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Dringliche Anliegen der christlichen Krankenfürsorge

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Die Caritas ist zweifellos — neben Kult und Lehre — eine Wesensbezeugung des Christentums. Um so mehr muß auffallen, daß sie sich selbst in der Kirche noch nicht voll durchgesetzt hat — auch heute nicht, obgleich sie sich doch im engeren Bereich des konkreten Lebens entfaltet, um den es der Kirche seit Jahren ganz besonders geht. So zum Beispiel wurde 1949 von seiten theologischer Fachkreise erklärt, daß es eine Caritaswissenschaft weder gebe noch brauche — ungeachtet der Tatsache, daß es anderswo seit Jahrzehnten eigene Institute für Caritaswissenschaft gibt. Eine tiefergehende Erarbeitung und Darbietung der Caritasgeschichte, die so glorios ist,' wurde bei uns vorerst nur fragmentarisch versucht. Die geistige Wegbereitung und praktische Durchsetzung einer wirkkräftigen Volkscaritas tut sich weithin noch recht schwer. Es tut wirklich not, bei allen sich bietenden Gelegenheiten vor unserm Volk für die Anliegen der Caritas Zeug: nis abzulegen.

Eine solche Gelegenheit — und zwar auf dem besonders wichtigen Sektor der Krankenfürsorge — ist das kürzlich gefeierte 400-Jahr-Jubiläum der beiden offiziellen Patrone der Kranken und der Krankenpflege. Am 8. März 1550 ist in Granada der hl. Johannes von Gott, der Stifter der Barmherzigen Brüder, gestorben, und im selben Heiligen Jahr — am 25. Mai 1550 — wurde in Buchianico (Abruzzen) der hl. Kamillus von Lellis geboren, der Stifter der Kamillianer. Das Jubiläum, das die ganze Neuzeit und auch die moderne Sozialbewegung überbrückt, führt uns in die früh einsetzenden Bemühungen, der Gegenreformation auf theologischem und pastoralem Gebiet eine Reaktivierung der Caritas korrespondieren zu lassen.

Die Frage ist nun: Gelten ihre Systeme, ihre und ihrer Nachfolger Thesen, die Orden selber auch heute noch? Vielleicht in angepaßteren Formen, aber immerhin grundsätzlich gültig?

Am leichtesten scheint die Antwort bezüglich der Schwesternorden zu sein: trotz ihres zeitbedingten Nachwuchsmangels und der schmerzlichen Überalterung mit all ihren, auch geistigen Folgen, trotz der Instituta saecularia und der weltlichen Sozialberufe, auch trotz der Erstarrung mancher Ordensformen usw. hat zweifellos gerade der Typ der caritativen Ordensgenossenschaft eine Zukunft. Er hat sogar seine volle Entfaltung erst noch zu erwarten, wenn diese Schwesterngemeinschaften nur den Mut haben, sich in ihrer caritativen Sonder-typik ganz ernst zu nehmen und sich eigenständig zu entfalten. In diesem letzteren Sinne ist der „Ordensrat“ bemüht, den Schock des Kulturkampfes und der Nachkriegszeit auszugleichen und zu gemeinsamer, fruchtbarer Besinnung zu führen. Manches Anliegen haben die geistlichen Schwesternschaften gemeinsam mit den männlichen Orden der Krankensorge, deren Stifter auch gemeinsam 1886 zu Patronen der Kranken und Spitäler, 1930 zu Patronen der Krankenpflege und ihrer Organisationen erklärt worden sind. Es sei vor allem auf folgendes verwiesen.

