In memoriam Helmut Krätzl
DISKURSDieses Bischofs unermüdliches Zeugnis
Helmut Krätzl ist der Kardinal König-Preisträger 2015. Der emeritierte Wiener Weihbischof hat auch den letzten Band der "Kardinal König Bibliothek" mitverfasst.
Helmut Krätzl ist der Kardinal König-Preisträger 2015. Der emeritierte Wiener Weihbischof hat auch den letzten Band der "Kardinal König Bibliothek" mitverfasst.
Hat er ihn nicht längst erhalten? Solche Reaktion auf die Ankündigung vor einigen Wochen, dass Helmut Krätzl der diesjährige Kardinal-König-Preis zuerkannt wird, wäre nicht erstaunlich. Als erstaunlich könnte man eher qualifizieren, warum der Weggefährte Kardinal Königs und emeritierte Wiener Weihbischof diese renommierte kirchliche Auszeichnung in Österreich noch nicht erhalten hat. Denn Krätzl war mit Franz König auf das Engste verbunden -und zwar schon seit dem Jahr 1956, als König Erzbischof von Wien wurde und den jungen Priester zu seinem Zeremoniär machte. Krätzl war in den Jahren darauf immer an der Seite des Kardinals zu finden, auch als dieser 1960 bei einem Autounfall im damaligen Jugoslawien schwer verletzt wurde. Krätzl trug damals gleichfalls erhebliche Verletzungen davon.
Beim Zweiten Vatikanum ab 1962 durfte Krätzl, der gerade in Rom ein Doktoratsstudium absolvierte, als Konzilsstenograf dabei sein. Die FURCHE hat ihn deswegen einmal - quasi in "Nachfolge" des Konzilsvaters König, als "Konzilssohn" apostrophiert. Auch für Krätzl wurde - wie für König - das Konzil zum einschneidendsten Erlebnis seines kirchlichen Lebens. Auf der Wiener Diözesansynode 1969/71 gehörte er zu den Brückenbauern zwischen den Konservativen und den vorwärtsstürmenden Konzilsbewegten. Als Weihbischof unter König schien Krätzls für viele der logische Nachfolger des Jahrhundertkardinals - aber die Geschichte kam anders: Denn mit der Bestellung Hans Hermann Groërs wurde 1986 in Österreichs katholischer Kirche die konservative Restauration von oben eingeläutet.
Das Konzil als Lebensaufgabe
Aber Helmut Krätzl fand in dieser dürren Kirchenzeit zu seiner Lebensaufgabe, nämlich die Erinnerung ans Konzil nicht verschwinden zu lassen und dessen Vorgaben wortgewaltig und sprachmächtig einzufordern. Sein engagiertes Buch "Im Sprung gehemmt" (1998) legte vieles offen, was nach dem Konzilsende von der Kirche(nspitze) versäumt worden war. Im Rom Johannes Pauls II. und seines Glaubenshüters Joseph Ratzinger machte sich Krätzl da wenig Freunde, aber hierzulande blieb der streitbare Bischof eine Säule der Hoffnung für viele, die ob der Kirchenentwicklungen verzagt wurden.
Diese Linie behielt Krätzl bis heute bei, auch wenn seine Bücher sich zumindest im Titel hoffnungsfroher gaben wie "Das Konzil - ein Sprung vorwärts"(2012). Es erscheint als späte Genugtuung, dass Krätzl in seinem 85. Lebensjahr im Pontifikat von Franziskus erleben darf, wieviel der derzeitige Papst von dem, was Krätzl seit Jahr und Tag seiner Kirche ins Stammbuch schreibt, in ähnlicher Weise artikuliert.
Derartige Biografie und Kirchensicht lassen es dann mehr als logisch erscheinen, dass Helmut Krätzl genau im Jahr 50 nach dem Konzilsende mit dem Kardinal König-Preis ausgezeichnet wird - als "unermüdlicher Zeuge des Konzils und leidenschaftlicher Verfechter einer Kirche, die sich für die konsequente Umsetzung der epochalen Weichenstellung des II. Vatikanums einsetzt", wie es in der Preis-Begründung der Kardinal König-Stiftung wörtlich heißt.
Bleibendes Anliegen des "Aggiornamento"
Wenn Bischof Krätzl am 19. November den Preis entgegennimmt, wird zugleich auch sein jüngstes Buch präsentiert, das als Abschluss der siebenbändigen "Kardinal König Bibliothek" bei Styria Premium erschienen ist. "Die Kirche in der Welt von heute. Aggiornamento nach 50 Jahren" heißt der Band, der von der am 7. Dezember 1965 promulgierten Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes" über Kirche und Welt ausgeht. In wenigen Strichen malt Krätzl in dem Büchlein das Bild, das das Konzil von einer Kirche, die mit beiden Beinen in der Welt steht, entwickelte. Der Autor stellt aber vor allem zwei Fragen: "Wo stünde die Kirche heute ohne das Konzil?" und "Wo stünde die Kirche heute in der Welt, wenn sie das Konzil konsequent weitergeführt hätte?"
Eine neue innerkirchliche Dynamik
Die erste Frage beantwortet Krätzl mit einer knappen Tour d'horizon durch Konzilsthemen wie die neuen Sichten von Welt, Kirche, Mensch oder Ehe - auch die Friedensbotschaft des Konzils stellt der Bischof dar. Die zweite Frage greift einmal mehr Krätzls Ceterum censeo auf, warum denn so vieles, was das Konzil anstoßen wollte, nicht weiterging oder von der Kirche(nleitung) gebremst, wenn nicht gar boykottiert wurde.
Wie gesagt, zurzeit sieht es in der innerkirchlichen Dynamik wieder anders aus, sodass der Autor kurz, bündig und mit Papst Franziskus fragt, was denn das Aggiornamento heute noch aufhält.
Der zweite Teil des Buches "Die Kirche in der Welt von heute" stammt aus der Feder von Annemarie Fenzl. Die langjährige Archivarin der Erzdiözese Wien und Büroleiterin Kardinal Königs seit dessen Emeritierung 1985 legt die Umsetzung des Konzils in der Erzdiözese Wien und den Beitrag Königs dabei dar. Man erfährt etwa, welch genialer Netzwerker König war und wie sich die Zusammenarbeit mit seinem Konzilstheologen Karl Rahner gestaltete. Knapp, aber doch am ausführlichsten geht Fenzl dann auf die Wiener Diözesansynode ein, die zwischen 1969 und 1972 tagte.
Der siebente ist zugleich der letzte Band der Kardinal König Bibliothek, die von Helmut Krätzl, Annemarie Fenzl und dem Luzerner Neutestamentler Walter Kirchschläger, der auch Sekretär von König war, herausgegeben wurde. Die schmalen Bände sind nicht zuletzt auf den Beitrag Kardinal Königs auf dem Konzil hin fokussiert - sie stellen die erste genauere Aufarbeitung davon dar. Abgesehen von der prägnanten Darstellung der wesentlichen Konzilsthemen kommt da die Rolle Kardinal Königs markant zur Geltung, die in der bisherigen Literatur kaum umfassend gewürdigt wurde - was nicht zuletzt daran liegt, dass König bewusst keine Memoiren hinterlassen hat oder dicke Bücher über das Konzil verfasst hat. Auch von daher ist die Edition ein wichtiges Dokument kirchlicher Zeitzeugenschaft.
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