Dissens in Lebens-Fragen

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Das für diesen Donnerstag geplante Fest zum 30-jährigen Bestehen einer Wiener Abtreibungsklinik hat die Illusion eines Konsenses hinsichtlich Fragen des Lebensschutzes empfindlich gestört. Nicht unbedingt ein Schaden.

Da klafft sie wieder auf, die „offene Wunde“ (Kardinal König) der Fristenregelung. Es gebe „offenbar keinen Konsens im Hinblick auf den Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis an“, hat Kardinal Christoph Schönborn in einem Brief an den Wiener Bürgermeister Michael Häupl geschrieben, worin er seiner Sorge über eine für diesen Donnerstag geplante Feier im Rathaus anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Abtreibungsklinik am Wiener Fleischmarkt Ausdruck verlieh.

Indes, hat irgendjemand angenommen, dass ein solcher Konsens existiere? Auch Schönborn selbst weiß wohl, dass die geltende gesetzliche Regelung nur notdürftig die weltanschaulichen Bruchlinien in dieser Frage überdeckt. Das ist nichts Böses, man könnte sogar sagen: Eben dazu sind gesetzliche Regelungen da. Aber es zeigen sich eben auch, zumal in Fragen, die den Kern des Menschseins berühren, immer wieder die Grenzen des gesetzten Rechts.

Mit dem Holzhammer

Bei der Fristenregelung lässt sich das daran festmachen, dass zwischen den Buchstaben des Gesetzes und der landläufigen Interpretation derselben ein gewaltiger Graben liegt: Dass Abtreibung bis zum dritten Monat straffrei gestellt, aber keineswegs erlaubt wurde, mithin also von Gesetzes wegen Unrecht ist, will kaum jemand noch wissen. Die Reaktionen auf Schönborns publik gemachten Brief und auf die nachfolgende Verlegung der Feier in den Rathauskeller sprechen eine klare Sprache. Von einem „Kniefall vor Abtreibungsgegnern und Kirchenvertretern“ (Grünen-Stadträtin Monika Vana) war da die Rede, „unfassbar“ sei es, „dass die Katholische Kirche in der heutigen Zeit versucht, Veranstaltungen zu verbieten“ (SP-Frauenchefin Andrea Mautz). Am unmissverständlichsten und entlarvendsten aber äußerte sich Grünen-Frauensprecherin Judith Schwentner: „Das ist ein Grund zum Feiern“, sagte sie lapidar zu dieser Causa. Als besondere Pikanterie darf man schließlich werten, dass Schwentner, die sich hier der Sprache der Bierwerbung („Des müss’ ma feiern“) bedient, Schönborn mangelndes Fingerspitzengefühl attestiert: „Mit dem verbalen Holzhammer auf eine derart sensible Materie einzuhauen, wie manche Kirchenvertreter dies medial tun, ist nur kontraproduktiv.“

Nein, es gibt keinen Konsens hinsichtlich des Lebensschutzes. Die jüngste Debatte hat wieder deutlich gezeigt: Was den einen als im Hinblick auf Not- und Extremfälle tolerierbare Regelung gilt, halten die anderen – wohl die überwältigende Mehrheit – schlicht für eine Lösung, mit der ein Anspruch endlich gesetzlich geschützt wurde (gar nicht zu reden von jener kleinen, aber lautstarken Minderheit, die wieder zur Strafverfolgung zurück möchte und, leider auch mit Unterstützung mancher Kirchenvertreter, alle anderen Bemühungen im Rahmen der bestehenden Gesetzeslage um Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen permanent zu diskreditieren trachtet).

Keine falsche Harmonie

Sich des Dissenses in grundsätzlichen Fragen bewusst zu werden, kann indes durchaus hilfreich sein. Es ermutigt vielleicht dazu, die eigene Position zu vertiefen und engagiert im öffentlichen Diskurs dafür zu werben, während man sich ansonsten gerne vom wohligen Gefühl allgemeiner Harmonie einlullen lässt.

Deswegen muss man noch lange keinen Kulturkampf vom Zaun brechen – aber es gilt, mit Nachdruck und Insistenz, ein paar Fragen zu stellen, wie dies etwa die Ärztin Hildegunde Piza dieser Tage in der Presse getan hat: von den psychischen Spätfolgen bei Abtreibungen über den generellen Stellenwert von Kindern in unserer Gesellschaft beziehungsweise deren Kinderkompatibilität bis hin zu einer „Infantilisierung“ einer Gesellschaft, der „die Kinder fehlen“ (Piza). Und man sollte sich dabei vom notorisch wütenden Aufschrei, der lautstark artikulierten Empörung, die solchen Fragen auf dem Fuß folgt, nicht entmutigen lassen. Die Gegenseite ist – siehe oben – alles andere denn zimperlich.

* rudolf.mitloehner@furche.at

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