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Die Zukunft des Papst-Primates

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Am 18. Juli d. J. jährt sich zum 100. Male der Tag, an dem auf dem Ersten Vatikanum das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes verkündet wurde: „Zur Ehre Gottes unseres Heilands, zur Erhöhung der katholischen Religion, zum Heil der christlichen Völker lehren und erklären Wir endgültig als von Gott geoffenbarten Glaubenssatz, in treuem Anschluß an die vom Anfang des christlichen Glaubens her erhaltene Uberlieferung, unter Zustimmung des heiligen Konzils: Wenn der römische Bischof in höchster Lehrgewalt (ex cathedra) spricht, das heißt, wenn er seines Amtes als Hirt und Lehrer aller Christen waltend, in höchster apostolischer Amtsgewalt endgültig entscheidet, eine Lehre über den Glauben oder Sitten sei von der ganzen Kirche festzuhalten, so besitzt er auf Grund des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen ist, jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren ausgerüstet haben wollte. Diese endgültigen Entscheidungen des römischen Bischofs sind daher aus sich und nicht auf Grund der Kirche unabänderlich.“

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Am 18. Juli d. J. jährt sich zum 100. Male der Tag, an dem auf dem Ersten Vatikanum das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes verkündet wurde: „Zur Ehre Gottes unseres Heilands, zur Erhöhung der katholischen Religion, zum Heil der christlichen Völker lehren und erklären Wir endgültig als von Gott geoffenbarten Glaubenssatz, in treuem Anschluß an die vom Anfang des christlichen Glaubens her erhaltene Uberlieferung, unter Zustimmung des heiligen Konzils: Wenn der römische Bischof in höchster Lehrgewalt (ex cathedra) spricht, das heißt, wenn er seines Amtes als Hirt und Lehrer aller Christen waltend, in höchster apostolischer Amtsgewalt endgültig entscheidet, eine Lehre über den Glauben oder Sitten sei von der ganzen Kirche festzuhalten, so besitzt er auf Grund des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen ist, jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren ausgerüstet haben wollte. Diese endgültigen Entscheidungen des römischen Bischofs sind daher aus sich und nicht auf Grund der Kirche unabänderlich.“

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Hundert Jahre nach diesem Ereignis bekommt man bisweilen den Eindruck, als ob sich Theologen und auch andere von dieser Wahrheit wieder abwenden wollten. Die heftigen Kritiken an Papst Paul VI., die durch die Enzyklika „Humanae vitae“, durch das Festhalten des Papstes an der Zölibatsverpflicht-tung sowie durch die verschiedenartigen Interpretationen der Kollegialität ausgelöst wurden, richten sich nicht im Inhaltlichen gegen den Unfehlbarkeitsglauben, da es sich ja nicht um feierliche und indeflnible Entscheidungen des Papstes handelt. Aber sie erwecken in der Art und Weise, wie sie geschehen, doch den Eindruck, daß man das Lehramt des Papstes voll und ganz von der Mitentscheidung aller Theologen, ja womöglich des gesamten gläubigen Volkes abhängig machen wollte. Mögen die einzelen Angriffe auch nicht diese präzise Voraussetzung haben, so zielen sie auf eine Einschränkung der Autoritätsausübung des Papstes. Hat das Zweite Vatikanische Konzil eine Korrektur an der Entscheidung des Ersten Vatikanums vorgenommen, oder wie ist diese Krise zu erklären? Das Zweite Vatikanische Konzil versteht sich in seiner Lehre über die Kirche als Fortsetzung des Ersten Vatikanums. Das dritte Kapitel der Konstitution „Lumen gentium“ handelt über die hierarchische Struktur der Kirche. Es baut ganz und gar auf der Lehre des Ersten Vaticanums auf.

