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Christen als Geiseln und Sündenböcke. Am Vorabend der EU-Verhandlungen verhärten sich die Positionen der Türkei zur Religionsfreiheit.

Auch unmittelbar zu dem der Entscheidung über Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gewidmeten EU-Gipfel halten aus Ankara in Sachen Religionsfreiheit für die Christen des Landes die negativen Signale an. Es gibt kaum noch Hoffnungen, dass eine türkische EU-Mitgliedschaft den christlichen Gemeinschaften am Bosporus wirklich Besserstellung bringen wird. Es muss vielmehr befürchtet werden, dass die Kirchen in der Türkei nach Ablehnung oder Verschiebung aus Brüssel für Ankara zu Sündenböcken und zu Geiseln gegenüber dem "EU-Christenklub" werden, wie sich Ministerpräsident Tayip Erdogan ausdrückt.

Schon länger vor diesem für eine europäische Zukunft der Türkei kritischen Gipfeltreffen hat Ankara seine Positionen verhärtet und wollte sich keine Bedingungen mehr stellen lassen. Das galt besonders für Religionsfreiheit und Religionspolitik: Die christlichen Kirchen der Türkei sollen nun doch keinen öffentlich-rechtlichen Status erhalten, keine freie Verfügung über ihre gottesdienstlichen und Gemeinde-Gebäude bzw. Schulen und karitativen Einrichtungen bekommen sowie vor allem keine theologischen Lehranstalten führen dürfen.

Türkische Heimlichkeiten

Das wäre "staatsgefährdend", wie es der hauptsächlich mit hohen Militärs besetzte "Nationale Sicherheitsrat" formuliert. Obwohl es dieses heimliche, aber entscheidende Machtorgan in einer EU-konformen Türkei gar nicht mehr geben dürfte, hat Erdogan sich nicht von diesem - übrigens durch ihn mitgetragenen - Beschluss distanziert. Im Gegenteil: Für die Türkei ginge die Welt nicht unter, wenn die Verhandlungen mit Brüssel jetzt nicht vorankommen.

Allerdings hat Ankara zuletzt deutschsprachigen Korrespondenten Informationen zugespielt, dass in der künftigen Neufassung des geheimen Grundgesetzes der Türkei, der "Charta für nationale Sicherheit", zumindest eine Wiedereröffnung der seit 33 Jahren staatlich unterdrückten griechisch-orthodoxen Theologischen Hochschule von Chalki bei Istanbul nicht mehr als "Gefahr für den Staat" bezeichnet wird. Dafür fehlt aber bisher jeder Beweis - ganz abgesehen davon, dass eine solche Geheimverfassung an sich das EU-Widrigste ist, das man sich in Brüssel vorstellen kann.

Auch USA enttäuscht

Sogar die amerikanische Führung, bisher Hauptbefürworterin einer raschen und möglichst bedingungslosen EU-Mitgliedschaft der Türkei, teilt jetzt die Kritik an der türkischen Regierung, die der Ökumenische Patriarch, Bartholomaios I. von Konstantinopel, an der Weigerung Ankaras übt, Chalki entgegen ihren seit Jahren anders lautenden Versprechungen doch nicht wieder eröffnen zu lassen.

Außerdem bekräftigt der Sprecher des amerikanischen Außenministeriums, Richard Boucher, dass die USA den "Ökumenischen Charakter des Patriarchats" und die "Führungsrolle von Bartholomaios I. über Millionen Orthodoxe auf der ganzen Welt" ausdrücklich anerkennen. Den Anlass zu dieser Erklärung bot eine Vorsprache von führenden orthodoxen Griechen aus Nordamerika mit ihren Bischöfen beim türkischen Außenminister Abdullah Gül in Ankara. Dort erklärte auch der US-Botschafter in der Türkei, Erik Edelmann, dass die Probleme des Patriarchats seiner Regierung "große Sorgen" bereiten. In den letzten Wochen hat die türkische Regierung wiederholt den Titel und die Funktion von Bartholomaios I. als "Ökumenischer Patriarch" in Frage gestellt. Erdogan persönlich warf ihm Anmaßung eines Titels vor, der ihm nicht zukomme und den er "gar nicht verwenden" dürfe. Bartholomaios sei nur "Baschpapaz", d.h. Hauptpriester, der Orthodoxen innerhalb der Türkei. Diese sind in den letzten hundert Jahren durch Pogrome, "Umsiedlungen", Ausweisungen oder diskriminatives Abdrängen in die Emigrationen von über drei Millionen auf nicht einmal mehr 3.000 zusammengeschmolzen.

Was sind Verträge wert?

Schon 1923 hatte sich die Türkei im Frieden von Lausanne verpflichtet, ihren damals noch über 250.000, meist orthodoxen, armenischen, syrianischen und katholischen Christen volle Religionsfreiheit, öffentlich-rechtliche Anerkennung und freie Verfügung über ihre Immobilien zu garantieren. Das war der Preis, um als einzige unter den Verlierern des Ersten Weltkriegs die im Pariser Vorortfrieden von Sevres eng gezogenen Grenzen revidiert zu bekommen. Doch der angeblich erste türkische Europäisierer Kemal Atatürk wandte die neuen Auflagen gar nicht an, wie etwa die Autonomie und eigene Polizei auf der Christeninsel Imbros vor den Dardanellen. Wo Lausanne nur Gegebenheiten aus einer besseren türkischen Vergangenheit der Reformsultane des 19. Jahrhunderts bestätigt hatte, wurden auch diese Rechte der Kirchen mit dem kemalistischen Gesetz 2762 von 1936 annulliert: Darunter das Recht von Christen - und Juden - gemeinnützige und wohltätige Einrichtungen finanzieren und selbst verwalten zu dürfen. Gleichzeitig mit ihrer öffentlich-rechtlichen Anerkennung wurde den nicht-islamischen Religionsgemeinschaften das Recht abgesprochen, über ihren eigenen Besitz zu verfügen. Seit damals hat die Türkei sukzessive 48 christliche Immobilien enteignet, unter ihnen Kirchen und Klöster. Letzter Fall, und das sicher nicht zufällig direkt vor diesem EU-Gipfel, ist das orthodoxe Waisenhaus auf der Insel Büyükada, das zuletzt 223 Kindern Obdach gewährt hatte.

Vor dem Martyrium

Auch die Attacken von Islamisten und EU-Gegnern jeder Art auf kirchliche Einrichtungen und Patriarch Bartholomaios I. persönlich haben gerade in letzter Zeit bedrohlich zugenommen. Als daher der neue Patriarch von Alexandria, Theodoros II. Chorevtakis, Anfang Dezember dem Amtsbruder am Bosporus seine Aufwartung machte, nannte er ihn einen "Märtyrer unserer Tage". Bartholomaios antwortete: "Auch dafür bin ich bereit - Gottes Wille geschehe!"

Der Autor ist Ostkirchenexperte und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Glaube in der 2. Welt, Zürich.

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