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Die werdende Kirche

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DIE WERDENDE KIRCHE. Eine Einführung in die Apostelgeschichte. Von Otto Dibelius. 6. Auflage. Furche-Verlag, Hamburg 1962. 366 Seiten. Preis 11.80 DM.

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DIE WERDENDE KIRCHE. Eine Einführung in die Apostelgeschichte. Von Otto Dibelius. 6. Auflage. Furche-Verlag, Hamburg 1962. 366 Seiten. Preis 11.80 DM.

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Daß diese „Einführung“ in die älteste Geschichte der Kirche schon in sechster (und, wie Stichproben ergaben, nahezu unveränderter) Auflage erscheint, ist ein eindeutiger Beweis für ihre hohen Qualitäten. Wissenschaftlich gut fundiert, aber für breitere Kreise geschrieben, verwirrt sie den Leser nicht mit allen möglichen hyperkritischen Einwänden, sondern der Text wird gläubig gelesen. Die Bekehrung des Saulus war also wirklich ein Gnadenwunder, ein Geheimnis Gottes (vgl. Seite 126), die Areopropaganda stammt wirklich vom Völkerapostel (S. 257) usw. Der „Widerspruch“ zwischen den Angaben des Galaterbriefes und der Apostelgeschichte, der bekanntlich von manchen Bibelkritikern unnötig hochgespielt wurde, erfährt auf S. 233 eine nüchterne und durchaus einleuchtende Erklärung.

Der Verfasser ist kein lebensfremder Schreibtischtheologe, sondern auch praktischer Seelsorger, das beweist die feine Beobachtung über das „Spießrutenlaufen“ des Synagogenvorstehers Crispus (S. 271), das zeigt aber vor allem die realistische Feststellung auf S. 216: „Auf Geistesangaben kann man keine Ordnung aufbauen. Denn Geistesgaben sind nicht überall da, und machen kann man sie nicht… “, woraus sich eben für Paulus die zwingende Notwendigkeit ergab, schon frühzeitig in seinen Gemeinden „Älteste“ einzusetzen (Apg 14, 23), damit war praktisch die sichtbare Kirche bereits da. Auf der Seite 140 und folgenden lesen wir über dieses „heiße Eisen“ folgenden mutigen Satz (und an Mut hat es dem Berliner Bischof auch in den allerletzten schweren Jahren wahrlich nicht gefehlt): „Das Wort ,Kirche hatte bei der evangelischen Christenheit Deutschlands Jahrhunderte lang einen schlechten Klang. Man fürchtete immer, in katholische Denkweise abzugleiten, wenn man zuviel von Kirche redete. Je höher die Katholiken die Kirche stellten, um so mehr glaubte man evangelischerseits das Gegenteil tun zu müssen….“ Erst als dann die staatlichen, beziehungsweise dynasti schen Stützen wegfielen, bemerkte man, daß das ein Irrtum war. Nach der Heiligen Schrift ist „ein unsichtbares Gottesvolk … ein Widerspruch in sich selbst“ (144).

Leider sind aber auch völlig veraltete Sätze stehengeblieben, zum Beispiel auf S. 319 die Bemerkung zu Apg 21, 23: „Die Feigheit der Gemeindeleitung von Jerusalem, die Bedingungen stellte, wo sie die Pflicht gehabt hätte, sich offen zu dem Prediger des großen Allein zu bekennen — sie hat den Paulus in den Tod geschickt.“ Letzteres stimmt auf keinen Fall. Selbst nach der Göttinger Bibel 9 (1963) S. 2, „weiß keine einzige alte Quelle davon, daß Paulus nach der ersten römischen Gefangenschaft hingerichtet worden sei.“ Er hätte vgl. Apg 23, 21) als

„Apostat“ auch mitten in der Stadt von irgendeinem fanatischen Juden getötet werden können — in diesem Fall aber ohne römischen Schutz. Und daß die Situation in Jerusalem damals wesentlich komplizierter war, als man sich das gewöhnlich vorstellt, ja die Einheit der ganzen Urkirche auf dem Spiel stand, was der umsichtige Jakobus natürlich um jeden Preis vermeiden wollte, das hat neuestens wieder E. Haen- chen („Die Apostelgeschichte“, 1959, S. 544) in dankenswerter Gründlichkeit und Objektivität auf gezeigt. Ferner ist man über das große „Allein“ seit Jahren auch in führenden evangelischen Kreisen gelegentlich schon recht verschiedener Meinung, vgl. etwa die Schrift des Landesbischofs Wilhelm Stählin: „Allein. Recht und Gefahr einer polemischen Formel“ (Stuttgart 1950). Vielleicht ist es bei der nächsten Auflage doch möglich, das Werk im ökumenischen Sinn zu modernisieren und damit neue, dankbare Leser zu gewinnen.

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