„Der Bischof von Rom hat nämlich kraft seines Amtes als Stellvertreter Christi und Hirt der ganzen Kirche volle, höchste und universale Gewalt über die Kirche und kann sie immer frei ausüben.“ (Lumen gentium 22) „Der Bischof von Rom ist als Nachfolger Petri das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielfalt von Bischöfen und Gläubigen.“ (Ebd. 23) „Dieser Unfehlbarkeit erfreut sich der Bischof von Rom, das Haupt des Bischofskollegiums, kraft seines Amtes, wenn er als oberster Hirt und Lehrer aller Christgläubigen, der seine Brüder im Glauben stärkt (vgl. Lc 22, 32), eine Glaubens- und Sittenlehre ir, seinem endgültigen Akt verkündet. Daher heißen seine Definitionen mit Recht aus sich und nicht erst auf Grund der Zustimmung der Kirche unanfechtbar, da sie unter dem Beistand des Heiligen Geistes vorgebracht sind, der ihm im heiligen Petrus verheißen wj-rdej“ (Ebd. 25) Aber es setzt diese Lehre auch fort. Das Erste Vatikanum mußte kurz nach der Unfehlbarkeitserklärung durch den Ausbruch des deutsch-französischen Krieges unterbrochen werden. Es konnte somit die beabsichtigte Arbeit nicht vollenden. Über das Amt des Bischofs wurde nicht mehr verhandelt. Hier setzt das Zweite Vatikanum die Arbeit des Ersten Vatikanums fort. Die zwei Kernfragen bildeten die Sakramentalität der Bischofsweihe und der unmittelbar göttliche Ursprung der bischöflichen Vollmachten einerseits:

„Die Bischöfe empfangen als Nachfolger der Apostel vom Herrn, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist, die Sendung, alle Völker zu lehren und das Evangelium jedwedem Geschöpf zu verkünden.“ (Ebd. 24) „Der Bischof ist, mit der Fülle des W eih e s akr am ent e s ausgestattet, Verwalter der Gnade des höchsten Priestertums“ (Ebd. 26).

Andererseits die sogenannte Kollegialität der Bischöfe. Und dieser Begriff der Kollegialität rief viele Debatten hervor.

Das Kollegium der Bischöfe wird gebildet durch den Gesamtepiskopat einschließlich des Papstes. Es ist die Nachfolge des Apostelkollegiums der „Zwölf“. Die Vollmacht, die Jesus dem Petrus gegeben hatte: „Was immer du auf Erden binden wirst, wird auch im Himmel gebunden sein ...“ (Mt 16, 18), gab Er auch den „Zwölf“ (Mt 18, 18). Diese beiden stellen nicht getrennte Gewalten dar, sondern die eine, oberste Leitungsgewalt in der Kirche, die auf zweifache Weise ausgeübt werden kann: vom Papst mit dem Gesamtepiskopat (allgemeines Konzil) oder vom Papst allein. Das Kollegium steht nie dem Papst gegenüber, weil es ohne Papst gar nicht besteht. Es ist nicht sosehr eine rechtliche Institution, sondern vielmehr die Communio unter den Bischöfen, das heißt die Verbindung der Bischöfe untereinander, die sich gerade in der Einheit des Glaubens offenbart. Die starke Hervorhebung des Kollegialitätsgedankens hat viele veranlaßt, das allgemeine Konzil wie auch partikuläre Synoden als eine Art Parlament aufzufassen, von dem der Papst schließlich und endlich abhängig ist. Wie falsch diese Auffassung ist, ersieht man daraus, daß eine Synode ohne Bischof gar nicht existiert und ebenso wenig das allgemeine Konzil ohne Papst. Es handelt sich hier also um etwas völlig anderes als um ein Parlament. „Das Kollegium oder die Körperschaft der Bischöfe hat aber nur Autorität, wenn das Kollegium verstanden wird in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom, dem Nachfolger Petri als seinem Haupt, und unbeschadet dessen primatia-ler Gewalt über alle Hirten und Gläubigen.“ (Ebd. 22) „Die einzelnen Bischöfe besitzen zwar nicht den Vorzug der Unfehlbarkeit; Wenn sie aber, in der Welt räumlich getrennt, jedoch in Wahrung des Gemeinschaftsbandes untereinander und mit dem Nachfolger Petri, authentisch in Glaubensund Sittensachen lehren und eine bestimmte Lehre übereinstimmend als endgültig verpflichtend vortragen, so verkünden sie auf unfehlbare Weise die Lehre Christi.“ (Ebd. 25).„Kollegium wird nicht im streng juridischen Sinne verstanden, das heißt nicht von einem Kreis von Gleichrangigen, die etwa ihre Gewalt auf ihren Vorsitzenden übertrügen, sondern als fester Kreis, dessen Struktur und Autorität der Offenbarung entnommen werden müssen ... Aus dem gleichen Grunde werden immer wieder auf das Bischofskollegium auch die Ausdrücke ,Ordnung' (Ordo) oder Körperschaft' (Corpus) angewandt“ (Erläuternde Vorbemerkungen 1). Trotzdem ist damit die Bedeutung des Kollegialitätsgedankens nicht ganz erschöpft. Immer mehr zeigen sich die großen Verschiedenheiten der einzelnen Teilkirchen der einen großen Weltkirche. Daß diese Teilkirchen nicht allen Belangen von einer obersten Spitze regiert werden können, ist jedem einsichtig. Dazu sind ja schließlich und endlich auch die Bischöfe eingesetzt, um ihre Teilkirchen nach den gesonderten Verhältnissen zu regieren. Aber auch die einzelnen Bischöfe können nicht für sich allein alles regeln. Deshalb sind die nationalen und regionalen Bischof skonf er enzen eingerichtet, die wieder in kommunizierender Weise gemeinsame Fragen regeln. Diese Bischofskonferenzen finden schließlich und endlich in der Bischofssynode, die durch die außerordentliche Bischofssynode vom Jahr 1969 ein endgültiges Statut erhalten hat, eine gewisse Zusammenfassung. Die Bischofssynode soll in regelmäßigen Abständen mit dem Papst zusammentreten und setzt sich aus Delegierten der einzelnen Bischofskonferenzen und vom Papst ernannten Mitgliedern zusammen. Auf diesen Bischofssynoden findet wieder die Kommunikation zwischen den einzelnen Bischofskonferenzen und dem Papst statt.

