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Die Una-Sancta-Bewegung

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Seit Beginn dieses Jahrhunderts ist in der Christenheit die Sehnsucht nach Einheit neu erwacht. Diese Sehnsucht war nie ganz erloschen; denn immer lastete auf den Christen das Bewußtsein, daß ihre Trennungen nicht aus dem Geiste Gottes, sondern aus menschlicher Schuld und Leidenschaft stammen. Aber die vielen vergeblichen Versuche, die Einheit wiederherzustellen, hatten schließlich za einer Ermüdung geführt, die geneigt war, sich mit der bestehenden Spaltung wie mit einem unabänderlichen Übel abzufinden. Das Schiedlich-Friedlich schien das Höchste, das praktisch erreichbar und deshalb zu erstreben sei.

Gott selbst zerstörte diese unchristliche Verzichtstimmung durch seine große Erzieherin: die Not. Er ließ die Spaltungen und die Folgen der Spaltungen in einer von schärfsten Spannungen erfüllten Zeit so augenfällig und so schmerzhaft fühlbar werden, daß eine neue Besinnung auf die Notwendigkeit der Einheit erwachte. Die Spaltungen wurden als die tiefste Wunde der Christenheit empfunden. So mußte sie ja auch Christus in der Vorausschau gesehen haben; denn sonst hätte er nicht so inständig um die Einheit aller seiner Jünger gebetet. Aus Not und Glauben ist es also gekommen, daß die Frage der Einheit wieder für alle christlichen Kirchen zur Gewissensfrage geworden ist, der sie sich ohne schwere Verletzung ihrer Pflicht nicht entliehen können.

Es ist bezeichnend für die neuere Entwicklung, daß die Einheitsbestrebungen besonders in den evangelischen Kirchen eine starke Bewegung ausgelöst haben. Das ist nicht verwunderlich, weil sich die Spaltungen im Protestantismus am meisten ausgewirkt hatten. Nur kurz sei an die großen Kundgebungen des Einheits'villens erinnert, die im wesentlichen durch die protestantischen Kirchen getragen waren: die Weltkirchenkonferenz für praktisches Christentum 1925 in Stockholm und div Weltkirchenkonferenz für Glauben und Kiidtenverfassuns 1927 in Lausanne. Beide

Konferenzen fanden 1937 eine Fortsetzung in Oxford und Edinburg. Seitdem ist man übereingekommen, die ökumenische Arbeit von Stockholm und Lausanne in einem Weltkirchenrat zusammenzufassen, der jetzt die Aufgabe hat, eine Weltkirchen Versammlung vorzubereiten, die vom 22. August bis 5. September dieses Jahres in Amsterdam tagen soll. Das Fernbleiben der katholischen Kirche von diesen Konferenzen erklärt sich aus dogmatischen Gründen, bedeutet aber keine Verkennung der positiv-christlichen Kräfte, die in ihnen wirksam sind.

Der neue Ruf zur Einheit mußte ein besonderes Echo im deutschen Volke wecken, weil kein Volk der Erde so sehr unter der Gläubensspältung gelitten hat wie das deutsche. Sie hat unsere Kultur und Geschichte so tragisch gestaltet; sie macht bis auf den heutigen Tag jede schwere Frage noch schwerer. Naturgemäß steht bei uns die Frage nach dem Verhältnis zwischen Katholiken und Protestanten im Brennpunkt des Interesses. Unter dem Wehen des neuen Geistes setzten von hüben und drüben Bemühungen ein, die eine Annäherung der beiden getrennten Bekenntnisse erstrebten und bald unter dem Namen der Una Sancta, der einen heiligen Kirche, zusammen gefaßt wurden. Was ist von ihnen zu halten?

