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Die Welt bewegen wollen

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Die Menschheit ruft nach Einheit und Frieden, und doch scheint sie mehr und mehr auseinanderzubrechen. Wir reden von Globalisierung und Lokalisierung. Wenn nicht alles täuscht, ereignet sich die Globalisierung immer mehr auf der Ebene zivilisatorisch-technischer Prozesse, in der Welt der »Wissenschaften, der Kommunikationsmedien, der Verkehrsverbindungen, also in der materiellen Welt. Welche Rolle spielen dabei noch die geistigen Tendenzen? Wieweit kommen Religionen, die traditionellen „Geistes" - Wissenschaften, Kunst und Literatur in diesen Prozessen noch als verbindende Brücken vor? Woher stammt die „Verbindlichkeit" im menschlichen Leben?

Interessanterweise gehört in diesen Zusammenhang freilich auch das Stichwort „Spiritualität"; es hat heute unbestritten Konjunktur. Dabei ist es inzwischen eher ein asiatisches als ein christlich-europäisches Wort. Im Gegensatz zu „Religion" ist „Spiritualität" weniger institutionell bestimmt; dafür bezieht sie sich vor allem auf die Felder geistiger Wirkkräfte und Antriebe, auf sinnvermittelnde Wege und Zielvorstellungen. „Spiritualität" hat materiell mit der Atmosphäre zu tun, in der wir leben, auch mit der Luft, die wir einatmen, doch das nicht nur in körperlicher, sondern in ganzmenschlicher Hinsicht, so daß Leib und Seele ineins gesehen werden. „Spiritualität" ist im Grunde kein menschliches Produkt, sondern von dem bestimmt, was dem Menschen unauffällig zum Leben vorgegeben ist. Dieses Feld aber will wahrgenommen werden, weil erst so seine Bedeutung erkannt wird und sich das Geistige als das die Menschen Verbindende erweist.

Längst wird wieder von „Wegen der Spiritualität", aber auch von „Wegen zur Spiritualität" gesprochen. Das Weghafte spricht uns aber -wie gesagt - vor allem aus den asiatischen Beligionen an. Sie machen weltweit deutlich, daß der Mensch nicht vom Brot, von der menschlichen Arbeit und Produktion allein lebt. Entsprechend läßt sich auch aller Fortschritt in der materiellen Welt nicht gegen den Verlust der Wertvorstellungen, den Abbau moralischen Verhaltens und die Blindheit für geistige Wegweisung aufrechnen. Bei allem Fortschritt ist Spiritualität gefordert.

Die Schwäche des abendländischen Christentums beruht demgegenüber auf einer Mehrzahl von Gründen. Wenn nicht alles täuscht, betonen asiatische Religionen weniger als die jüdisch-christliche oder der Islam die*1 Unterscheidungen und Gegensätze und stattdessen das Ganzheitliche, die Harmonie, die Identität. Wir brauchen nur an die Grundunterscheidungen von Geist und Materie, Gut und Böse, wahr und falsch, auch Mann und Frau zu denken, die auf ihre Weise zu eigentümlichen Sequenzen, aber soziologisch auch zu feindlichen Blöcken geführt haben. Wieweit die genannten Gegensätze ursprünglich in den genannten Religionen gründen beziehungsweise wieweit sie im Entscheidungsraum des Christentums ihre Zuspitzung erfahren haben, wäre einer eigenen Erörterung wert.

Christlicherseits ist der Umgang mit der Macht ein zentraler Gesichtspunkt. Sobald aus der Minoritätsreligion eine Staatsreligion wurde und das Staatswesen des Römischen Reichs seinerseits zum Maßstab für weitere Staatsgründungen in aller Welt wurde, herrschte die Überzeugung vor, daß die Welt sich der christlichen Botschaft zu unterwerfen hat. Erst der Zusammenbruch dieser mehrgliedri-gen Herrschaftsposition der abendländischen Kultur führte die christliche Religion in die Krise und eröffnete alternativen Denkweisen Tür und Tor.

Die neue Begegnungssituation war in gewissem Sinne vorgeformt durch die Propagierung neuzeitlicher Grundworte wie Freiheit und Toleranz, Gleichberechtigung und Dialog. Diese aber lassen sich -wie eingangs bemerkt - inhaltlich nicht mit den wissenschaftlich-technischen Errungenschaften der Neuzeit füllen, zumal wenn es vorrangig um die Erweiterung menschlichen Wissens und Könnens geht, ohne daß mit diesen zugleich die Verantwortung wächst. Säkularisierung als Freisetzung der Gesellschaft von religiöser Wegweisung und Normvermittlung ist aber dann im Fortschritt westlicher Neuzeit eine wachsende Geschichte von „Geist-Iosigkeit" und materieller 1 Ierrschaft.

Dieses früher erkannt zu haben als die westliche Welt, stellt heute eine der Provokationen außereuropäischer Kulturen und Religionen dar, wo sie sich auf ihre eigenen Ursprünge besinnen. Unbestritten hat die außereuropäische Welt ihre eigenen Schwächen. Es kommt hinzu, daß das deutlich markierte Gegenüber abnimmt, die Verflochtenheit der Kulturen zunimmt. Für das kirchlich verfaßte Christentum aber wird es darauf ankommen, daß es seine Kraft erneut aus der geistlichen Inspiration seines Ursprungs schöpft und nicht aus den geschichtlich gewonnenen Privilegien, seinen organisatorischen Stärken und seinem machtbewußten Systemdenken ableitet.

Im Markusevangelium heißt es, daß Jesus vom Geist in die Wüste geführt wurde. Eine solche Geistführung wäre auch heute eine Chance für Menschen, die die Welt bewegen wollen.

Der Autor ist

Jesuit und Professor für Fundamentaltheologie in Bonn

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