Die Frage nach dem caritativen Krankenhaus: Es herrscht Einigkeit in dem Wissen, daß das Spital eine christliche Gründung, eine Schöpfung aus cari-tativem Geiste ist. Auch in dem Wissen darum, daß das moderne Krankenhaus ohne die wegweisenden Leistungen der caritativen Orden, nicht zuletzt der Barmherzigen Brüder, undenkbar wäre. Daß sich das katholische Privatspital bei uns in Österreich schon immer schwerer tat — (die Katholiken Deutschlands haben im Verhältnis fast zehnmal mehr Krankenanstalten errichtet) —, ist nicht zuletzt erklärlich aus der Armut unserer caritativen Orden. So ist das caritative Krankenhaus bei uns auch nicht überall leistungskräftig und anerkannt. Kulturkämpfe und Wirtschaftskrisen, Gesetzgebung und Besteuerung, Kommunalisierung und Sozialversicherung haben ihnen darüber hinaus gewaltig zugesetzt. Es wird faktisch in keinem Gesetz und Gesetzesentwurf als caritative Einrichtung zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Vielmehr steht es unter schwerem Druck, sich als gewerbliches Unternehmen zu führen und seine weltlichen Angestellten in die Gewerkschaft (der Transportarbeiter!) überzuleiten. Es kämpft seit 30 Jahren mühselig um sein Lebensrecht und seine Eigenart. Die Ausweitung in unentgeltliche Ambulanzbehandlung und in offene Krankenfürsorge draußen in den Gemeinden — alte Anliegen der Caritas, die stets aktuell bleiben! — stößt auf ungewöhnliche Schwierigkeiten. Die ländlichen Klein- und Armenanstalten, besonders für die Siechen, Unheilbaren und alten Leute, verfallen der Gefahr weiterer Verkümmerung. Hier gilt es einen neuen Aufbruch! Wir brauchen in der österreichischen Caritas eine grundlegende Besinnung auf den katholischen Anstaltstyp von morgen. Wir brauchen für die größeren Schwesterngenossenschaften den Willen und die Möglichkeit, ein eigenes mustergültiges Krankenhaus (mit einer Pflegeschule) zu führen. Wir brauchen für'unsere caritativen Anstalten bei gleichen Leistungen die gleichmäßige Anerkennung durch Gesetzgebung und Sozialversicherung.

Die Frage nach der modernen Krankenpflege: Auf den Voraussetzungen der geistlichen Genossenschaf- ' ten hat sich seit mehreren Jahrzehnten auch bei uns in Österreich eine weltliche Krankenpflege entfaltet, die zahlenmäßig noch . nicht klar abgrenzbar ist, aber gegenüber dem Rückgang der Ordensschwestern stark anwuchs. Dieser weltliche Sektor war inmitten der politischen Umwälzungen, der militärischen Beanspruchung und der ethischen Erschütterungen bei uns solchen Belastungen ausgesetzt, daß er den Anschluß an den internationalen Standard noch nicht ganz wiedergewinnen konnte. Das neue Krankenpflegegesetz von 1949 bietet dazu leider wenig Ansatzpunkte. Führende Schichten gewähren so ein Bild der Zersplitterung- und der Entmutigung, das wohl durch politische Kategorien nicht aufhellbar sein durfte. Die Krankenpflege Österreichs braucht einen neuen Aufbruch zur klassischen Krankenpflege, zu deren Gesetzlichkeiten, Erkenntnissen und Lobenswertem und es sollte den caritativen Pflegekräften wirklich ein Herzensbedürfnis der nächsten Jahre sein, diese klassisch-christliche Krankenpflege möglichst eindrucksvoll aufzuzeigen und verwirklichen zu helfen. Sie würden damit auch den schwerringenden weltlichen Schwestern eine gute Stütze zur Verwirklichung der gemeinsamen Berufsideale sein.

Die Frage nach dem Berufsethos in der Fürsorge: Alle Fürsorgeberufe sind in die Auswirkungen hauptamtlicher Verberuflichung geraten, damit auch in die Gefahren der Mechanisierung, Uber-lastung und Spezialisierung, der Ent-seelung und mitunter sogar in die Nähe der Bürokratisierung und der Verpoliti-sierung. Gewerkschaftliche Gesichtspunkte waren einzuschalten, liberale und humanitäre Auffassungen ohne objektive Maßstäbe machten sich geltend. Jeder Autoritätsberuf und erst recht jeder Sozialberuf braucht aber ein klares, festes Ethos auf der Grundlage absoluter Normen. Hier erwachsen für die Fortführung der Krankenpflege dringliche Aufgaben der geistigen Auseinandersetzung und ethischen Führung. Die Pflege der frau lieben Persönlichkeit, ihrer Geistigkeit und Lebensgestaltung, die Erfüllung des

Berufszölibats und der echten Herzensbedürfnisse, die Vertiefung des Altruismus und der Religiosität, das Deutlichmachen der christlichen Schau und des gemäßen Vollkommenheitsstrebens — das alles wird ohne Mitengagement sowohl der männlichen Pflegegruppen wie der Gesamtcaritas nicht zu bewältigen sein.

Die Frage nach dem Mann in der Gesundheitsfürsorge: Droht der Barmherzige Bruder historisch-museal zu werden? Ist der Mann im Bereich der Pflege nicht endgültig und völlig verdrängt worden von der Frau? Soll sich der Mann gar mit Gewalt zurückdrängen in ein Gebiet, in welchem sich die Frau so hervorragend bewährte und auf das sie im Zeichen des „Frauenüberschusses“ wie auf ein erobertes Reich die Hand legen muß? Andererseits hat der Mann seine Anwartschaft auf die gemäße Mitarbeit in der Gesundheitsfürsorge sehr nachdrücklich angemeldet — Österreich hat einige tausend Arzte und Mediziner „zu viel“l Aber das Problem scheint bei dieser überzähligen Quantität nicht zu liegen; freie Heilkünstler ohne Zahl haben eine starke Gefolgschaft, und so weite Gebiete, wie Sport und Körperkultur und Lebensreform, sind fast ohne Ärzteschaft. Sind andererseits mit dem Arzt, dem Pfleger und Irrenwärter, dem Pharmazeuten und physikalischen Therapeuten alle Möglichkeiten für den Mann in der Gesundheitsfürsorge auch wirklich erschöpft? Vielleicht besteht sogar die Gefahr, daß der erwähnte Medizinerüberhang angesichts gewisser Krisenerscheinungen innerhalb der Schwesternschaften einen Überdruck ungebührlicher Expansion männlicher Kräfte ausübt, jedenfalls ist zu sehen, daß der Mann auch heutzutage innerhalb der Krankenpflege und erst recht der Gesundheitsfürsorge seine Aufgabe und seinen Platz besitzt. Eine klare Abgrenzung und feste Linienführung würde beiden Geschlechtern organisch zugute kommen. Damit wäre auch der Raum des Bruders, speziell des Barmherzigen Bruders, gesichert — nicht nur als des Trägers von Ordensspitälern und deren Verwaltung, sondern auch im .gemäßen Pflegedienst. Unser Volk sollte diesen Brüdern dementsprechend weder den Respekt noch den Nachwuchs versagen.

Die Frage nach dem Apostolat in der Krankenstube: Neben dem leiblichen Werk der Barmherzigkeit muß heute mehr denn je das geistige stehen. Fast ein Sechstel der Bevölkerung wird hier jährlich erfaßbar. 95 Prozent gehen nach zirka drei Wochen wieder zurück in den Alltag. Es gibt wenig solche Möglichkeiten und Notwendigkeiten seelsorglicher Betreuung und missionarischer Begegnung. Tatsächlich wird die besondere Bedeutung der Krankenhausseelsorge zunehmend erkannt, ihre Methodik neu erarbeitet und für die gesamte Heilseel-sorge ausgewertet.

So ist es sinnvoll, anläßlieh des Jubiläums der Patrone der Krankenpflege ein Zeugnis abzulegen für- ihre klassisch gewordenen Ideen, Werte und Gesetze, wie sie sich anerkanntermaßen auf der christlichen Grundlage entfalteten.

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