Doch bevor ich Ziel und Wege der Una- Sancta-Bewegung darlege, darf ich den Haupteinwand, der gegen sie erhoben wird, nicht unerwähnt lassen. Man sagt, sie gehe von einer Verkennung der konfessionellen Lage aus und spiegle Möglichkeiten vor, die nicht verwirklicht werden können. Ja, noch scharfer: es werde ein falsches, unehrliches Spiel mit verdeckten Karten gespielt, um arglose Gemüter zu bestricken und zu täuschen. Dieser Einwand wird oft mit mehr oder weniger Affekt vorgebracht. Obgleich er für jeden Eingeweihten völlig hinfällig ist, so sei auch hier ganz klar die dogmatische Lage gezeichnet. Für den Katholiken gibt es nur eine von Christus gestiftete Kirche, nämlich die römisch-katholische Kirche mit ihrem sichtbaren Oberhaupt, dem Papst. Die Lösung der kirchlichen Unionsfrage bedeutet also für ihn

Wiedervereinigung aller getrennten Christen mit der römisch-katholischen Kirche unter Anerkennung ihrer Glaubenslehre, ihrer Verfassung und ihres Kultes. Diese grundsätzliche, in der Tradition von jeher bestehende Haltung hat Pius XI. in seiner Enzyklika „Mortalium animos“ vom 6. Jänner 1928 nochmals klar und scharf hervorgehoben. Mit dieser Stellungnahme ist es von selbst gegeben, daß der Katholik den Weg Luthers und der übrigen Reformatoren als irrig ablehnt, mag er auch zugestehen, daß im Plane der Vorsehung die Reformation eine große Bedeutung für die Kirche Christi hat. Auf der anderen Seite lehnen alle evangelischen Christen, soweit sie Protestanten sind, diese dogmatische Auffassung der katholischen Kirche entschieden ab und halten den Weg Luthers im wesentlichen für berechtigt, mögen sie auch nicht alle Einzelheiten seines Vorgehens billigen. Zwi-

einen Mann finden, der unter die Räuber fiel, so können sie ihm gemeinsam aus christlicher Liebe beistehen, auch ohne sich vorher über die Rechtfertigungslehre geeinigt zu haben. Die Menschheit gleicht heute dem Manne, der unter die Räuber fiel und verwundet am Wege verschmachtet. Darum hat jetzt für alle Kirchen die Stunde des Samariters geschlagen. Und weil die Not so groß ist, daß die Kräfte keiner einzelnen Kirche zur Heilung genügen, daher sollen sie ihre Kräfte vereinigen. Indem aber die Christen in praktischer, aufbauender Arbeit zusammenstehen, werden ich wie von selbst ihre persönlichen and religiösen Gegensätze mildern, weil dann das Gemeinsame in den Vordergrund rückt.

sehen diesen beiden Polen ist für menschliche Angen keine Brücke sichtbar. Die Freunde der Una Sancta sind sich dieses dogmatischen Sachverhaltes durchaus bewußt, wiewohl sie nicht immer davon reden und ihm nicht die schroffste Formulierung geben. Sie ziehen daraus den Schluß, daß hier und jetzt eine dogmatische oder organisatorische Einheit aller christlichen Kirchen unmöglich ist.

Somit trägt die Bemühung um die Einheit der Christenheit im tiefsten Grunde das Siegel aller wahrhaft christlichen Werke an sich: sie ist eine Hoffnung wider die Hoffnung (Röm. 4, 18), nicht mit rein menschlichen Kräften erfüllbar, sondern nur durch Gottes Gnade, die in demütigem Gebet zu erflehen ist. Ja, selbst das ist uns verborgen, ob Gott die kirchliche Einheit aller Christen in dieser Weltzeit jemals verwirklichen wird.

