"Dieses Papier fällt ja nicht vom Himmel!"

Werbung
Werbung
Werbung

Michael Chalupka, Direktor der "Diakonie Österreich", ist der von den evangelischen Kirchen nominierte Mitverantwortliche für die Abfassung des Ökumenischen Sozialwortes.

Die Furche: Wie beurteilen Sie den Prozess der Sozialwort-Werdung?

Michael Chalupka: Es ist da ein breiter Diskussionsprozess gelungen, wie er noch selten von den Kirchen ausgegangen ist. Die große Besonderheit war ja, auch die östlichen Kirchen mit in den Dialog genommen zu haben. Eine weitere Besonderheit war, dass es in der ersten Phase, der "Standortbestimmung", wirklich gelungen ist, alle, die in den Kirchen an sozialen Fragen arbeiten, zu beteiligen. Es gab 522 Eingaben, die im "Sozialbericht" zusammengefasst wurden. In der zweiten Phase haben sich viele interessierte Gruppen in Österreich eingebracht - es gab insgesamt 170 Stellungnahmen zum Sozialbericht - und zwar von den politischen Parteien über die Interessensvertretungen bis zu kleinen Initiativen aus dem kirchlichen und sozialen Bereich. Es war da auch spannend zu sehen - etwa bei den politischen Parteien - wie unterschiedlich da die Rezeption war.

Die Furche: Was war da konkret?

Chalupka: Eine politische Partei - die FPÖ - hat sich gar nicht geäußert (wahrscheinlich aus einem gewissen Verständnis der Trennung von Kirche und Staat und einem Säkularismus heraus), eine andere Partei, die ÖVP, hat die Kirchen vor ihren Parlamentsklub eingeladen, wo wirklich alle Abgeordneten anwesend waren - wobei dort interessant war, dass man dort nur einen katholischen und den evangelischen Bischof eingeladen hat; bei den anderen Parteien war eine kleinere Abordnung da, aber dort wurde auch der breite Dialogansatz des Sozialworts gewürdigt. In diesen Gesprächen wurde auch klar gesagt, dass man miteinander kooperieren will. Etwa beim Thema Sozialverträglichkeitsprüfung - da meinte der Vorsitzende der SPÖ: Ja das ist ein tolles Modell, und wir arbeiten an so etwas, wir haben es schon in den Schubladen, aber scheinbar ist es bis jetzt dort geblieben. Das waren interessante Momente in dieser Diskussion.

Die Furche: Das Ökumenische Sozialwort war eine "katholische" Idee. War es schwer für Sie, da mitzutun?

Chalupka: In dem Moment, wo wir als protestantische Kirchen eingestiegen sind, war es keine "katholische" Idee mehr. Für uns war es das Projekt des Ökumenischen Rates der Kirchen, der ja in Österreich eine Zusammenarbeit kennt, wie sie anderswo kaum zu finden ist. Im Prozess ist gelungen, dass einerseits die Proportionen stimmen: Das heißt, die, die mehr Ressourcen und finanzielle Mittel haben, haben dies auch eingebracht. Auf der anderen Seite konnte sich aber jede Kirche gleichgewichtig beteiligen. Das ist ein großes Verdienst vor allem der Katholischen Sozialakademie, die diesen Prozess austarieren konnte. Oft ist es ja so, dass mit den Ressourcen auch die Dominanz einhergeht oder man sagt: Weil alle gleich gewichtig sind, müssen alle gleich viel einbringen - so kann aber Ökumene in einem Land, wo 90 Prozent der Gläubigen römisch-katholisch sind, nicht funktionieren. Die katholische Kirche hat sich hier aber in den Dienst der gemeinsamen Sache gestellt und den anderen Kirchen ihre Stimme zugestanden und gelassen.

Die Furche: Es gibt aber auch im Sozialbereich Themen, wo sich die Kirchen schlicht und einfach nicht einig ist. Ist das im Sozialwort sichtbar?

Chalupka: Es wird sichtbar sein, weil es in dem Papier gerade nicht darum gegangen ist, eine Ökumene des Einheitsbreis zu gestalten, sondern eine Ökumene, die auch Differenzen benennt. Ausgangspunkt ist aber die Charta Oecumenica, in der sich Europas Kirchen verpflichtet haben, auf dem Feld des Sozialen mit einer Stimme zu sprechen. Unser Sozialwort ist europaweit das erste Beispiel einer Umsetzung davon. Auch darauf können wir stolz sein. Es handelt sich aber nicht um einen Ansatz der Einebnung und Glättung, sondern ein Herausarbeiten auch der Differenzen, die nebeneinander stehen.

Die Furche: Ein Beispiel dafür?

Chalupka: Wo Sie das sicher bemerken werden, ist im Kapitel über die Lebensbeziehungen und Familien. Das ist sicher ein Punkt, wo unterschiedliche Ansatzpunkte deutlich werden.

Die Furche: Mit dem Sozialwort erscheint wieder ein Papier: Oft verschwinden solche, auch gelobte Dokumente doch nur in der Schublade.

