Die Pfarre. Eine Zukunft

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Plädoyer für Gemeinden im Geist Jesu.

Die Pfarre hat Zukunft, wenn und solange sie ihre Herkunft in sich lebendig hält und Gemeinde Jesu sein will. Ohne diesen heißen Kern reduziert sich ihre Zukunft auf irgendetwas zwischen Kirchenbauerhaltungsverein und Brauchtums-und Zeremonienagentur. Auf Zukunft hin die Herkunft in sich lebendig halten heißt, gemeinsam in Verbindung mit Jesus dessen bis in den Tod hinein gelebten Entwurf von einer neuen Beziehung zu Gott und zueinander leben zu wollen.

Diese neue Verwurzelung in Gott als dessen "Kind" sowie die damit einhergehende neue Beziehung der Menschen zueinander als "Geschwister" waren das Neue, das mit den Gemeinden Jesu in die Welt gekommen ist. Das Neue, das seine Aktualität nicht verloren hat. Und das nicht nur gesellschaftlich, sondern auch "kirchenintern".

In der Gemeinde Jesu sind Ämter und Strukturen nicht (mehr) "Zwischenebenen" zwischen Gott und den Menschen, sondern Dienste an der Entfaltung dieser neuen Gottunmittelbarkeit des Menschen. Inwieweit sie dieser Dienst bleiben oder doch wieder zu Zwischenebenen mit Macht über die Gottesbeziehung des Menschen werden, bleibt als kritische Frage aufrecht, solange es Gemeinde Jesu gibt.

Angebot für Menschen

Eine der Hauptfragen zur Zukunft der Pfarre ist daher, ob sie den Menschen das Angebot machen kann, mit ihr im Geist Jesu diese neue Einwurzelung in Gott zu entwickeln, zu feiern und zu leben. Und ob die Menschen daraus eine alltagstaugliche Spiritualität gewinnen können, die ihnen hilft, die Fragen und Herausforderungen des Lebens auszuhalten und zu bestehen. Pfarre ist nahe am Alltag der Menschen angesiedelt. Dort, wo Ehe, Familie und Alter gelebt werden. Dort wo die Kinder und Jugendlichen heranwachsen. Dort, wohin sich der Mensch aus dem "Flexibilitäts"-und Leistungsdruck der Berufswelt zurückzieht. Dort, wo die Fragen aufsteigen und der letzte Boden unter den Füßen gesucht wird.

Dorthin ist die Ortsgemeinde mit ihrem Teilen des Gotteswortes, mit ihrer Feier der Eucharistie und der sakramentalen Zeichen gestellt. Ob unter "Liturgie" nur ein Kirchenjahr abgespult und Lebenswendepunkte mit Riten verziert werden oder Glaube gefeiert und gegenseitig gestärkt wird, ist daher eine der Zukunftsfragen an Kirche und Pfarrgemeinde.

Ob Pfarre Zukunft hat, hängt davon ab, ob sie ihre Herkunft auch in dem Sinn lebendig in sich trägt, dass sie der dauernden Versuchung widersteht, für sich selbst da zu sein, sich selbst zu genügen.

Diese Versuchung zum Eingeschlossen-und Untersichbleibenwollen gehört schon zur Geschichte der Ur-und Muttergemeinde in Jerusalem. Erst die Überwindung dieser Versuchung hat andere Gemeinden möglich gemacht. Die Erinnerung an das Ausgesandtsein, an die "missio" durch Jesus in die Nachfolge auf seinem Weg zu den Menschen hat die verriegelten Türen geöffnet. Wieder kann es Furcht sein, die die Türen verriegelt halten will. Diesmal die Furcht vor den gegenläufigen Trends der Zeit oder einfach auch vor dem angenommenen Desinteresse oder vor der Begrenztheit des eigenen Glaubens oder der eigenen Kräfte. ("Noch etwas Zusätzliches?! Wir schaffen das Laufende kaum…")

Aufgaben und Lasten

Die Abgrenzung zu den "Uninteressierten" macht aus dem Angebot eine Holschuld und aus den Eingeladenen "Fernstehende", die immer nur vorbeischauen, wenn es ihnen passt. Da ist aber auch die Bequemlichkeit des Eingespielten, Gewohnten und Vertrauten, in das man sich zum Ausruhen vom mühsamen Christsein "draußen" gerne fallen lassen möchte. Gemeinde, Pfarre als behaglicher Clubraum, in dem man sich nicht auf "Neue" einstellen muss, die den Hausbrauch nicht kennen und vielleicht auch noch in Frage stellen, was sich bewährt hat.

Über die Zukunft für die Pfarre entscheidet aber auch, ob diese Zeitgenossin sein und an den großen Fragen, Aufgaben und Lasten der Gesellschaft mittragen will. Am Beiein-anderhalten der Generationen und Gesellschaftsschichten. Am Auf-fangen derer, die durch den Rost fal-len. An der Anwaltschaft für Würde und Grundrechte aller. An der Bewusstseinsbildung zu den großen Themen der Weltzukunft. Es geht um die Haltung der konkreten und der gesellschaftlichen Diakonie. Um die Abwehr der Versuchung, sich in die "Sakristei" zurückzuziehen - oder auch zurückverweisen - zu lassen. Oder der Versuchung, sich in der Gemeinde die unausbleiblichen Debatten zu den Themen zu ersparen zu wollen, die nun einmal Konfliktstoff enthalten.

Es geht um das Nichtvergraben der "Talente", die der christlichen Gemeinde in die Hand gegeben sind: dass sie an der gesellschaftlichen Basis angesiedelt und generationen-und schichtenübergreifend angelegt ist. Durch ihre Mitglieder in die verschiedenen Milieus hineinreicht. Für gemeinsame Schritte und Aktivitäten aus gemeinsamen spirituellen und geistigen Quellen und Visionen schöpfen kann. Ein gesuchter Koalitionspartner für andere gesellschaftliche Kräfte "guten Willens" ist usw.

Vom jungen Christentum sagt man, es sei in die Zeit der sich im Niedergang des Römischen Reiches auflösenden gesellschaftlichen Ordnungen und Sicherheiten hineingestellt gewesen. Ohne ausgefeilte, große Alternativen haben die jungen Christengemeinden ihren Glauben in diese Situation der Ungewissheiten und neuen Bedrohungen hinein gelebt. Ist es nicht längst wieder so weit?

Eine der wesentlichen Zukunftsfragen für die Pfarren wird aber auch sein, ob sich in ihnen der aus den Impulsen und im Gefolge des II. Vatikanums wiedererwachte kooperative Geist zwischen geistlichen Amtsträgern und den "Laien" genannten Getauften und Gefirmten weiterentwickeln kann. Die Getauften und Gefirmten sind aus ihrem bürgerlichen und beruflichen Leben angemessene Formen der Einbindung in Entscheidungen, der Übertragung von Verantwortung, des Rechtes auf Rechenschaft der Verantwortlichen, der Beanspruchung von Rechten, der klaren Vereinbarung zu Pflichten gewohnt.

Das alles kommt ihnen auch in der Kirche zu: auf Grund ihrer Würde als Getaufte, als Teilhaber am Leib Christi und als Träger von Charismen zu, die ihnen für die Gemeinde gegeben sind. Ob sich Menschen am Leben von Gemeinden und an Mitarbeit und Mitverantwortung beteiligen werden, wird wesentlich auch von der Weiterentwicklung des genannten kooperativen Geistes und Stils abhängen.

Übersichtliche Größe

Zu den Fragen nach der Zukunft der Pfarren gehört schließlich, aber nicht zuletzt, ob sie in einiger-maßen übersichtlicher Größe fortbestehen können bzw. in manchen Gebieten nicht sogar geteilt werden sollen. Letzteres klingt in Zeiten des größer werdenden Mangels an verfügbaren Pfarrern gerade-zu paradox, berührt aber den springenden Punkt der Frage: will man sich, wie bereits begonnen, hinsichtlich Größe und Zahl der Pfarrgemeinden nach der Anzahl der Pfarrer orientieren, die gemäß der nach wie vor geltenden nachtridentinischen Ordnung des Zugangs zum Priester-und Pfarreramt zur Verfügung stehen?

Oder ist man bereit, zuerst zu fragen, wie viele Gemeinden wir brauchen, und dann, wie wir zu Leitern dieser Gemeinden kommen? Da geht es nicht nur um die Fragen nach der Aufrechterhaltung des Pflichtzölibates oder dem Zugang für Frauen zu den Weiheämtern. Es geht auch um eine spürbare Offensive für den Fortbestand überschaubarer Gemeinden, die mehr der zum Gemeindeleitungsamt Berufenen Mut zum Eintritt in diese Verantwortung machen würde.

Von alledem wird abhängen, ob Gemeinden dort, wo sie angesiedelt sind, die Feier des Glaubens und der sakramentalen Heilszeichen mit dem alltäglichen und praktischen Leben ihrer Mitglieder verbinden können. Und ob Leitung von Pfarre und Gemeinde heißen darf, die Menschen, mit denen man den Glauben und die Zeichen des Heiles gefeiert hat, auch im Leben begleiten zu können.

Sicher, die Pfarren sind mühsam. In ihnen wird nicht nur die Alltagsseite des Lebens und der Menschen spürbar. In ihnen treten auch die Widersprüche und Grenzen kirchlicher Ordnungen und Rechtsvorstellungen deutlicher zutage als bei Großveranstaltungen und an geistlichen Zentren. Aber diese Mühe gehört zum Leben der Kirche und enthält auch jenes kritische Potenzial, das Kirche für ihre immer neu notwendige Verheutigung braucht. Deshalb geht es bei der Zukunft der Pfarren und Ortsgemeinden auch um die Zukunft der Kirche.

Der Autor ist Pfarrer in Probstdorf bei Wien, Universitätsseelsorger und Proponent der "Pfarrerinitiative", die sich um Pfarrgemeinden im oben skizzierten Sinn müht.

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