Die Wiedergeburt des Atems

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Mystik nimmt im Rahmen des interreligiösen Gesprächs eine Sonderstellung ein, weil sie in den Dialog das Schweigen integriert.

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Mystik nimmt im Rahmen des interreligiösen Gesprächs eine Sonderstellung ein, weil sie in den Dialog das Schweigen integriert.

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Wenn ich den spirituellen Traditionen und Theologien der Völker die Rede vom Atem ist, dann wird eine interreligiöse Diskrepanz sichtbar. Hat im asiatischen Bereich der Atem für Meditation und Gebet eine wesentliche, dem Menschen zugeordnete Funktion, so ist dies im Christentum völlig anders: Hier atmet scheinbar nur Gott. Ist es statthaft den Odem Gottes, den Heiligen Geist, in Verbindung mit dem menschlichen Atem zu sehen?

Diese Frage stellt sich niemand mehr, der die "Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers" gelesen hat, der Oberton-, Atem- oder Meditationsseminare besucht hat, oder der mit den mystischen Traditionen der Weltreligionen in Verbindung gekommen ist. Wer sich mit Mystik beschäftigt, kommt wie von selbst in ein Reich, in dem eine spirituelle Praxis gefordert ist und zumeist auch gelehrt wird. Um aber eine innere Erfahrung machen zu können, muss auch das geeignete Mittel dazu erkundet werden.

Ein Weg dazu ist die Verinnerlichung. Dabei spielt in der asiatischen Mystik die Rhythmik des Atems eine wesentliche Rolle. Wer mit seinem Atem meditiert oder betet, der erfährt (eine geistige) Ruhe in den Gedanken, die Bedingung für die staunende Annäherung an Gott ist. Über das immer währende Jesusgebet lesen wir im Gotteslob auf der Seite 28 Nr. 6 folgende Hinweise: "Man wiederholt im Einklang mit dem Atem unablässig" den Gottesnamen und erfährt durch Übung tiefe und innere Freiheit. Wenn jemand noch nach dem Nutzen eines Gespräches über Mystik unter den Religionen fragen sollte, so sei die Entdeckung des eigenen Verschütteten durch die Begegnung mit dem Anderen am Beispiel des Atems Antwort genug.

Der Fall der Mauer Längst ist das Thema Mystik salonfähig und interessant geworden. Jedem scheint klar zu sein, dass der religiöse Mensch der Zukunft stärker aus mystischen Quellen leben wird müssen, will er der postmodernen Beliebigkeit nicht auf den Leim gehen. Gab es in den sechziger Jahren und in deren Gefolge eine heftige ideologische Front gegen das Thema Spiritualität und religiöse Erfahrung, so ist diese nun abgebröckelt und gleicht einem geborstenen Damm, der nun keinen Widerstand mehr für die Flut bietet. Und diese ist bereits gekommen.

Da die Mystik aller Religionen immer auch einen anti-institutionellen Zug hat, wundert es einen nicht, wenn der heutige Mensch, der institutionsverzagt geworden ist, sich mit beiden Händen nach dem ausstreckt, was sich ihm bietet - falls er eine religiöse Erfahrung machen möchte.

Diese Wende ist in der geistigen Landschaft Europas lange schon eingetreten, und nun gilt es, Orientierung zu finden. Theologisch-dogmatische Ängstlichkeiten helfen den Kirchenverantwortlichen dabei ebenso wenig wie dem Suchenden die vollen Bücherregale einer Esoterik-Buchhandlung. Besser als jeglicher Totalkonsum ist ein geführtes Hineinwachsen in diesen Dialog, der im Gesamtrahmen des interreligiösen Gespräches einen Sonderstatus einnimmt, weil er im Dialog das Schweigen methodisch integriert.

Eine Leitfigur finden Ein uraltes Prizip jeglicher Mystik ist die Schülerschaft. Da nicht einmal ein Meister Eckhart vom Himmel gefallen ist, scheint es notwendig, eine Leitfigur zur persönlichen Orientierung zu finden. In der Gestalt des französischen Benediktiners Henri Le Saux (1910-73) tritt uns eine solche entgegen: Le Saux verlässt als junger Mönch in den frühen fünfziger Jahren die Stille seiner bretonischen Abtei um in Indien auf die noch lebendige Tradition hinduistischer Mystik zu stoßen. Ein schmerzhafter Prozess der Überwindung von Schwellenängsten begleitet seinen spirituellen Weg. Er ist nach den Jesuiten Robert de Nobili und Mateo Ricci (in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts) der erste christliche Theologe, der sich mit Haut und Haaren in die Tiefe der indischen Erfahrung hinablässt, ohne dabei die synchrone Auslotung der christlichen Innerlichkeit zu beenden.

