Die perfekte Gesellschaft

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Leicht und lustig, sanft und sauber, sicher und nie zynisch. Disneyland ist ein privates Imperium, das besser funktioniert als alle Staaten dieser Welt.

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Leicht und lustig, sanft und sauber, sicher und nie zynisch. Disneyland ist ein privates Imperium, das besser funktioniert als alle Staaten dieser Welt.

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Disneyland ist eine cleane, friktionsfreie Welt ohne Widersprüche. Das Gute siegt immer. Das Böse ist schon äußerlich eindeutig erkennbar. Die Fronten sind abgesteckt. So ist etwa Abstrafung der Piraten so perfekt, daß nach der unterirdisch-schaurigen Fahrt zu den "Pirates of the Caribbean" kein denkender Mensch mehr auf die Idee käme, Pirat - oder was immer dem in der heutigen Berufswelt entspricht - zu werden. Auf kleinen Schiffen fährt man unterirdisch durch eine Welt des Grauens, wobei, so wie im Leben, alles ganz harmlos beginnt. Aber von Minute zu Minute wird der ungeheure Sündenfall der Piraterie härter bestraft. Am Schluß: wild und verzweifelt tanzende Skelette, brennende Häuser, Folterqualen, Alkoholismus, Tod. Auch die Kurtisanen der Piraten werden mitleidlos in das Inferno hineingerissen. Wie froh ist man doch, daß draußen die Welt der Hamburger und die Disney-Figuren noch da sind.

Disneyland steht aber auch für eine heimliche politische Botschaft. Sie kommt, so wie heute alles wirklich Politische (also das uns wesentlich Betreffende) in der Designerkluft des Privaten daher. Ja, so sollte die Welt sein, so kann sie sein, leicht und lustig, aber nie zynisch. Disneyland ist sicher, sanft herrscht das Prinzip der "zero tolerance", aber ohne Polizei. Es gibt keine Bettler. Alkohol kann nur in bestimmten Zonen konsumiert werden, keinesfalls im Herrschaftsbereich der Maus. Die Leute haben Geld, auch wenn ja schon mal ein halber Monatslohn umgesetzt wird. Niemand spuckt einen Kaugummi auf die Straße. Zigarettenstummel werden von einer starken Truppe adrett uniformierter Saubermacher auf der Stelle weggeputzt. Die Auskünfte sind immer höflich. Das Schlangestehen, oft quälend lange; wird mit unerhörter Disziplin durchgestanden. Konkurrenz bei den Preisen gibt es keine. Cola kostet überall gleich viel, niemand dumpt den anderen vom Markt.

Kinder bis 1,40 Meter dürfen bestimmte Thrill-Abenteuer nicht mitmachen. Auch das wird peinlich genau eingehalten. Mit 1,39 sieht man den Space Mountain nur von außen. Die privaten Wächter sind unbestechlich. So hat man sich eine geordnete Gesellschaft vorzustellen.

Disneyland ist daher auch gesellschaftspolitisch eine Traumwelt. Jeder Neoliberale kann hier die Endlösung seines Entwurfs bewundern: Das Privatrecht als Fundament einer perfekten Ordnung. Hier haben wir abermals die Umrisse einer neuen Weltordnung vor uns, ein privates Imperium, das besser funktioniert als alle Staaten der Welt. Wer zahlt ist drin, wer kein Geld hat, kommt gar nicht hinein.

Alles ist freiwilig Alles ist freiwillig. Gerne nimmt jeder die Regeln auf sich, denn nur so kann er das erleben, was er ersehnt. Die Besucher aller europäischer Nationalitäten, ob sie kommunistisch gewählt oder rechtsradikal gejubelt haben, selbst Leute, die sich auf den Fußballplätzen als chauvinistische Vulkane entpuppen, sind hier in internationale und multikulturelle Watte gebettet. Sie lauschen den immer harmonischen Gute-Welt-Melodien bei den Paraden, sie setzen sich Yankee-Hüte auf, sie verbrüdern sich mit Winnie-Poo und halten in den Restaurants die Regeln so strikt ein, als wären sie in den USA aufgewachsen.

Hier bedarf daher auch die exzessive Rezeption des Halloween-Kultes keiner ideologischen Verbrämung, so wie in Paris, wo man beflissen verbreitet, es handle sich dabei um uraltes keltisches Kulturgut, das nun nach Europa zurückgekehrt ist.

Hier herrscht die große Ordnung der Marktutopie. Was Du bezahlst, bekommst zu. Wir kümmern uns um Dich. Wir dringen bis in Dein tiefstes Inneres vor und denken darüber nach, wie es Dir besser gehen kann. Beschwerden werden sofort beantwortet. Wir denken an Deine Kinder. Wir sind absolut behindertengerecht. Rassismus und Fundamentalismus werden nicht bekämpft, da es gar keinen Platz dafür gibt. Wir sind die neue Internationale: Vietnamesiche Girls als Feen verkleidet, Marokkaner, die vom Herkules-Wagen herunterwinken, Franzosen als drollige Zwerglein, Afrikaner, die immer lachend in Oldtimern auf der Main-Street herumfahren.

"Du bist uns wichtig" Welch ein Kontrast zum nahen Paris, wo schon die Fahrt über die Peripherique Nord (Stadtautobahn) durch die Schluchten einer unwirtlichen, häßlichen, entfremdeten, kalten und funktionalistischen Welt, entlang von Verwaltungszentren, Slums und ineinandergeschachtelten Wohnzellen den unentrinnbaren, abscheulichen, gemeinen, niederdrückenden Alltagsschrecken abbildet, vor dem man eigentlich nur noch fliehen kann. Aber wohin in der realen Welt? In den Louvre, wo die Bilder nur tropfend dünne, sehr angestrengte Kommunikation mit vergangenen sinnvolleren Zeiten - und das nur nach langen, mühsamen Studien - ermöglichen? In die Bars der intellektuellen Szene, die sogar des Interpretierens müde geworden ist? Oder zu den berühmten Friedhöfen der Hauptstadt, um den toten Meisterdenkern ein paar depressive Worte nachzurufen?

Die linksintellektuelle Kulturkritik an dem "Monster" Disneyland, ausgedacht und formuliert in den Cafes um das Paris Viertel St. Germain des Pres ist noch nicht verraucht. Dort glaubt man noch an einen großen Feldzug gegen die Amerikanisierung, gegen die tiefen Wunden, die Hollywood und Warner-Brothers der europäischen humanistischen Kultur geschlagen haben. Die großen Worte und messerscharfen Formulierungen richten sich damit indirekt auch gegen die vorhersehbaren Folgen der großen Revolutionen im Namen der Vernunft.

Das Monster draußen vor der Stadt blüht, expandiert, zieht Kongresse an sich, wird sich demnächst zumindest verdoppeln, während in Paris die Straßencafes sterben oder von der neuen Erlebnisgastronomie verdrängt werden.

Die französischen Intellektuellen von Rang, die Zeichen der Zeit lesen können, spüren, daß der unendliche Plan des grenzenlos akkumulierenden Kapitals längst die Welten der Kulturmetropole, der Hauptstadt des Geistes, des Zentrums der intellektuellen Welt, der Heimstatt der Meisterdenker der Moderne mit ihrem Eiseshauch erfaßt hat. Wer frißt wen?

Neuerdings baut Disney nicht nur neue Städte, sondern kauft auch bestehende ...

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