Eine Volkswahl ohne das Volk? Bei der Wahl des Bundespräsidenten droht diesmal eine niedrige Wahlbeteiligung. Die proklamierte Debatte um Werte kann das belebende Momentum der Konkurrenz nicht ersetzen.
Der Wahlkampf um das höchste Amt im Staat hat begonnen. Am 25. April fällt die Entscheidung – und der amtierende Bundespräsident Heinz Fischer, zugleich aussichtsreichster Kandidat, hat eine Sorge angesprochen: „Wählen Sie nicht weiß“. Soll heißen: Gehen Sie zur Wahl! Und wählen Sie nach Tunlichkeit Heinz Fischer!
Über Zweiteres mag man trotz ordentlicher Amtsführung Fischers geteilter Meinung sein, aber Ersteres, die Wahlbeteiligung, ist ein Problem. Stimmen gelten den Kandidaten, doch das Faktum der Stimmabgabe ist Bekenntnis zur Demokratie, zur Republik, zu Österreich. Doch so wenig am Start-Ziel-Sieg von Heinz Fischer zu zweifeln ist, so klar stehen die in prognostizierte Schlagzeilen des 26. April gegossenen Befürchtungen schon jetzt am Horizont: Österreich – viele sind wahlmüde und einige sind Neonazis.
Der feste Griff der Vergangenheit
Wie verbohrt, verkorkst, verdreht, schlicht falsch, unhistorisch und ungebildet einzelne Aussagen von Politikerinnen und Politikern der FPÖ zu NS-Zeit und Konzentrationslagern ausfallen, demonstrierte deren Kandidatin Barbara Rosenkranz mit dem zum Fehlstart gewordenen Hinweis auf ihr Schulwissen. Hat sie nach Schulabschluss nichts dazugelernt? Kein kritisches, kein politisches Bewusstsein entwickelt? Keine kontroversiellen Diskussionen mit Andersdenkenden, sondern nur selbstreferentielles Geplauder mit Gleichverwirrten geführt? Es ist wahrscheinlich so gewesen, anders ist ihre unpassende Antwort nicht zu erklären. Selbst wenn dem Schulfach Politische Bildung von der Wissenschaft ein mieses Zeugnis ausgestellt wird, ist das ein Mangel im Unterrichtsressort und damit eine andere Geschichte. Aber Rosenkranz’ Antwort offenbarte einen zweiten Fehler.
Die Verneinung von Konzentrations- und von Vernichtungslagern, die Auschwitzlüge, steht unter Strafe. Rosenkranz und ähnlich Denkende sehen im Verbotsgesetz einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit. Und liegen damit falsch. Die Verneinung der vom NS-Regime betriebenen Massenvernichtung bedeutet das Bestreiten von Tatsachen. Das ist daher nicht eine Frage der Meinung, der Überzeugungen, der Werte, sondern eine der überprüfbaren, objektivierbaren Sachverhalte. Das – behobene – Problem des Verbotsgesetzes bestand nicht in seinen Normen, sondern in der Mindeststrafe. Davon war in den Aussagen von Rosenkranz nichts zu erkennen. Ganz im Gegenteil: Der blaue Kerntrupp steckt fest im Griff der Vergangenheit und will jetzt der Öffentlichkeit, unfassbar genug, in Antwort auf Fischers erste Parole – „Unser Handeln braucht Werte“ – eine Wertedebatte aufdrängen: „Ohne Mut keine Werte“.
Die guten Gründe der Volkspartei, gegen Fischer und ohne Barmittel keinen Kandidaten in ein aussichtsloses Rennen zu schicken, haben den Mangel an personellen Alternativen zur schlechten Folge. Das die Demokratie kennzeichnende Momentum des Wettbewerbs der von Personen oder Parteien formulierten Programme fehlt. Das lähmt einen Wahlkampf, dem mit künstlicher Beatmung durch eine Wertedebatte Sauerstoff zugeführt werden soll. Das wird nicht gelingen.
Den neuen Fragen wird ausgewichen
Schon 2004 wussten drei Viertel der Wähler vor dem Wahlkampf, für wen sie votieren werden. Drei Viertel der Fischer-Wähler hielten seine Kompetenz, seine Verlässlichkeit und sein Eintreten für politischen Ausgleich für ausschlaggebend. Das ist es, das wird wieder gelten.
Werte, Grundwerte allemal, sind in der Verfassung verankert. Dafür braucht es keine neue Debatte. Diese ließe sich schon eher führen entlang aktuell gewordener ethischer Fragen, etwa jenen nach der Integrität von Personen, nach der Korrektheit von Handlungen, nach der Gerechtigkeit in nationalen und internationalen Regelwerken, nach der Korrekturfähigkeit unseres politischen Systems. Doch all das wird in diesen Tagen nicht ausreichend erörtert, geschweige denn, dass eine Entscheidung anstünde. Was einzelne als Schlacht der Werte anpreisen, ist Geklapper auf Blechtöpfen.
* claus.reitan@furche.at
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