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Dschelaluddin Rumi

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Obwohl nicht zu leugnen ist, daß die Entstehung des Islams auf ein starkes religiöses Erlebnis seiner ersten Bekenner zurückgeht, nicht zuletzt seines Stifters Mohammed im 7. Jahrhundert nach Christus, ist im Lauf der Entwicklung des Islams eine starke Verlagerung auf das Gebiet einer nüchternen Gesetzesreligion eingetreten. Schon beim Stifter hat das religiöse Erleben allmählich einer gewissen Nüchternheit Platz gemacht. Der religiöse Schwärmer und Feuergeist wurde noch im Laufe seines Lebens zum Staatsmann und Gesetzgeber. Die unstillbare Sehnsucht der Menschheit, sich Gott persönlich zuzuwenden und in jenseitsgerichteter Frömmigkeit eine Sinngebung des Lebens zu finden, konnte in dem starr werdenden Lehrgebäude des Islams keine letzte Befriedigung mehr finden.

Die hellenistische Emanationslehre und die frühchristliche Gnostik hatten bereits in den ersten Jahrhunderten des Islams Einfluß auf jene Kreise seiner frühen Anhänger genommen, die als Asketen und Büßer sich um volkstümliche Prediger der Mystik scharten. So wurde schon in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts Bagdad, dessen Lage im arabisch-persischen Grenzgebiet hier von Belang ist, zum Mittelpunkt der islamischen Mystik. Hier wurden zuerst Räume für fromme Vorträge und für Musik geöffnet, hier formten sich die verschiedenen Richtungen und Schulen der islamischen Mystik heraus. Ein starkes religiöses Leben steht am Anfang der islamischen Mystik, viele ihrer Erscheinungsformen erinnern an die religiösen Bewegungen des Abendlandes im 12. und 13. Jahrhundert. Auch im Islam sind eine Armutsbewegung, die Laienpredigt und die Bildung von, religiösen Vereinigungen festzustellen. Auch hier grenzt die Neuerung im religiösen Leben immer hart an die Ketzerei. So finden auch im Islam Prozesse gegen die Anhänger neuer religiöser Richtungen statt, angestrengt vom orthodoxen Klerus. — Es ist der große, 1111 nach Christus gestorbene muslimische Theologe al-Gazali, der unter Ablehnung der extremen Richtungen die islamische Mystik der Duldung durch die Orthodoxie zuführt.

Ausgangspunkt der Stimmung des muslimischen Mystikers ist das Gefühl des ungeheuren Abstandes zwischen ihm und Gott, den es durch verschiedene Formen der Läuterung zu überwinden gilt. Hiezu dient ihm im Gegensatz zur irdischen Wissenschaft die Erlangung der Erkenntnis, die zur echten Wahrheit, dem Prinzip des Göttlichen führt.

Eine der Hauptrichtungen der muslimischen Mystik, die Wahdatija, fußte auf der Lehre des Philosophen Ibn al-'Arabi, gestorben im Jahre 1240, vom existentiaÜstischen Monimus, der folgendermaßen definiert wurde: „Die Existenz der eischaffenen Dinge ist nichts anderes als das Wesen der Existenz des Schöpfers.“ Demnach gilt es, die eigene, fühlbare Existenz zu überwinden, um m die Vereinigung mit dem höchsten Wesen einzugehen. Diese Selbstaufgabe, um zur Vereinigung mit dem wahrhaft Existierenden zu gelangen, stellte schon in den Anfängen der Mystik das Verhältnis des Frommen zu Gott unter das Bild der Liebe, der Gottesminne, wobei Gott im Sinnbilde jeglicher Schönheit gesehen werden konnte.

Der Weg, zur Wiedervereinigung mit Gott zu gelangen, bestand aus mehreren Stufen: Die inbrünstige Ausübung des Kultus und ein aufrichtiges, reines, einfaches Leben führten zur Gnosis. Aus ihr gelangte man durch Versenkung in die ewige Wahrheit, durch schärfste Konzentration, die durch die immer wieder erfolgende Zitierung eines- Namens Gottes oder durch Anhören von Dichtung, Musik oder durch Tanz gesteigert werden kann, in einen Zustand des Enthusiasmus, ja bis zum verzückten Zwiegespräch mit Gott, bis zur Entwerdung und Selbstaufgabe an Gott. Diese hier nur in groben Zügen gezeigten Stationen wurden von den einzelnen, auf muslimischem Boden entstehenden Orden mit Hilfe eines stufenweise aufgebauten Lehrbetriebes und Rituals zu erreichen gesucht.

