Drei Geschichten von sechs Millionen

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Sechs Millionen Syrer sind auf der Flucht, schätzt die UNHCR. Damit ist jeder dritte Syrer heute Flüchtling. Um die 1000 haben in Österreich Asyl oder subsidiären Schutz - zeitlich beschränkte Aufnahme - erhalten.Weiteren 500 will Österreich Asyl gewähren. Leicht verlieren sich in diesem Zahlendickicht einzelne Schicksale und Lebensgeschichten. Die FURCHE besuchte drei syrische Flüchtlinge in Neustift-Innermanzing. Das Ergebnis: Gesichter und Geschichten einer unheimlichen Flucht.

Gefährliche Gitarren

Wenn Zareh von seiner Vergangenheit in Syrien erzählt, leuchten seine Augen bei der Erinnerung an bessere Tage. Er war Inhaber eines Fotostudios in der Salhije, einem der geschäftigsten und bekanntesten Vierteln in Damaskus. Stolz zeigt er seinen Freunden die Fotos, die er im Auftrag von Werbeagenturen angefertigt hat. Am Abend ging er seiner zweiten Leidenschaft nach, der Musik. Ob im Hotel in Ebla Scham, einem der bekanntesten Adressen für Touristen in Damaskus, oder in B¯ab T¯um¯a, dem Jahrhunderte alten christlichen Viertel in der Altstadt, in der Nacht war immer was los und seine Musik gefragt.

Das änderte sich jedoch abrupt. An die Stelle der Melodie seiner Gitarre trat nun in den Nächten Damaskus das Geräusch der Waffen. Die Musik zog ihn schließlich nach Österreich. Denn von den Touristen waren ihm die Österreicher immer die Liebsten. Außerdem ist er großer Fan von Mozart und Haydn. Da stellte sich die Frage nach dem Wohin in Europa nicht lange. Schließlich landete er in Neustift-Innermanzing, in der Pension Hellmuth, eine Stunde von Wien entfernt.

Als syrischer Christ mit armenischem Hintergrund ist er zwischen die Fronten geraten und dem Tod oft gefährlich nahe gewesen. So fand er sich auf der Fahrt nach Damaskus plötzlich in einer Schießerei zwischen der Freien Syrischen Armee und den Regierungstruppen wieder. Ein anderes Mal fiel er der Nusra, der Al-Qaida Syriens, in die Hände.

Das Kreuz um sein Handgelenk deutete auf seine christliche Identität, manchmal Grund genug für eine Exekution. Von den vier Männern trug einer ein Schwert in der Hand, nur einer war Syrer. Was ihn rettete war seine Heiratsurkunde, die bewies, dass er mit einer Muslimin verheiratet war. Offiziell müsste er dazu selbst konvertiert, also ein Muslim sein. Nach der Rezitation einer Sure aus dem Koran schenkten sie ihm schließlich Glauben und ließen ihn gehen. Nicht jedoch bevor sie ihn für die Gitarre in seinem Auto rügten, das Instrument sei haram, also von Gott verboten und verderbe die Jugend.

Stimmt es also, dass Christen bedrohter als Muslime seien? Nein, im Allgemeinen könne man das nicht sagen. Nur in wenigen Orten, wo die Nusra die Überhand hätte, denn die Freie Syrische Armee und die Syrer an sich würden nie Christen aufgrund ihrer Religion Schaden zufügen, sagt Zareh.

Seinen Freund Chaled, Sunnit aus Aleppo, erregt diese Geschichte besonders. "In Syrien sind wir überrascht worden von dieser plötzlichen massenweisen Einwanderung radikaler Elemente. In Syrien kannten wir bisher nur das friedliche Zusammenleben zwischen den Religionen.“ Doch die Hauptschuld am Konflikt trage ganz klar das Regime.

