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Die Rivalen am Ganges

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Indore, im Mai

Die Blicke der ganzen Welt wenden sich heute Indien zu, das in politischer Hinsicht immer mehr eine besondere Stellung zwischen den zwei feindlichen Machtblöcken einnimmt, in die sich die Welt heute aufgespalten sieht. Was vielen weniger deutlich wird, ist die einzigartige kultur- und geistesgeschichtliche Rolle, die Indien in zunehmendem Maße für Asien und vielleicht für die ganze Welt spielen wird.

Indien ist seit Jahrtausenden, vor allem seit den letzten 2500 Jahren, im vollsten Sinne des Wortes die Quelle geworden, aus der die ganze ostasiatische Kulturwelt bis hinunter zu den Inseln der Südsee ihr religiös-sittliches Gepräge erhalten hat. So verschieden, ja gegensätzlich, das indische, chinesische und japanische Geistesleben auch sein mag: im Grunde sind sie auf das innigste verbunden durch die an den Ufern des Ganges entsprungene Erlösungsbotschaft Buddhas, die ganz Ostasien mit Tausenden von Buddhatempeln und Buddhaklöstern überzogen hat. Bis zur Stunde huldigt Asien dem religiösen Genius Indiens, der, im Bilde Buddhas sich verkörpernd, zum Mittelpunkt seines religiösen Empfindens geworden ist.

Während die großen Kulturmächte der Antike: Babylon, Aegypten, Hellas, Rom, längst untergegangen sind, lebt Indien heute noch in ungebrochener Lebenskraft wie vor Jahrtausenden. Ja, heute glaubt Indien mehr denn je, eine entscheidende Sendung für die ganze Menschheit zu erhalten: Nachdem sich die vergötterte westliche Maschinenkultur in zwei Weltkriegen in ihrer ganzen Problematik geoffenbart hat, wird nach der Ueberzeugung der Inder nur das neue dreifache Evangelium Indiens die Welt vor einem dritten und letzten Weltkrieg bewahren:

Gegenüber dem wachsenden, alles andere verschlingenden Materialismus der westlichen Zivilisation soll Indien das Evangelium vom Primat des Geistes verkünden, die Verschmelzung menschlichen und göttlichen Geistes zur Einheit.

Als Abschluß der großen geistig-religiösen Bewegungen der Menschheit soll Indien der Welt die Synthese aller großen Menschheitsreligionen verkünden, eine Menschheitsreligion, die das Wahre und Gute aller anderen Religionen enthält und so das religiöse Suchen der Menschheit endgültig sättigen wird.

Als Abschluß der großen sozialen Kämpfe soll Indien der Welt das Evangelium allgemeiner Brüderlichkeit unter der Menschheit verkünden, da sie anzusehen ist als der eine Sohn Gottes.

Eines ist sicher: In der gewaltigen geistesgeschichtlichen und religiösen Auseinandersetzung der Gegenwart wird Indien als die religiöse Großmacht des Ostens eine entscheidende Rolle spielen. Es ist nur die Frage, ob sich diese Rolle zum Heil oder zum Unheil Asiens und der Menschheit auswirkt. Zum Hei'e: Vielleicht wird Indien vollenden können, was uns bisher nicht gelungen ist: Asien christlich zu machen. — Zum Unheil: Wenn Indien in seiner Entscheidungsstunde das der Welt in Christus geschenkte Heil ablehnt. Die Gefahr dafür wächst.

Drei Geistesmächte ringen heute um die Seele Indiens: Das alte Heidentum, das sich in der machtvoll aufbrechenden Hindu-Renaissance wie so oft in seiner Geschichte heute wieder, verjüngt, ja Weltgeltung und Weltsendung beansprucht.

Das neue Heidentum aus dem Westen, der westliche Atheismus und Materialismus und seine soziale Entsprechung, der Kommunismus. Sie bedrohen Indien schon in seiner Wurzel und haben vor allem bereits die Intelligenz bedenklich infiziert.

Endlich das Christentum, das in Wahrheit die Rettung bringen könnte. Die beiden ersten Gegner setzen alles für ihre Ziele ein. — Es ist die Frage, ob auch wir alles einsetzen!

Heute zählt die Indische Union allein 360 Millionen Einwohner, davon sind aber nur 4,6 Millionen Katholiken, das heißt rund ein Prozent der Gesamtbevölkerung. Diese Christen sind auf den äußersten Süden des Landes zusammengedrängt, während der politisch und wirtschaftlich führende Norden von ihnen kaum berührt ist. Die Missionsaussichten werden von Jahr zu Jahr ungünstiger, da nach der praktischen Abschließung Indiens gegen eine Missionierung von außen kaum noch ein nennenswerter Zuzug fremder Missionäre möglich sein wird. Indien muß heute von indischen Missionären bekehrt werden, und zwar bald, soll es nicht anderen Geistesmächten als Beute zufallen! Die entscheidende Frage lautet also heute: Wie erhält Indien möglichst schnell möglichst viele gediegene einheimische Glaubensboten? Und hier hat die Vorsehung selbst den Weg gewiesen.

Von den 4,6 Millionen Katholiken leben 3,8 Millionen in der Südwestecke Indiens, vom Rest wiederum 0,4 Millionen allein in der Diözese Ranchi (Ureinwohner). Das bedeutet, daß für den politisch, wirtschaftlich und kulturell führenden Norden nur noch 0,4 Millionen Katholiken übrigbleiben, die sich unter den Millionenmassen der anderen völlig verlieren. Da ausländische Missionäre kaum noch in Rechnung zu setzen sind, lautet die missionsstrategische Aufgabe: Vorstoß nach Norden, und zwar mit indischen Glaubensboten aus dem katholischen Süden des Landes. Ihre Ausbildung und die Beschaffung der dafür notwendigen Seminarien werden, von entscheidender Bedeutung sein.

Der katholische Süden des Landes, das heißt Travancore-Cochin, hat sehr starken Priesternachwuchs, besonders in den zwei uniertcn Kirchen des syrischen Ritus. Die 1,3 Millionen Katholiken des syro-malabarischen Ritus zählen 1200 Priester, und in den zwei Diözesen des syro-malankaresischen Ritus kommt sogar ein Priester auf nur 412 Katholiken. Einige lateinische Diözesen können teilweise ähnliche Zahlen aufweisen.

Der Ueberfluß an Priester- und Ordensberufen, den die dortigen Seminarien und Ordenshäuser nicht fassen können, muß nutzbar gemacht werden für die Missionierung des priesterarmen und priesterlosen Nordens. Das ist doppelt wichtig, weil der äußerste Süden Indiens gleichzeitig die Hochburg des Kommunismus ist, der von hier aus seine atheistische Mission über ganz Indien vorzutreiben sucht. Es kommt heute in Indien alles darauf an, die im Süden vorhandenen Reserven an Berufen aufzufangen und einzusetzen für die Missionierung des indischen Kernlandes im Norden. Und zwar bald! Es könnte sonst zu spät sein!

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