Seine Schriften - im Besonderen sein Tagebuch - geben Auskunft über die Tiefen und Katarakte auf diesem Weg. Le Saux - der sich in Indien Swami Abhishiktananda, die Freude am Gesalbten nennt - wird so zum christlichen Mystiker, der durch seine Existenz Brückenbauer für spirituell Suchende aus verschiedenen Traditionen ist.

"Jeder, der sich rückhaltlos auf die innere Pilgerschaft zur Quelle des Seins macht, begibt sich auf eine Reise ins Unbekannte", so schreibt er in sein Tagebuch und buchstabiert durch sein Meditieren, Beten und Schreiben die Erfahrungen auf dieser "Pilgerschaft" mühsam nach. Henri Le Saux/Abhishiktananda erspart einem, wenn man ihm auf diesem Weg folgen will, nicht die Aufgabe zu Denken und die Kraftanstrengung, die man benötigt, um Unsicherheiten auszuhalten. Aus der Sicht eines westlich gebildeten Theologen mit großer Sehnsucht nach mystischer Erfahrung werden in seinem Leben die bereichernden Elemente des Hinduismus als nicht unintegrierbar erfahren. Dennoch ist es nicht ein Vermischen verschiedener Traditionen.

Diese Diskrepanz, die für das diskursive, logische Denken unlösbar scheint, ist in der mystischen Erfahrung "aufgehoben". Die Brücke, die Le Saux in fast 30 Jahren gebaut hat, wird nun seit vielen Jahren von Schülern und Lehrern, Philosophen, und Theologen, Hindus und Christen beschritten, und sie hält noch immer.

Die Kategorie der Erfahrung Der gesamte Dialog über Mystik, der in der ganzen Welt eingesetzt hat, (etwa in der Zeitschrift "Bulletin for interreligious monastic dialogue") hat aber eines gemeinsam: das Streben nach persönlicher spiritueller Erfahrung. Das methodische spirituelle Atmen im Sinne des Za Zen, des Yoga oder des Betens der Starzen, der in Askese und Kontemplation erfahrenen orthodoxen Mönche, ist dabei eine der vielen Strickleitern zu Gott, die uns als Wiederentdeckung in diesem interreligiösen Dialog geschenkt sind.

Der Autor ist Hochschulseelsorger in Klagenfurt.

Symposium: "... damit sie alle eins seien" Mystik im interreligiösen Dialog Veranstalter: kath. Bildungshäuser Mariatrost, St. Georgen/Längsee, ev. Bildungshaus Deutschfeistritz Aus dem Programm: * Der heutige Konmtext des Interesses für Mystik, Berhardin Schellenberger/Stuttgart * Die Mystik des Johannesevangeliums, Irene Leicht/Freiburg * Hinduistische Mystik, Bettina Bäumer/Benares * Mystische Dimensionen heutiger Esoterik, Maria Widl,/Wien * Zur Mystik des Islam, Annemarie Schimmel/Bonn * Einübung in die Tradition des Herzensgebets, Hans-Peter Premur Zeit: 24. bis 26. April Ort: Evangelisches Bildungshaus, 8121 Deutschfeistritz 208 Informationen, Anmeldung: Tel. 03127/41120, Fax: -8 www.3b-infotainment.de/ev-bild Tagungsbeitrag: öS 1.500,- (Vollpension ca. öS 1.200,-) Anmeldeschluss: 5. April 2001 Buchtipps Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers. Eingel. u. hg. von Emmanuel Jungclaussen. 8., neuausgest. Aufl., Herder, Freiburg 2000. 237 Seiten, kt., öS 137,-/e 9,96 Ascent of the depth of the heart. The Spritual Diary of Swami Abhishiktananda/Henri Le Saux 1948-1973. Hg, von Raimon Panikkar u. David Felming. Indian Society for Promoting Christian Knowledge, Delhi 1999. 411 Seiten, kt., öS 360,-/e 26,14 Eine deutsche Ausgabe von H. Le Saux' Tagebuch ist zur Zeit nicht erhältlich.

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