Die Unbekümmertheit des Kölner Landgerichts

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Ist die religiös motivierte Beschneidung eines minderjährigen Jungen als Körperverletzung strafbar? Das Landgericht Köln hat die Frage in einer Entscheidung vom Mai 2012 bejaht. In der jüdischen Welt sorgt die Entscheidung für allerlei Irritationen. Folgt man dem Urteil, droht den in Deutschland lebenden Juden strafrechtliche Verfolgung, wenn sie der biblischen Tradition entsprechend Jungen acht Tage nach der Geburt beschneiden (Brit Mila). Die Zirkumzision ist im Judentum nicht irgendein randständiges Brauchtum, sondern für viele Juden ein wesentlicher Bestandteil jüdischer Identität. Die Brit Mila als Aufnahmeritual in die jüdische Gemeinschaft geht zurück auf die biblische Überlieferung des Bundschlusses Abrahams mit Gott (Gen 17,10-14). Doch auch im Islam wird die Beschneidung praktiziert. Sie gilt in der abrahamitischen Tradition als essenzieller Ausdruck muslimischer Religionszugehörigkeit.

Das Landgericht Köln sieht in der Beschneidung mit Einwilligung der Eltern, aber ohne medizinische Indikation durch einen Arzt - kunstgerecht vorgenommen - eine nicht gerechtfertigte Körperverletzung. Der Angeklagte wurde im Ergebnis aber freigesprochen, weil die Rechtslage verworren sei und er einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlag. Doch grundsätzlich sei die Beschneidung strafbar.

Schaut man sich die Urteilsgründe genauer an, beschleichen einen Zweifel, ob das alles so richtig ist. Schaut man sich die religions- und kriminalpolitischen Implikationen an, wachsen die Zweifel noch erheblich an.

Fragwürdige Begründungsschritte

Zunächst zum Rechtlichen: Der Streit um die Zulässigkeit der Jungenbeschneidung (die Strafbarkeit der Genitalverstümmelung von Mädchen steht außer Frage) dreht sich um die Frage, ob die Eltern rechtswirksam und damit rechtfertigend einwilligen können. Das Landgericht schließt das aus, weil die Beschneidung nicht dem Kindeswohl diene und begründet das mit drei Argumenten: Auf grundrechtlicher Ebene komme dem Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit ein absoluter Vorrang vor dem elterlichen Recht zur religiösen Erziehung zu. Denn in der Rechtswertung sei die Beschneidung mit körperlicher Züchtigung, seelischen Verletzungen und anderen Entwürdigungen des Kindes gleichzusetzen. Schließlich wird hervorgehoben, dass das Kind sich ja später von der Herkunftsreligion abwenden könnte; die Beschneidung stelle dann eine irreparable Beschädigung des Körpers dar.

Alle drei Begründungsschritte sind fragwürdig: Das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit ist zwar von hoher Bedeutung. Doch schließt das eine grundrechtliche Kollisionslage nicht per se aus. In der Abwägung der Rechtsgüter ist dann auch die relativ geringe Intensität der körperlichen Beeinträchtigung und die hohe Bedeutung für die religiöse Identitätsbegründung in Rechnung zu stellen. Das Gebot gewaltfreier Erziehung wird durch die Beschneidung nicht berührt: Schmerzzufügung und Demütigung sind keine erlaubten Erziehungsmittel, sagt das Gesetz. Der soziale Sinn und das physiologische Geschehen einer kunstgerecht durchgeführten Zirkumzision sind aber etwas völlig anderes. Bleibt schließlich das Argument des bleibenden Stigmas. Der Beschnittene bleibt für sein Leben "gezeichnet“. Die leibliche Folge der Beschneidung stellt die Freiheit nicht infrage, die inkulturierte religiöse Tradition später abzustreifen. Es scheint ein Argument durch, das zum Standardarsenal der antireligiösen Eiferer gehört: Über religiöse Zugehörigkeit könne erst der Mündige selbst entscheiden, weshalb man Kinder von allen religiösen Einflüssen fernhalten müsse, damit es zu keiner Vorprägung kommt. Die Religionssoziologie weiß es besser: Selbstbestimmung über religiöse Zugehörigkeit setzt in der Regel ein Vertrautwerden mit religiöser Tradition voraus. Auch ist nicht recht erkennbar, warum eine Beschneidung dem Interesse, als Erwachsener über seine Religion zu entscheiden, zuwiderlaufen soll: Geschätzt mindestens ein Viertel der männlichen Weltbevölkerung ist beschnitten. In der Bewertung der Beschneidung von Männern und Jungen kommen eine Fülle kulturgeschichtlich-religiöser, medizinischer und ästhetisch-lebens-praktischer Aspekte zusammen. Im Raum stehen über Tausende Jahre gepflegtes religiös-kulturelles Brauchtum, lange Traditionen antireligiöser und antisemitischer Polemiken, das spannungsgelandene Feld der sexuellen Lust und sexuellen Tabuisierungen, kulturelle Wahrnehmungen von Körperlichkeit, der biopolitische Zugriff des Staates auf den Körper und die alte Frage, inwieweit die freiheitlich-demokratische Staatsgewalt Mittel zur Durchsetzung einer rationalistischen Aufklärung sein soll und darf.

Welche Signale gehen von einem Verbot aus?

Liest man die Entscheidung des Landgerichts Köln, verwundert vor dem Hintergrund dieser komplexen Gemengelage die Unbekümmertheit, mit der das Gericht zu Werke geht. So stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, ausgerechnet den Arzt zu kriminalisieren, der die Beschneidung durchführt. Denn mit der Abdrängung solcher tradierten Praktiken in die Illegalität droht die Einschaltung von Pfuschern. Welches Signal geht davon aus, dass ausgerechnet in Deutschland nun ein strafrechtliches Beschneidungsverbot bestehen soll? Dass Juden für die Beschneidung Deutschland verlassen müssen, um ihre Religion entsprechend den eigenen Lehren leben zu können? Was sagt die Entscheidung den Muslimen, die in hohem Maße integrationswillig sind, aber bestimmte religiöse Traditionen doch pflegen wollen?

Rechtsethisch und strafrechtlich wirft die Beschneidung von männlichen Minderjährigen schwerwiegende Fragen auf. So leicht wie das Landgericht Köln sollte man es sich bei der Beantwortung dieser Fragen nicht machen.

* Der Autor ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen und leitet das Kirchenrechtliche Institut der EKD

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