Diese nüchterne Feststellung mußte vorausgeschickt werden, um zu zeigen, daß die Una-Sancta-Bewegung im hellen Tageslicht vor sich geht und daß hier alles vermieden werden soll, was irgendwie an Nebel oder Vernebelung erinnert. Der Name „Una Sancta" bedeutet also im Sinne der Bewegung nicht die Festlegung auf ein genau umschriebenes dogmatisches Bekenntnis — das bleibt der Entscheidung der einzelnen überlassen —, sondern die Einigung in dem ernsten, tatkräftigen Willen, nach bestem Wissen und Gewissen für die gegenseitige Verständigung unter den getrennten christlichen Kirchen zu wirken und dadurch der christlichen Einheit vorzuarbeiten. Wenn die Christen die Gläubensspältung selbst nicht beheben können, so haben sie dodi die Möglichkeit und daher auch die Pflicht, die Folgen dieses großen Übels za verringern. Darin sieht die Una-Sancta-Bewegung ihre umfassende und aussichtsreiche Aufgabe.

Ihre Bemühungen gehen in verschiedene Richtungen. Zunächst gilt es, die Atmosphäre zwischen den Bekenntnissen zu reinigen, zu entgiften. Es ist ja bekannt, wieviel Fremdheit und Gegensatzhaltung, welche Berge von Papier, wie viele überkommene Vorurteile, Verzerrungen und Abneigungen zwischen den getrennten Kirchen stehen. An ihre Stelle soll die Ehrfurcht treten, die auch im andersgläubigen Christen den Bruder in Christo achtet und liebt. Die Ehrfurcht verscheucht wie mit einem Schlag die Freude an kleinlichem Zank und Streit; sie ist bemüht, den ändern zu gewinnen, statt zu bekämpfen. Sodann sollen sich die Christen immer mehr bewußt werden, daß sie große geistig Güter gemeinsam haben und gemeinsam verteidigen müssen. Das gilt zumal für unsere Zeit, in der alle Gottesrechte und alle Menschenrechte umstritten sind, in der die gesamte menschliche Kultur in Frage gestellt ist. Es sollte möglich gemacht werden, daß bei den großen Entscheidungen im Leben der Menschheit, insbesondere in den Fragen der Völkerverständigung und der sozialen Neuordnung, die Stimme aller christlichen Kirdien einhellig erklinge und als eine Art Weltgewissen sich Gehör und Einfluß verschaffe.

Endlich gibt es viele unmittelbar praktische Aufgaben, bei deren Lösung 'ich die Christen einander die H.'.nd reichen können

— unbeschadet der dogmatischen Unterschiede. Wenn eine katholische Ordensschwester und eine evangelische Diakonissin auf dem Wege von Jerusalem nach Jericho

Aber so wichtig das Aufgeben der Gegensatzhaltung und die praktische Zusammenarbeit auch sein mögen — für die Annäherung im Glauben sind sie nur Vorstufen.; Deshalb liegt der Kern der Una-Sancta- Bestrebungen auf dem eigentlich religiösen Gebiet. Ei soll ein Ringen der Geister anheben, einander besser und richtig zu verstehen, indem man im Unterschied von den alten Streitreden den ehrlichen Willen aufbringt, die Überzeugung und das Anliegen des ändern in seinem wirklichen Sinne zu erfassen und vom Gemeinsamen aus den Bereich des Umstrittenen zu erhellen. Die Voraussetzung und treibende Kraft für diese Bemühungen ist die Erkenntnis, daß Gott ein Gott der Wahrheit ist, daß es nur eine Wahrheit gibt und daß alle Menschen, denen es nur um die Wahrheit zu tun ist, einander näherkommen. Dabei handelt es sich nicht darum, die Lehrunterschiede zu verschleiern oder zu verwischen. Dogmatische Knochenerweichung, verschwommene Einigungsformen und Augenschließen vor den entscheidenden Tatsachen werden abgelehnt; denn es herrscht Übereinstimmung darüber, daß die Wahrheit unter allen Umstäden über die Einheit zu stellen ist. Da mögen denn die Geister auch aufeinanderprallen. Das Wird der Ehrfurcht und der Liebe nicht Schaden, wenn nur der aufrichtige Wille zur Verständigung vorherrscht; denn auch der Kampf kann Menschen verbinden, wenn er um hohe Ziele und mit ritterlichen Waffen geführt wird. Freilich kommt für solche Aussprachen nicht die Masse des Kirchenvolkes in Betracht, das dadurch nur verwirrt und beunruhigt würde, sondern berufene Vertreter der einzelnen Kirchen, die über die nötige Kenntnis und Erfahrung verfügen. Aber auch der gelehrteste Theologe sollte sich bewußt sein, daß er eines konfessionellen Wörterbuches bedarf, um die Glaubenssätze, die Gemütsklänge und die tiefsten Seelenschwingungen des eigenen Bekenntnisses in die Ausdrucksweise einer fremden Theologie und Kirchlichkeit zu übersetzen.

