu besteigen, nicht aber einem Katholiken?" ist die pointierte Frage, die seit einiger Zeit Politiker, kirchliche Kreise und Verfassungsjuristen in Großbritannien beschäftigt.

Schuld an der bizarren Situation ist ein Musterbeispiel für Anlaßgesetzgebung: Nachdem man 1688 die katholischen Stuarts verjagt hatte und mit Wilhelm von Oranien einen verläßlich protestantischen Monarchen auf den englischen Thron geholt hatte, wollte man auch künftigen Thronansprüchen der Stuarts einen Riegel vorschieben. Damals gab es nämlich nicht weniger als 44 Thronanwärter aus dem Hause Stuart, die allesamt bessere Ansprüche hatten, als die "importierten" Hannoveraner.

Nunmehr sind fast drei Jahrhunderte vergangenen, und es gibt ernstzunehmende Vorstöße, diese "fortwährende Beleidigung der römisch-katholischen Bevölkerung" - so der Kardinal Thomas J. Winning - zu beseitigen. Nicht nur die Klausel an sich wirkt antiquiert und obsolet, ihre Formulierung wird als diskriminierend empfunden; es sind nach wie vor "papists and persons marrying papists", von der Thronfolge ausgeschlossen.

Altes Überleibsel Der schottische Kardinal - derzeit der ranghöchste katholische Würdenträger Großbritanniens, da ja noch immer kein Erzbischof für den vakanten Sitz in Westminster ernannt wurde (siehe Kasten) - hat mit seinen gezielten Bemerkungen viel Zustimmung ausgelöst. Prominente schottische Abgeordnete wollen einen diesbezüglichen Gesetzänderungsantrag einbringen und auch der anglikanische Erzbischof von York, David Hope - immerhin die Nummer Zwei in der Church of England - zeigt großes Verständnis: In einem Interview zu Weihnachten ging er sogar noch weiter mit dem Vorschlag, aus der Formulierung des Krönungseides antiquierte protestantische Versprechungen zu entfernen.

Auch Prinz Charles ließ mit der Bemerkung aufhorchen, er wolle den alten Titel "Verteidiger des Glaubens" (Defensor fidei) auf alle religiösen Bekenntnisse bezogen sehen und nicht nur auf die offizielle Staatskirche.

Für viele in England gibt es keine Berechtigung mehr für die Privilegien einer Staatskirche, die weniger aktive Mitglieder hat als die katholische Kirche und die - angesichts einer multi-religiösen Gesellschaft - nur mehr eine Minderheit repräsentiert.

Bei soviel Zustimmung und Wohlwollen wäre zu erwarten, daß die Labour-Regierung nicht zögern würde, England von diesem Überbleibsel vergangener Zeiten zu befreien. Sieht sich doch Blairs New Labour als Bewegung der Erneuerung, die England von den Mächten des Konservatismus befreien und ein modernes und zukunftsgerichtetes Britannien schaffen will.

Bedenkt man, mit welch leichter Hand der Zentralstaat durch Dezentralisierung schrittweise föderalisiert wird, oder wie kompromißlos das House of Lords erst vor wenigen Monaten zurechtgestutzt wurde, müßte man annehmen, die Aufhebung einer hinfälligen Gesetzesbestimmung sei nur eine Formalität. Doch der Premierminister, verheiratet mit einer Katholikin (die Kinder in einer angesehenen katholischen Privatschule) sieht keinen Handlungsbedarf und schützt die besondere Komplexität der Materie vor, was von Juristen belächelt wird.

Im wesentlichen geht es um drei Knackpunkte: * Erstens müßten - bei Aufhebung der diskriminierenden Passage des Act of Settlement - auch einige andere Gesetze (man spricht von acht) entsprechend angepaßt werden; eigentlich ein Routinefall, der bei Gesetzesänderungen immer wieder auftritt.

* Zweitens müßte auch die Zustimmung der anderen Länder des Commonwealth eingeholt werden, die den englischen Monarchen als Staatsoberhaupt anerkennen; auch hier sehen Experten wenig Schwierigkeiten.

* Heikel ist lediglich der dritte Aspekt: der englische Monarch ist in Personalunion auch Oberhaupt der Staatskirche. Kirchenrechtlich gesehen könnte die Church of England vielleicht sogar mit einem katholische Monarchen leben, sicherlich aber nicht als spirituelles Oberhaupt. Hier haken ultra-protestantische Kreise, wie zum Beispiel der radikale nordirische Pastor Paisley ein, und beschwören für eine Abschaffung des Gesetzes eine Destabilisierung der Staatskirche mit weitreichenden negativen Auswirkungen auch auf die englische Monarchie. Abgesehen von der Tatsache, daß derzeit weit und breit kein nicht-anglikanischer Thronfolger in Sicht ist, muß man sich die Frage stellen, warum wohl ein katholischer Monarch destabilisierender wirken würde, als zum Beispiel ein buddhistischer.

Probleme im Umgang Die - meist nicht ausgesprochene - Wahrheit steckt in dem Umstand, daß das protestantische England immer noch Probleme im Umgang mit dem Katholizismus hat und liegt in der nach wie vor spürbaren Kluft zwischen den beiden Bekenntnissen. Der Grund dafür liegt in den Hintergründen der englischen Reformation, die nicht aus spirituellem Motiven sondern aus durchsichtigen persönlichen, staatspolitischen und finanziellen Gründen von oben verordnet wurde. Gewollt war der Bruch mit Rom, die Erlangung der Entscheidungsfreiheit in religiösen Dingen für die Krone sowie die Verfügungsgewalt über das kirchliche Vermögen; die protestantische Begründung dieser Aktion war immer nur Beiwerk. Gebildete Briten wissen dies und haben heute noch ein Unbehagen im Umgang mit dem Katholizismus. Zwar wurde die Gleichstellung der Katholiken in bezug auf die Bürgerrechte im Jahr 1929 vollzogen, aber Insider verweisen darauf, daß sich "unsichtbare" Vorbehalte gegen Katholiken hartnäckig halten.

Sogar die traditionsreiche Londoner Tageszeitung "The Times" macht sich mittlerweile für die Beseitigung dieses "schändlichen Gesetzes" stark und meint, daß sich eine Nation, solange sie derartige Diskriminierungen zuläßt, nicht wirklich "zivilisiert" nennen dürfe; sie fordert Tony Blair auf, die Gesetzesreparatur rasch vorzunehmen. Bislang mit wenig Erfolg, der Premierminister ist zwar sicherlich überzeugt, daß dieses Gesetz obsolet ist, aber andererseits ist mit diesem Thema wohl keine einzige Stimme zu gewinnen.

Man kann daher getrost darauf wetten, daß der Act of Settlement aus dem Jahre 1701 noch seinen 300. Geburtstag erleben wird.

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