Die vergessene Freiheit

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Österreichs Katholiken sollten sich (wieder) als Anwälte von Weltoffenheit und Freiheit profilieren.

Feierstunden waren angesagt, zumindest für die katholische Kirche Wiens: Vor 50 Jahren wurde der Stephansdom wiedereröffnet. Das Foto des Zugs der neugegossenen Pummerin durch die Kärntner Straße, Generationen von Schülern im Heimatkunde- oder Geschichtsunterricht nahegebracht, gilt als Symbol fürs Wiedererstehen Österreichs. Rund um den Stephansdom wurde im April - 50 Jahre danach - denn auch gefeiert.

Ein weiteres, kirchenhistorisch mindestens ebenso wichtiges Jubiläum folgt in den ersten Maitagen: Eine Studientagung im Vorfeld des Österreichischen Katholikentages 1952 brachte als Abschlussbericht das Mariazeller Manifest hervor, das von der "freien Kirche in der freien Gesellschaft" sprach und nicht zuletzt der parteipolitischen Ausrichtung der katholischen Kirche Österreichs eine Absage erteilte (vgl. Seite 4 und 5 dieser furche). Es ist kein Zufall, dass dieser Jahrestag weit weniger Feier-Resonanz findet. Das liegt nicht nur daran, dass ein Gedenken an diese epochale politische Weichenstellung des österreichischen Nachkriegs-Katholizismus sperriger zu handhaben ist als die gemütsvolle Erinnerung an den Wiederaufbau des österreichischen Nationalsymbols, das der "Steffl" auch darstellt.

Die "Sperrigkeit" ist nicht der einzige Grund, dass die Erinnerung ans Mariazeller Manifest leise ausfällt: Denn der Aufbruch, den das Manifest markierte, ist beinahe vergessen. Die Visionen von der freien Gesellschaft, die durch eine freie Kirche wesentlich mitgestaltet wird, wurden damals von vielen jungen Intellektuellen vorgedacht - und von der Kirche nachvollzogen: "Die Kirche ist es heute, die die Fahne der Freiheit hochhält, und besonders der Kirche wird es zu danken sein, wenn Freiheit und Würde des Menschen über diese Zeit der Bedrängnis hinübergerettet werden." Dieser entscheidende Satz des Mariazeller Manifestes erstaunt heutzutage. Auch wenn man in obiger Freiheitsansage die in den Knochen steckende Erfahrung des Dritten Reiches und die große Sehnsucht nach der Befreiung von den Besatzungsmächten spürt, so gilt der Kern des Satzes heute genauso wie damals.

Man wird jedoch nur wenige finden, die die katholische Kirche Österreichs heute noch als Vorreiterin der Freiheit erleben, und noch weniger sehen in ihr zur Zeit die Vorwärtsstürmer der Gesellschaft. Auch wenn der Theologe Paul M. Zulehner eine "Respiritualisierung" der Gesellschaft konstatiert, kann von Aufbruch keine Rede sein. Die Gesellschaft positiv und nachhaltig zu gestalten, war das stürmische Verlangen der jungen Nachkriegskirche, diesem Impetus entsprang auch das Mariazeller Manifest.

Eine Gestaltung der Gesellschaft durch katholische Christen ist in Österreich derzeit aber wenig sichtbar. Stattdessen fällt die Kirche, vom sozialen Engagement abgesehen, öffentlich vor allem durch Defensive auf: Man schützt sich - wie etwa vor wenigen Wochen gegen als unflätig empfundene Jesus-Darstellungen -, aber man gehört nicht zu den Vorreitern und Vordenkern im Lande oder bedient sich nicht der Vorreiter und Vordenker: Das ist der gravierendste Unterschied zur Aufbruchszeit vor 50 Jahren.

In vielen Teilen der Welt sieht sich die katholische Kirche zur Zeit durch Missbrauchsskandale bedrängt. Auch wenn Österreich diesmal nicht an erster Stelle involviert ist, wird die Erinnerung an die Kirchengeschichte der letzten sieben Jahre wieder wach und das Wissen, dass die durch die Affäre Groër aufgebrochenen Wunden nicht geheilt sind.

Es hat in der Kirche in diesen sieben Jahren durchaus Aufbrüche und Anläufe dazu gegeben - auch wenn die Kirchenleitung einiges davon nicht ernst genommen hat: Die meisten Bischöfe versuchten etwa, das Kirchenvolks-Begehren "auszusitzen"; und der "Dialog für Österreich" von 1998, eine einmalige Chance, die schlingernde Kirche wieder in ruhige Wasser zu bringen und neuen Aufbruch zu wagen, wurde - mit tatkräftiger Unterstützung Roms - eingeschläfert.

Nun wird in Wien ein neuer Versuch gestartet, verlorenes Terrain wiederzugewinnen: Am 4. Mai eröffnet Kardinal Schönborn mit seinen Amtsbrüdern aus Paris, Brüssel und Lissabon die "Stadtmission", ein Projekt, das sich die Neuevangelisierung der Großstadt vornimmt. Die inhaltlich von der aus Frankreich kommenden Bewegung "Emmanuel" getragene Initiative setzt auf Begegnung: "Um die Sorgen und Nöte der Menschen in der Großstadt ernst zu nehmen, muss die Kirche auf den Städten und Plätzen das Gespräch mit den Leuten suchen. Nur so kommt die Botschaft des menschenfreundlichen Gottes heute in den Alltag." Solches soll 2003 in Wien beim "Internationalen Kongress für eine Neue Evangelisation" geschehen.

Jeder Versuch der katholischen Kirche Österreichs, wieder an Relevanz zu gewinnen, ist zweifelsohne zu begrüßen. Die Botschaft Jesu in die Öffentlichkeit zu tragen - auch das gehört zu den Ur-Aufgaben der Christen im Lande.

Doch es bleibt die Frage, wie das alles erreicht werden kann, wenn im eigenen Haus noch viel zu bestellen ist: Die konzilsbewegten Katholiken, wahrscheinlich immer noch der Gutteil der Engagierten, wurden durch das schmähliche Ende des "Dialogs für Österreich" brüskiert. Oder: Für den drückenden Priestermangel, der immer dramatischer wird, gibt es keine kreativen Lösungsansätze. Derartige Fragen sind der katholischen Kirche ins Stammbuch geschrieben.

Für neue Initiativen soll Offenheit herrschen - ebenfalls aber für die spezifische Geschichte, auf der Österreichs Kirche fußt. Auch wenn niemand die Zeit von 1952 wiederbeschwören will, ist es kein gutes Zeichen, dass der Aufbruch des Mariazeller Manifestes in Vergessenheit geraten ist. Eine "Kirche der weltoffenen Türen und ausgebreiteten Arme, bereit zur Zusammenarbeit mit allen": Das Mariazeller Manifest hat genau dieser Kirche das Wort geredet.

Es wäre befreiend, würde sich Österreichs katholische Kirche heute wieder zur Anwältin der Weltoffentheit und der Freiheit - als Dienst an der Menschenwürde - aufschwingen.

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