Man sieht also, daß der Kollegialitätsgedanke zu einem gewissen Wandel der Kirchenregierung geführt hat, der eine engere Zusammenarbeit zwischen dem Gesamtepiskopat und dem Papst ermöglicht und so die Regierung der Kirche effizienter macht. Es handelt sich also keineswegs um eine Minderung oder Einschränkung der päpstlichen Autorität, sondern um eine wirksamere Zusammenarbeit mit dem Gesamtepiskopat. Dies soll sich auch auf der diözesanen oder nationalen Ebene in den Synoden fortsetzen. Auch diese sind keine Parlamente, in denen Mehrheitsbeschlüsse erzwungen werden, die auch für den Bischof bindend sind, sondern sie sind vielmehr zu verstehen als Communio mit dem Bischof, als das gemeinsame Suchen der Wahrheit und der Einheit des Handelns.

Es wird einer geduldigen, gemeinsamen Arbeit von Amtsträgern und Theologen, Kanonisten und Systematikern, Historikern und Praktikern bedürfen, damit die optimalste Praxis der Verhältnisse von Primat und Episkopat gefunden wird. In der Einheit der einen Kirche muß es den Plural der Teilkirchen geben. Nur der Glaube ist unteilbar, und ihm ist die einheitsstiftende Funktion des Primats zugeordnet. Alles andere kann auch von Teilkirchen, vor allem in größeren Einheiten wie den Patriarchaten, gelöst werden. Das zentralstaatliche Bild, das die katholische Kirche bis zum Konzil bot, erfließt nicht einfachhin aus dem Petrusamt, sondern aus seiner engen Verquickung mit der im Laufe der Geschichte immer weiter gesteigerten patriarchalen Aufgabe, die dem Papst von Rom für die gesamte katholische Einheit zugefallen ist. Weder das Kirchenrecht noch die Liturgie noch die Besetzung der Bischofsstühle müssen unbedingt von der römischen Zentrale aus einheitlich dirigiert werden. Die Kommunionbriefe, die in der alten Kirche zwischen den einzelnen Bischöfen ausgetauscht wurden, könnten auch heute eine Ratifikation des gemeinsamen Glaubens sein. Auch die Tatsache, daß der Bischof von Rom im Kanon der Messe und in den Fürbitten genannt wird, deutet auf die Einheit hin.

Der Bischofsrat und andere Formen der Kollegialität bieten die Möglichkeit, die Erfordernisse der Pluralität und der Einheit möglichst anzunähern. Der Sinn dieser Neuerung ist nicht eine möglichst weitgehende Dezentralisierung und Demokratisierung der Kirchengewalt, sondern eine bessere Betonung der Einheit, die im gemeinsamen Finden der Wahrheit ihren Ausdruck haben wird.

Das Petrusamt muß in der Kirche unangetastet bleiben. Es ist das Zeichen und die Wirkursache der Einheit. Die Treue und Liebe zum Nachfolger Petri darf ebenso wenig erschüttert werden wie das Dogma der Unfehlbarkeit des Ersten Vatikanums. Das Zweite Vatikanum hat diesen Glauben neu bestätigt und durch die Lehre über die bischöfliche Gewalt und die Kollegialität ergänzt.

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