Hoffnung auf Familie

Eines Tages im April fand er sein Haus in Schutt und Asche vor, Ergebnis eines Angriffes der syrischen Luftwaffe auf seine Ortschaft. Dem ehemaligen Bauernhofbesitzer und Restaurantbetreiber blieb nichts anderes übrig, als mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern, 17 und 12 Jahre alt, an die syrisch-türkische Grenze zu fliehen. Von dort trat er allein den Weg nach Istanbul an, um dann mit Schleppern nach Österreich zu gelangen. Seine Frau und Töchter hätte er aber nie Schleppern anvertraut. Seine Hoffnung setzte er auf das Recht auf Familienzusammenführung, um auf diesem Weg seine Familie sicher und legal nach Österreich zu bringen.

Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Denn wie die meisten syrischen Flüchtlinge in Österreich erhielt er nur subsidiären Schutz, wodurch ihm das Recht auf Familienzusammenführung verwehrt bleibt. Denn subsidiärer Schutz bedeutet nur eine zeitlich beschränkte Aufnahme, bis sich die Situation im Heimatland verbessert. Weniger Rechte sind die Folge. Zwei Monate ist es nun her, dass er das letzte Mal von seiner Familie hörte. Auf der Flucht vor militärischer Gewalt ziehen sie von Ort zu Ort und finden Aufnahme bei Syrern, von denen viele in diesen schweren Zeiten wie eine Familie zusammenhalten.

Bis auf diesen Punkt sei alles gut gewesen in Österreich. Dabei lächelt er dankbar seinen zwei ehrenamtlichen Deutschlehrerinnen zu, seiner Nachbarin Helga Buttinger und der Ärzte-ohne-Grenzen-Aktivistin Christa Rabek. "Die zwei werde ich nicht vergessen, genauso wie ich jetzt meine Volksschullehrer noch in Erinnerung habe, werde ich mich immer wieder an sie erinnern.“ In Österreich wurde er gut behandelt, doch woran das Problem mit der Familienzusammenführung liegt, verstehe er nicht. Seine Familie und er seien ja keine Schmarotzer, weder Geld noch Essen und Trinken erwarte er sich, denn finanziell ginge es ihm ja gut. Sie seien bloß auf der Flucht vor dem Tod, auf der Suche nach einem friedlichen Platz, wo sie gemeinsam leben könnten.

Willkürliche Gewalt

Zustimmend nickt Musab. Dem jungen Syrer wurde sein Name zum Verhängnis. Denn die Familie Mayouf hat in Hama große Bekanntheit. Um die 400 Männer, die diesen Namen tragen, hatten vor dem Konflikt fast alle der regulären Armee angehört und waren nun zum Großteil desertiert. Auf dem Weg aus Hama, der Stadt, in der er selbst Teil der gegen Assad demonstrierenden Massen war, hielt eine Militärpatrouille den Bus an und rief nach dem Mayouf, der in diesem Bus sitze. Der Soldat durchsuchte sein Handy nach verdächtigen Fotos und verhörte ihn.

Nach einer halben Stunde sagte er schließlich, dass er ihn diesmal verschone, da er ein guter Junge wäre. "In Syrien herrscht totale Willkür. Sie hätten mich auch an die Wand stellen und exekutieren können, wie es ja vielen passiert ist. Diesmal ging es für mich gut aus, das nächste Mal könnte so eine Kontrolle meinen Tod bedeuten, also musste ich flüchten.“ Gezwungen, sein Studium abzubrechen, für das er nur mehr ein Jahr gebraucht hätte, trat er wie Zareh und Chaled den Weg nach Österreich an.

Auf der Flucht vor dem Tod und auf der Suche nach Frieden kamen die drei nach Österreich.

Teilweise haben sie ihn hier gefunden. Mit Hoffnungen und Perspektiven blicken sie in ihre Zukunft. Alle drei lernen Deutsch. Dazu bietet der See in Innermanzing die nötige Ruhe. Zareh will weiter Musik spielen und fotografieren, Chaled seiner Leidenschaft, dem Kochen, nachgehen, wenn möglich sogar ein Restaurant eröffnen, und Musab denkt ans Studieren. Ob ein Jahr unter subsidiärem Schutz dafür genug ist? Sie wissen es nicht und hoffen auf ordentliches Asyl, um ein neues Leben in Frieden zu beginnen.

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