Chalupka: Wir hoffen darauf, dass der Prozess, der bei der Erstellung des Sozialwortes gelaufen ist, sich in der Rezeption wiederholen wird - schon allein deshalb, weil viele, die sich beteiligt haben, sich wundern werden, sich ärgern werden und sich fragen werden, wie sie in diesem Sozialwort vorkommen. Denn wir wollten ja nicht ein 600-seitiges Papier erstellen, wo jede Eingabe einfach eins zu eins widergespiegelt wird, sondern wir haben alles durch einen Redaktionsprozess laufen lassen, um zu einer wirklich konsistenten, lesbaren Form zu kommen. Das heißt aber auch, dass das Papier sich der Kritik stellen muss - auch derer, die den Sozialbericht kommentiert haben (mitunter in einem Ausmaß, das genauso dick war wie das Sozialwort jetzt ist). Da hoffe ich auch, dass die Rezeption dieses Wortes an der Begeisterung, aber auch am Widerstand wachsen kann, und das, was man im Prozess gelernt hat, es auf verschiedensten Ebenen zu diskutieren, auch danach so sein wird.

Die Furche: Wie "verbindlich" kann das Sozialwort überhaupt sein?

Chalupka: Es ist einmal von allen 14 obersten Repräsentanten der Kirchen in Österreich unterzeichnet. Hier stehen gewichtige Menschen mit ihrer Unterschrift auch für das Sozialwort. Zum andern wird es darauf ankommen, ob die Kirchen auf ihre je eigene Weise dieses Wort zu ihrem machen - in ihrer kirchlichen Wirklichkeit und ihrer rechtlichen Form. Das sind bei den evangelischen Kirchen die Synoden, bei der katholischen Kirche sind es die einzelnen Bischöfe, auf Seiten der Orthodoxie sind es deren oberste Repräsentanten.

Die Furche: Aber es könnte sein, dass es - als Gedankenexperiment - die evangelische Synode H.B. nicht annimmt und auch die katholische Diözese St. Pölten nicht und eine altorientalische Kirche meint ebenfalls, es ist nicht ganz ihres...

Chalupka: ... aber dann würden die Kirchen den Prozess und ihr eigenes Mitgestalten nicht ernst nehmen. Dafür gibt es keinen Grund, weil ja auch unser Oberkirchenrat oder die katholische Bischofskonferenz in jedem Stadium miteingebunden waren. Dieses Papier fällt ja nicht vom Himmel oder kommt aus der Erde heraus!

Die Furche: Die Relevanz der Kirchen im gesellschaftlichen Diskurs hat abgenommen. Glauben Sie, dass Sie jetzt wieder ein bisschen hörbarer werden?

Chalupka: Das Sozialwort ist kein Programm zur Rettung des Einflusses der Kirchen in dieser Gesellschaft. Wichtig ist, einen zivilgesellschaftlichen Diskurs überhaupt in Gang zu bringen, wo - neben den klassischen Stimmen der Politik, die ihren Transmissionsriemen über die tagesaktuellen Medien haben - Menschen, die in Verbänden zusammenarbeiten, die Interessen zu vertreten haben, in kompetenter Weise ihren Beitrag zum Ganzen der Gesellschaft leisten. In dieser Weise sehe ich das Sozialwort als Anstoß.

Die Furche: Aber Sie müssen daran interessiert sein, dass viele soziale Probleme von der Politik wieder in einen anderen Blickwinkel genommen werden!

Chalupka: Dieses Interesse haben wir. Aber es kann nicht Ziel sein, dass die Kirchenoberhäupter wieder auf einer Bank mit Regierenden oder Parteien zu finden sind, sondern es geht darum, einen Seitenwechsel zu vollführen und klar sich zu positionieren: Die Kirchen sind dort, wo die Interessen der Menschen die Interessen der Armutsgefährdeten sind, derer, die sich im öffentlichen Diskurs nicht durchsetzen können. Das ist die Seite der Kirche - aber das ist eine Minderheitenposition. Das heißt, die Zeiten, wo die Kirche, welcher Konfession auch immer, gesellschaftliche Hegemonie anstreben konnte, sind vorbei. Denn das Streben nach gesellschaftlicher Hegemonie ist unvereinbar mit den Weisungen des Evangeliums, die uns ganz klar sagen: Ihr seid auf der Seite der Armen, der Fremden, derer am Rand der Gesellschaft - euer Auftrag ist, diese in die Mitte der Gemeinschaft hereinzuholen.

Die Furche: Müssen sich die Kirchen da nicht selbst an der Nase nehmen?

Chalupka: Das nehmen wir sehr ernst: Im Sozialwort ist diese Botschaft zuerst an die eigene Adresse formuliert und dann erst nach außen. Denn das Schlimmste wäre, dass sich die Kirchen als das kritische Gewissen gerieren und sich nicht selbst unter die Lupe nehmen. Der ganze Prozess hat von Anfang an kritische Fragen an die Kirchen gestellt. Es ging uns ja auch um die Evaluierung dessen, was die Kirchen im Sozialbereich tun, wie sie es tun, und ob das noch die richtigen Antworten auf die Fragen von Heute sind oder ob es nicht Antworten auf die Fragen von Gestern sind.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung