Die Prophetien von 1983

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Vor 30 Jahren präsentierte sich am Katholikentag der österreichische Katholizismus letztmalig in seiner ganzen Breite. Erinnerungen und Perspektiven für heute.

Nicht alle Erinnerungen an jene Septembertage 1983 sind rosig. Die FURCHE-Mannschaft, so das redaktionsinterne Narrativ, produzierte eine Sonderausgabe für den Papstgottesdienst, der am 11. September 1983 im Wiener Donaupark stattfand. Unter anderem war die Predigt des Papstes bereits abgedruckt, die druckfrischen FURCHE-Exemplare sollten in der zweiten Hälfte der Feier unter die 300.000 Teilnehmer gebracht werden. Sollten. Denn jener Vormittag war von Dauerregen geprägt, alles Papier, auch die FURCHE-Ausgaben, fanden sich weniger gelesen denn als Papiermatsch wieder.

Für die nicht zeitungsmachenden Gläubigen bleibt das Ereignis trotz Regen in nachhaltigerer Erinnerung: Gerade die Wetterunbill trug mit zu einem Gemeinschaftserlebnis bei, das es in 30 Jahren so nicht mehr geben sollte.

Das Dach des Gemeinsamen

Geschichtliche Zäsuren - Ausnahmen wie der Fall der Berliner Mauer bestätigen die Regel - zeigen sich selten im Augenblick des Geschehens. Zumindest kann oft erst im Nachhinein ein historischer Bruch an einem Ereignis identifiziert werden. Der Österreichische Katholikentag 1983 markiert so aus heutiger Sicht das Ende des österreichischen Nachkriegskatholizismus. Einmal noch war Kirche als Volkskirche erfahrbar. Einmal noch fanden sich die Katholiken des Landes gemeinsam zusammen - und nicht in Parteiungen versprengt.

Vom Opus Dei bis zu friedensbewegten jungen Christen reichte die Bandbreite - der Autor dieser Zeilen wachte mit Gleichgesinnten vor den Steyr-Werken in Wien-Simmering, wo Panzer für den Export produziert wurden. Die Fabriksleitung hatte das Werk kurzzeitig geschlossen, um an den frommen Tagen eine Auseinandersetzung zwischen den betenden und singenden Studenten, zu denen sich auch ein Bischof aus Kolumbien gesellte, und wütenden Steyr-Arbeitern hintanzuhalten. Anders als in Deutschland, wo die Friedensbewegten und andere längst einen "Katholikentag von unten“ alternativ zu den offiziellen Katholikentagen abhielten, fand dies in Österreich unter dem Dach eines gemeinsamen Programms Platz.

Auch die 100.000 jungen Leute, die am Abend des 10. September im Praterstadion mit Johannes Paul II. zusammentrafen, waren eine heterogene Menge - Papst-Jubelchöre aus den einschlägigen Bewegungen waren ebenso dabei wie kritische Fragen von Mitgliedern der Katholischen Jugend.

Prophetisch aus heutiger Sicht auch die Europavesper am Nachmittag zuvor auf dem Wiener Heldenplatz: Der Kardinal von Krakau brachte Asche aus Auschwitz an den Ort mit, wo Hunderttausende Österreicher einst Adolf Hitler zugejubelt hatten. Neben Kardinal König und dem Krakauer waren auch die Kardinäle von Berlin, Zagreb und Paris gekommen und legten die Schrift aus. Der Papst hörte zu und errichtete das Europakreuz, das heute noch dort steht.

Niemand habe konkret gedacht, dass der Stacheldraht in ein paar Jahren weg sein würde, erzählte Kardinal König der FURCHE 2003 in einem seiner letzten Interviews: "Im Nachhinein betrachtet, ist das aber schon eine merkwürdige Verbindung gewesen mit jenem in aller Stille vor sich gehenden Prozess des Niederganges des kommunistischen Systems, der dann 1989 so sichtbar geworden ist.“

Die zwei Kairoi von 1983

Vielleicht kann man da doch den Kairos von 1983 ausmachen: Der Nachkriegskatholizismus in Österreich, der sich wesentlich durch das Mariazeller Manifest von 1952 - "Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft“ - definiert hatte, befand sich im Ausklingen. Die Konzilsbewegten mussten bald den großen Rückschlag erleben: Eifrige Romreisende hatten im Vatikan das Bild der Ortskirche - entgegen der Realität - längst arg verdüstert. 1985 trat Kardinal König zurück, ein Jahr später wurde mit der Ernennung von Hans Hermann Groër die kirchliche Wende rückwärts eingeleitet. Die Folgen sind bekannt. Nur noch ein Bischof, der 1983 schon im Amt war, ist es auch 2013 noch: Egon Kapellari, damals Hirte von Gurk-Klagenfurt, heute Bischof von Graz-Seckau. Die österreichische Kirche hatte sich in ihrer ganzen Breite letztmalig 1983 zusammengefunden. Bis heute fand kein Katholikentag mehr statt.

Und ein zweiter Kairos, der Same eines zusammenwachsenden Europas, blieb gesät: Es waren österreichische Katholiken, die 1983 das Feuer, das sechs Jahre später zum Flächenbrand der Befreiung Europas vom realen Sozialismus führen sollte, in Wien am Köcheln hielten. Die Brückenfunktion Österreichs sollte nicht vergessen werden - und zeigt eine Spur auch dahin, was die Aufgabe der Christen im Lande heute betrifft.

Und der Kairos von 2013?

2013 ist aber nicht 1983. Wofür steht denn heute der Kairos, der richtige Augenblick, nachdem die Kirche durch Krisen und Relevanzverlust gegangen ist und sich die Gesellschaft des Landes massiv verändert hat? Gerda Schaffelhofer, derzeitige Präsidentin der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ), jener Organisation, welche den Katholikentag 1983 wesentlich, wenn nicht federführend organisierte, ist sich der neuen Herausforderung bewusst: Schaffelhofer nimmt das Motto des Katholikentags, "Hoffnung leben - Hoffnung geben“, zum Anlass, um für ein "neues Aggiornamento“ zu werben.

Die KAÖ hat gemeinsam mit den Bischöfen das "Zukunftsforum“ initiiert, mit dem die Kirche in einen neuen Dialog mit den Menschen des Landes treten will. Der Jahrestag von 1983 soll, so Schaffelhofer, "uns allen Motivation zu einem neuen Aufbruch und zur Erneuerung sein“. Als Auftakt des Zukunftsforum laden KAÖ gemeinsam mit Kardinal Christoph Schönborn und einer Reihe katholischer Bewegungen - darunter auch Kirchenreformgruppen - zur Aktion "Wo drückt der Schuh?“ (www.wodruecktderschuh) ein.

Am 5. Oktober findet dieser Startschuss für einen kirchlichen Dialogprozess zu relevanten gesellschaftspolitischen Themen statt. Der Ort des Auftakts ist Programm: der Wiener Yppenplatz/Brunnenmarkt, wo sich Migranten und Wiener sowie alle Bevölkerungsgruppen und -schichten durchmischen. Man ist gespannt, ob hier der Kairos von 2013 getroffen wird - und/oder wie sich dieser äußert.

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