Da aber das Leben einer Kirche sich am unmittelbarsten und sichtbarsten in fhren Gebeten und Kultformen ausspricht, hat die Una-Sancta-Bewegung sich von Anfang an mit besonderer Vorliebe der Liturgie zugewandt. Die Liturgien, in denen das Gemeinsame mehr hervortritt und das Trennende oft fast ganz verschwindet, können zu einer Brücke des Verständnisses werden. So erklärt es sich, daß es die Freunde der Una Sancta unwiderstehlich zum gemeinsamen Gebet drängt — die betenden Christen sind nahe bei Gott und nahe der Einheit.

Im Rückblick auf das Gesagte lassen sich also in der Una-Sancta-Bewegung verschiedene Richtungen unterscheiden, die man die mehr praktisch orientierte, die theologische und die liturgische nennen könnte, je nachdem das Hauptaugenmerk auf die praktische Zusammenarbeit, das Dogma oder die Kultformen abzielt. Diese Richtungen sind bestimmt, einander zu ergänzen.

Die Una-Sancta-Bewegung ist ihrer Natur nach eine stille, bescheidene Bewegung; sie weiß, daß alle ihr Bemühungen nur tastende Versuche an einem überaus schwierigen Werke sind. Große Worte und kühne Prophezeiungen liegen ihr nicht. Sie ist keine Organisation, kein Verein mit bestimmten Statuten und regelmäßigen Sitzungen; sie ist eher ein Fluidum, das die Geister bald hier, bald dort ergreift. Sie bedarf keiner lärmenden Propaganda; denn sie verbreitet sich durch die unleugbare Christlichkeit und Vernünftigkeit ihres Anliegens. Auch Widersacher erstehen ihr, denen die alte Polemik mehr zusagt als die neue Irenik. Aber vielleicht noch hinderlicher sind ihr die übereifrigen Freunde, die durch Unklugheit und Aufdringlichkeit, durch Phantasterei und Sensationslust ihre Arbeit gefährden. Die Bemühungen um die konfessionelle Verständigung erfordern gründliches Wissen, besonnenes Urteil, Zartgefühl und eine Geduld, die warten kann — Eigenschaften, die nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden können. Trotz alledem geht die Una-Sancta- Bewegung unaufhaltsam ihren Weg. Erfolge lassen sich nicht von heute auf morgen fest- stellän, wohl aber in größeren Abständen. So ist es unverkennbar, daß im deutschen Volke das Verhältnis zwischen Katholiken und Protestanten seit der Glaubensspaltung noch nie so gut war wie heute. Eine konfessionelle Polemik, wie sie noch vor 50 oder 60 Jahren üblich war, würde heute vom Kirchenvolk weder verstanden noch geduldet. Wir sind also doch weiter gekommen. Ja, es ist für jeden Christen ein erhebendes Bewußtsein, daß Gott mitten in einer zerrissenen Menschheit, in den Schrecken und Leiden der Kriege und Revolutionen die trübgewordenen Augen der Christen wieder hellsichtig gemacht hat für das hohe Ideal der einen Kirche und uns damit einen offensichtlichen Beweis gibt, daß seine Vorsehung auch in dieser dunklen Stunde der Geschichte über der Christenheit wacht.

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