Dschelaluddin Rumi, der Sänger dieser Mystik erwuchs in seiner religiösen und dichterischen Größe aus dieser Welt der muslimischen Mystik. Im Jahre 1207 in Balch in Ost-Chorassan geboren, entstammt Dschelaluddin Rumi einer alten Familie von Gelehrten und Mystikern. Die Mongolenstürme veranlaßfen seine Eltern, nach dem Westen zu ziehen, zunächst nach Nischapur, dann nach Bagdad, um schließlich in Kleinasien, in Erzindschan und später in Larende, eine neue Heimat zu finden. Die Freizügigkeit der Gelehrten im Bereiche der islamischen Welt .estattete es dem Vater Dschelajuddins, selbst ein bekannter Wissenschaftler und Hochschullehrer, überall leicht Wurzel zu fassen. Als das Reich der Seldschuken von Kleinasien unter Sultan 'Alu'ddin Kaikobad I. auf dem höchsten Punkte seiner politischen und kulturellen Blüte stand, wurde der Vater Dschelaluddins im Jahre 1226 nach der Hauptstadt Konya berufen, einer besonderen Pflegestätte des Hochislams, wo die Amtssprache arabisch und die Hofsprache persisch war. — Dschelaluddins Vater wirkte dort wieder als Muderris, als Professor einer Hochschule, für Dschelaluddin aber wurde die Stadt zum Schicksal. Hier erfolgte seine entscheidende Entwicklung zum Gelehrten, großen Mystiker und unvergänglichen D'chter. Diesem Lande, einem Teil des ehemaligen Ost-Rom, in islamischen Landen Rum genannt, verdankte er seinen Beinamen Rumi, hier versammelte er um sich Schüler und Jünger, die ihn Muläna „unsera Herrn“ aannten.

Nach dem Tode seines Vaters folgte ihm Mewlana Dschelaluddin Rumi 1230 auf seinem Lehrstuhl. Er hatte die übliche theologische Ausbildung seiner Zeit erhalten, aber schon früh auch zu der von Gazali sanktionierten gemäßigten Richtung der islamischen Mystik Zugang gefunden und auf beiden

Gebieten sich beträchtliches Ansehen zu verschaffen gewußt. Da wurde er 1244 eines entscheidenden Erlebnisses teilhaftig. Ein junger Wanderderwisch aus Täbriz, Schemseddin, später als Schems-i-Täbriz bekannt, tauchte in Konya auf, ein mystischer Schwärmer von hoher menschlicher und geistiger Überzeugungskraft. Er rüttelte Dschelaluddin Rumi aus seiner geistigen und seelischen Selbstzufriedenheit zum mystischen Enthusiasmus auf. Er scheint einer jener Mystiker gewesen zu sein, die keine Konzessionen an die Orthodoxie gemacht haben. Dem schönen, schwärmerischen Jüngling, dem mystischen Feuergeist des Schems-i-Täbriz verfiel der würdige Professor und Familienvater Dschelaluddin Rumi. Er machte ihn zu seinem Führer auf dem Weg der mystischen Vollendung, schloß sich ab von der übrigen Welt, um nur der Zwiesprache mit diesem Freunde zu leben, der ihm ein Sinnbild göttlicher Emanation zu sein schien, der Verzückung, Liebe und Tanz in ihm entfacht. Die Theologen, die Schüler und Freunde, ja die FamilieDschelaluddins nahmen ihm diese Wandlung übel, ja mißdeuteten sie sogar. Es kam zu einem gewalttätigen Aufruhr, Schems-i-Täbriz wurde getötet oder verschwand. Dschelaluddin aber klagte hinfort bis an sein Lebensende um den verlorenen Freund. Seine sehnsüchtigen Oden an Schems-i-Täbriz, an Gott, wer könnte da unterscheiden, zeugen von seiner seelischen Verfassung. In der Erinnerung an ihn geriet er immer wieder in Verzückung, sprach Verse, sang und tanzte. Unter seinen Nach-kommen und Jüngern wurde dies mystische Erlebnis in die Regeln eines Ordens gefaßt, des Ordens der tanzenden Derwische, der Mcwlewije, mit dem Stammhaus in Konya. Neben den schon erwähnten Oden dan Schems-i-Täbriz hat Dschelaluddin Rumi noch ein fast 27000 Doppelverse umfassendes großes mystisch-didaktisches Werk, das Mesnewi-i-ma' newi verfaßt, die Bibel der islamischen Mystik und ein dichterisches Kunstwerk der Weltliteratur.

Im Jahre 1273 ist Mewlana Dschelaluddin Rumi in Konya gestorben. Im Kloster der tanzenden Derwische wölbt sich eine Kuppel von blaugrünen Fliessca über seinem Grabe, die weit in die Steppe zwischen Ankara und Konya hinausleuchtet. So sah auch ich sie aus dem oasenhaften dunklen Kranze der Stadt ragen, schon weit von der Steppe her. Seit 1925 ist das Kloster ein Museum islamisch-türkischer Kunst. Aber immer noch wallfahren Hirten und Bauern zum Grabe des großen Dschelaluddin Rumi. Was bedeuten ihnen schöne Teppiche, kostbare Handschriften, köstliches Gerät? Sie beten heute wie vor 600 Jahren am Grabe des großen Heiligen und Dichters. Noch sind Derwische des Klosters da, alte, ehrwürdige Gestalten in der braunen Filzkutte, mit der hohen, zuckerhutförmigen Mütze der tanzenden Derwische. Sie sind Museumsdiener, and dort, wo sie einst im sakralen Reihen-tanse beim Klange der Flötenmusik und der mystischen Lieder den Pfad ihres Meistens geschritten, da wischen sie nun Staub und halten die Erinnerung an ihren Meister rein.

Ich bat einen dieser alten Derwische, mir etwas aus dem Mesnewi zu sprechen. Und er trug mir kl psalmodierendem Tone das Flötenlied vor, das die Lehre der Mystik fast programmatisch enthält. — Es sei dies dem Aufsatz beigefügt. Hier klagt die Flöte, weil sie ihrem Urgrund, dem All, entrissen ist, voll Sehnsucht nach der Wiedervereinigung mit dem All. Hier tönt es von der Gottesminne, von der nötigen inneren Schau und Läuterung, von der großen Einheit der Schöpfung, in die alle Existenz umgedeutet wird.

ZW TiöUtiied des DewwcUe

Hör auf der Flöte Rohr, was es erzählt, Hör, wie es klagt, von Abschiedsschmerz gequält: Seit man mich aus der Heimat Röhricht schnitt, VZeiat alle Welt bei meinem Tönen mit. Ich such ein Herz, von Trennungsleid zerschlagen, Von meiner Sehnsucht Schmerzen ihm zu sagen. Dem Urgrund fern, strebt jeder immerdar Zurück zor Zeit, da er vereint ihm war. An jedes Ohr schlug meines Tones Welle, Ward Frohen bald, Betrübten bald Geselle, Ein jeder dünkte sich mein Freund zu sein, Doch keiner drang in mein Geheimnis ein. Und doch, so fern ist's meiner Klage nicht, Dem Aug und Ohre fehlet nur das Licht, Es ist der Leib dem Geist, der Geist dem Leibe klar, Doch keinem Auge stellt der Geist sich dar. Kein Hauch, nein, Feuer sich dem Rohr entwindet. Verderben dem, den diese Glut nicht zündet! Der Liebe Glut ist's, die im Rohre saust, Der Liebe Gären, das im Weine braust. Dem Liebeskranken steht die Flöte bei, ' Ihr Tönen riß die Schleier uns entzwei. Was ist als Gift, als Gegengift ihr gleich? An Sehnsucht und an Mitgefühl so reich? Vom Pfad im Blute will das Rohr berichten, Von Medschnuns Lieb erzählet es Geschichten. Unsinn'gen nur ist dieser Sinn vertraut, Das Ohr allein begreift der Zunge Laut, tu Kummer sind die Tage uns verflogen, Mit Feuerbränden sind sie hingezogen. Was liegt daran? Fahrt hin! ruf ihnen zu, Wenn du nur bleibst, der Reinen Reinster Du! Der Fisch allein wird nie des Wassers satt, Lang wird der Tag dem, der kein Tagbrot hat. Der Rohe kann den Reifen nicht verstehn, Kurz soll die Rede drum zu Ende gehn.

(Obertragen von Hellmut Rbter in Festschrift Georg Jacob, Leipzig 1932.)

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