Medidation Achtsamkeit - © Foto: iStock / Akarawut Lohacharoenvanich

Die smarte Nichte Spiritualität

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Glauben macht nicht automatisch glücklich. Und Spiritualität ist kein Schmiermittel der Selbstoptimierung. Dennoch ist sie nicht unwichtig dafür, heilsam mit Krankheit und Misserfolg umzugehen – und zur Ruhe zu kommen. Über den Zusammenhang von Glauben und Gesundheit.

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Glauben macht nicht automatisch glücklich. Und Spiritualität ist kein Schmiermittel der Selbstoptimierung. Dennoch ist sie nicht unwichtig dafür, heilsam mit Krankheit und Misserfolg umzugehen – und zur Ruhe zu kommen. Über den Zusammenhang von Glauben und Gesundheit.

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Die alte Tante Religion mag nur noch selten interessieren, aber ihre smarte Nichte ist für viele attraktiv: Spiritualität ist ein Thema, das nicht bloß beim elterlichen Gespräch auf dem Spielplatz oder zwischendurch im Büro Interesse auf sich zieht, sondern auch auf sommerlichen Partys gute Figur macht und sogar noch Distinktionsgewinne verspricht. Mindfulness und Achtsamkeit boomen in Apps und Seminaren, Meditationskurse gelten als legitime me-time, und ein Wellnessurlaub mit entsprechenden Zusatzangeboten ist keineswegs etwas Außergewöhnliches.

In Zeiten multipler Krisen und vielfältiger Überforderungs- und Erschöpfungsdiagnosen ist Spiritualität dabei nicht bloß ein Thema im Horizont psychischer Gesundheit, sondern überhaupt ganzheitliches Versprechen für das eigene Leben: eine Möglichkeit, im Lärm der Zeit zur Ruhe zu kommen, Stress und Zerstreuung hinter sich zu lassen, sich zu finden, zu sammeln, zu fokussieren, kurz: Es ist eine Möglichkeit, ausgeglichener sowohl mit den Wechselfällen des Lebens als auch der Weltlagen umzugehen. Derlei Erwartungen sind nicht bloß für Glücksforschung, Religionswissenschaft oder Soziologie von Interesse, sondern auch für Kirche und Theologie: In welcher Hinsicht mag der Glaube tatsächlich eine solche Ressource sein? Und wo gilt es, Fragezeichen zu formulieren?

Versuchen wir, dieser Frage in drei Schlaglichtern nachzugehen.

Macht Glauben glücklich?

Beginnen wir mit einer Beobachtung, was mögliche Verbindungen von Spiritualität und Zufriedenheit, von Glaube und Glück betrifft: Empirisch lässt sich ein positiver Zusammenhang zwar oftmals schwach erheben, ist aber nicht unumstritten, weil unklar ist, wie sich Kausalitäten und Korrelationen verhalten.

So notiert etwa der deutsche Soziologe Martin Schröder in der Auswertung von Daten einer Langzeitstudie, welche das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bereits seit den 1980ern durchführt, ein Doppeltes: Zum einen legen die Ergebnisse der über 600.000 Befragungen durchaus nahe, dass religiöse Zeitgenossen im Durchschnitt zufriedener als säkulare Befragte sind – bis dahin, dass Menschen sogar trotz Krankheit und Alter zufriedener werden können, wenn sie religiöser werden.

Zum anderen mahnen die Daten aber zu Nüchternheit: Nicht nur haben die positiven Effekte spezifische Grenzen (etwa weil sie nach Beitritten nur gedämpft eintreten), sie hängen vor allem auch oft mit jenen sozialen Kontakten zusammen, die mit religiösen Praktiken einhergehen. Gleich ob Meditationsgruppe oder Sonntagsgottesdienst: Es ist nicht nur, aber nicht zuletzt das regelmäßige Eingebundensein in eine größere Gemeinschaft, das von besonderer Bedeutung für das eigene Wohlbefinden ist.

Natürlich mag man auch diesen moderaten Befund – um zum zweiten Punkt zu kommen – immer noch als Asset sehen: Zumindest im Großen und Ganzen scheinen Religiosität und Spiritualität doch hilfreiche Ressourcen zu sein, um mit Fährnissen des Lebens wie Stress, Krankheit und Tod zurechtzukommen.

Was manch kirchlichem und religionskritischem Selbstverständnis gleichermaßen entgegenkommen mag (Religion als Ressource bzw. Opium, um besser durchs Leben zu kommen), wird allerdings gerade in der christlichen Tradition immer wieder infrage gestellt und problematisiert.

Johann Baptist Metz hat das in einer Serie rhetorischer Fragen pointiert getan: „War Israel glücklich mit seinem Gott? War Jesus glücklich mit seinem Vater? Macht Religion glücklich? Macht sie ‚reif‘? Schenkt sie Identität? Heimat, Geborgenheit, Frieden mit uns selbst?

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