Die spirituellen Auswanderer

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Anfang Oktober beginnt das neue islamische Jahr. Wir schreiben dann das Jahr 1438 n. H. Das "H" steht für das arabische Wort "Hidschra"(Auswanderung). Im Jahre 622 ist der Prophet Mohammed nämlich von Mekka nach Medina ausgewandert.

Seine Auswanderung war nicht ganz freiwillig, sondern eine Flucht vor der Verfolgung der Mekkaner. Die eigentliche Flucht, wie sie der Koran beschreibt, ist aber eine andere. Der Koran beschreibt sie als Flucht zu Gott (Koran 51:50). Das ist keine geografische Auswanderung, sondern eine spirituelle, und zwar eine Art innere Flucht vor Verblendung, vor dem Bösen im Menschen selbst hin zum inneren Licht, zum Positiven und Konstruktiven.

Muslime feiern kaum das neue islamische Jahr. Gerade die in Europa lebenden Muslime bekommen das Neujahr nicht einmal richtig mit. Man orientiert sich ja im Alltagsleben am Gregorianischen Kalender. Auch wissen die wenigsten Muslime, in welchem islamischen Jahr wir uns gerade befinden. Das spielt auch für die religiöse Praxis keine große und für die Religiosität des Gläubigen überhaupt keine Rolle. Zentral allerdings ist das spirituelle Verständnis von Auswanderung. Diese benötigt eine ständige Selbstreflexion und eine ständige Auseinandersetzung mit sich selbst.

Demnach ruft der Koran zu einer offenen Haltung auf, sich ständig mit sich selbst auseinanderzusetzen, um auch innerlich - spirituell wie ethisch - zu reifen. Aber gerade dieses Verständnis einer Auswanderung scheint immer stärker in den Hintergrund zu rücken. Dabei stellt diese Spiritualität die Kernbotschaft des Islams dar. Der Islam spielt gerade für junge Menschen immer mehr eine identitätsstiftende Rolle, aber eine islamische Identität ausgehöhlt von seiner spirituellen und ethischen Kernbotschaft ist nur ein Titel ohne Inhalt. Viel bleibt dann nicht mehr vom Islam. Und die spirituellen Auswanderer bleiben aus.

Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster

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