Die Zumutung von Ostern

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Ein Versuch zur Dramaturgie der Karwoche.

Was sagt uns Ostern? Das Fest ist längst nicht so kommerzialisiert wie Weihnachten, gleichzeitig aber noch weit stärker säkularisiert, religiös entkernt. Ostern ist schwieriger und gleichzeitig leichter als Weihnachten. Schwieriger, weil das Emotionale fehlt, die Geschichte von der Geburt eines Kindes, die allen widrigen, dramatischen Umständen zum Trotz - von der Herbergssuche bis zur Flucht - in mildes, warmes Licht getaucht erscheint: es ist der Zauber des Neubeginns und die daran genüpfte Botschaft vom "Frieden auf Erden". Dieser Kern strahlt aus und hat ein Umfeld erzeugt, das von einem Amalgam aus diffusen Sehnsüchten, großen Gefühlen, Kitsch und Kommerz geprägt ist, welches trefflich als Zielscheibe von Spott und Kritik aller Art taugt, dem sich aber doch kaum jemand ganz entziehen kann. Umgekehrt dürfte es sogar so sein, dass nicht wenige über dieses Umfeld zumindest eine Ahnung von dem bekommen, was Weihnachten sein könnte.

Das alles fehlt bei Ostern weitgehend. Darum aber ist es auch leichter: weil uns - das ist die Kehrseite des eben Gesagten - nichts so leicht den Blick auf das Wesentliche verstellt. Ostern ist nüchterner, kälter, spröder; das gilt selbst noch für das strahlende Licht des Ostersonntags - wohl weil die Botschaft von der Auferstehung eine ungeheure Zumutung darstellt, die schon die Jünger Jesu tendenziell überfordert hat: rat-und orientierungslos, verunsichert, zweifelnd bleiben sie vorerst einmal zurück.

So erscheinen sie freilich durchaus als "moderne" Gestalten, uns Heutigen recht nahe. Wie überhaupt wer will und sich darauf einlässt, in der Dramaturgie der Karwoche einen Bogen erkennen kann, der über die Grundfragen menschlicher Existenz gespannt ist. Von Erfolg und Scheitern (und wie nahe diese beieinander liegen können) ist da die Rede, vom Sinn der Gemeinschaft und ihrer Bedrohtheit, von Treue und Verrat, von Kleinmut und Hoffnung, von Verzweiflung, Todesangst und innerer Stärke, Zuversicht - kurz vom Menschen mit seinen Abgründen aber auch in seiner Größe und Würde.

Als das größte Ärgernis in alldem gilt uns der Karfreitag. Er passt so gar nicht zum entschlackten Wohlfühl-Programm der Frühlingstage, es ist eine grausame, blutige Geschichte. Aber paradoxerweise hat es den Anschein, dass wir uns damit leichter tun als mit Ostern selbst. Auf den Karfreitag projizieren wir - theologisch durchaus zu Recht - alles Leid der Welt. Den Gekreuzigten als Sinnbild aller Verfolgten, Gefolterten, Ermordeten, aller Opfer von Ausbeutung und Unterdrückung zu sehen - das ist nicht nur religiösen Menschen möglich. Erst in der Frage der Interpretation kommt der Glaube ins Spiel. Die Liturgie der katholischen Kirche hat für den Karfreitag die Leidensgeschichte aus dem Johannesevangelium vorgesehen (im Unterschied zum Palmsonntag, an dem die Passion aus einem der drei anderen Evangelien vorgetragen wird). Bei Johannes aber werden wir mit dem Geschehen in theologisch bis zum Äußersten verdichteter Form konfrontiert; dort stirbt Jesus mit den Worten: "Es ist vollbracht."

Dieser - absurd anmutende - Blick auf den Tod Jesu ist freilich nur aus der Perspektive des Osterglaubens möglich. Hier liegt die eigentliche Provokation, die radikale, ja maßlose Hoffnung, die über den Karfreitag hinausweist und den Ostersonntag gewissermaßen antizipiert. Um nicht missverstanden zu werden: Wir sollten uns nicht den Karfreitag schön-oder kleinreden, an ihm vorbeischwindeln, hin zu einem wohlig-"österlichen" Gefühl des Aufbrechens und Neuanfangens.

Aber es gibt eben auch die andere Versuchung, auch und gerade für Christen: beim Karfreitag stehen zu bleiben, ihn hinzunehmen als Symbol der Welt, wie sie eben ist. Doch die Welt erwartet von den Christen nicht die Bestätigung ihrer eigenen Hoffnungslosigkeit, hat Johann Baptist Metz einmal sinngemäß gesagt. Sondern, so darf man wohl ergänzen, ein Zeugnis, wie unbeholfen und armselig auch immer, jener größeren Hoffnung, die zu Ostern angesprochen ist. Der liturgische Tag dieser Hoffnung, die stets gefährdet bleibt und neu gewonnen werden will, ist der Karsamstag.

rudolf.mitloehner@furche.at

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