"Du bist der Heilige Gottes"

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Theologischer Gastkommentar, 2. Teil: Wie im Johannesevangelium hält sich die neue Einheitsübersetzung auch an anderen Stellen nicht an den griechischen Wortlaut, sondern richtet sich nach dem Dogma.

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Theologischer Gastkommentar, 2. Teil: Wie im Johannesevangelium hält sich die neue Einheitsübersetzung auch an anderen Stellen nicht an den griechischen Wortlaut, sondern richtet sich nach dem Dogma.

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Die neue Einheitsübersetzung der Bibel, die vor Kurzem erschien, stand unter dem Motto "Nah am griechischen Urtext". Aber nicht nur bei der Überarbeitung des Johannesevangeliums, insbesondere des Prologs (vgl. FURCHE 05/2017), sondern auch an vielen anderen für das Verständnis Jesu Christi wesentlichen Stellen hielt man sich nicht an diesen Grundsatz, sondern es wurde, wie schon zuvor, im Sinn der späteren kirchlichen Lehre übersetzt; zumindest im eigentlichen Text, in Anmerkungen steht oft die korrekte Version. Das trifft auch auf die Übersetzung des urchristlichen Hymnus im Brief an die Philipper zu (2,6-11), der dann zu Unrecht als biblisches Argument für ein Gott-Sein Jesu Christi herangezogen werden kann.

Philipper- und Kolosserhymnus

Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: / Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, / sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen So lauten die Verse 5-7 im Kapitel 2 des Philipperbriefs in der neuen Einheitsübersetzung. In einer Anmerkung steht aber dann: 2,6f. wörtlich: Er, der in der Gestalt Gottes war, sah das Gott-Gleich-Sein nicht als Raub (oder etwas zu Raubendes) an, sondern entäußerte sich, nahm Knechtsgestalt an, wurde den Menschen gleich und der Erscheinung nach ganz als Mensch erfunden.

Es ist leicht zu erkennen, dass die Version im Text, die in der Liturgie - etwa am Palmsonntag - verwendet und damit verkündet wird, mit der "wörtlichen", korrekten Wiedergabe in der Anmerkung nicht in Einklang ist: Wenn Christus Jesus nicht nur in seiner Gestalt oder Stellung, sondern seinem Wesen nach Gott gleich gewesen wäre, hätte er dieses Gott-gleich-Sein weder vorher als Raub an sich reißen noch nachträglich aufgeben können, denn das eigene Wesen kann niemand sich selbst aneignen noch es ablegen und durch ein anderes ersetzen. Ein "Gott-gleich-Sein" dem Wesen nach könnte auch niemandem verliehen werden, auch nicht von Gott, denn ein von Gott abhängiger "Gott" wäre nicht Gott. Jesus hat also im Unterschied zu Adam der Versuchung widerstanden, wie Gott sein zu wollen. Er hat nicht ein Gott-gleich-Sein, sondern seine göttliche Stellung aufgegeben und wurde auch seiner Erscheinung und seinem Auftreten nach ganz den Menschen gleich, wie es wörtlich heißt. Jesus hatte als der von Gott erwählte und gesandte Messias, als der geliebte Sohn Gottes eine einmalige Stellung, die über die der anderen, in der Gottferne lebenden und erlösungsbedürftigen Menschen erhaben war. Aber er "entäußerte" sich derselben und wurde seiner Gestalt nach ganz den Menschen gleich.

Auch der Philipperhymnus kann daher nicht als biblisches Argument für ein Gott-Sein Jesu verwendet werden, wie es offensichtlich der Intention der Übersetzung im Text entspricht. Er ist vielmehr ein Argument für die gegenteilige Position, vor allem dann, wenn man noch weitere unrichtige Übersetzungen korrigiert: Es heißt im Urtext nicht damit alle ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu, als ob Jesus das Ziel der Anbetung wäre, sondern im Namen Jesu, also in seinem Namen vor Gott. Jesus Christus ist nach dem Philipperhymnus nicht der Herr, wie es anschließend unrichtig heißt, denn das ist und bleibt Gott, sondern er ist Herr Jesus Christus zur Ehre Gottes, des Vaters. Es müsste erlaubt sein, sich bei der Lesung des Textes im Gottesdienst an die wörtliche, richtige Übersetzung zu halten.

Der Christushymnus am Beginn des Kolosserbriefs (1,15-20) gilt als eine der deutlichsten Aussagen des Neuen Testaments über Jesus Christus und ist daher für unsere Fragestellung wichtig. Positiv zu vermerken ist, dass im Vers 15 Jesus nicht mehr wie bisher als "das Ebenbild", sondern als Bild des unsichtbaren Gottes bezeichnet wird, was im Sinn von "Abbild" zu verstehen ist. Das entspricht auch der Fortsetzung: der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Christus steht als Erster an der Spitze der Schöpfung, ist damit auch ihr Maßstab, aber er gehört zur Schöpfung, ist ein Teil von ihr. Dem entspricht auch, dass er im Vers 18 als Erstgeborener der Toten bezeichnet wird, also als der Erste der von Gott Auferweckten.

Im Vers 17 heißt es im griechischen Text: Er ist vor allem, in ihm hat alles Bestand. Mit diesem "allem" kann nicht "alles überhaupt" gemeint sein, denn dann wäre er auch vor Gott und vor sich selbst. Gemeint ist vielmehr "vor allem"(oder: "vor allen", wie im lateinischen Text) anderen (in der Schöpfung)", eben der Erstgeborene der Schöpfung, wie es zuvor geheißen hat. Hier wurde wieder unrichtig übersetzt mit Er ist vor aller Schöpfung ; offensichtlich, um Jesus als eine "ungeschaffene" und damit als göttliche Person darstellen zu können. Das sollte korrigiert werden.

1. Brief an Timotheus und Brief an Titus

In 1. Brief an Timotheus 2,5 steht ein "Zitat einer urchristlichen Glaubensformel", wie dieser Text in einer Anmerkung in der neuen Einheitsübersetzung bezeichnet wird, das lautet: Denn: Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Jesus Christus. Die hier festgehaltene Unterscheidung zwischen dem einen Gott und dem Menschen Jesus Christus als Mittler lässt sich nicht durch eine andere Übersetzung umdeuten. Doch im Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2574, wo aus diesem Vers zitiert wird, werden die Worte "der Mensch" ausgelassen und durch drei Punkte ersetzt; wohl deshalb, weil die kirchliche Lehre über Jesus Christus mit dieser urchristlichen Glaubensformel nicht vereinbar ist.

In der Christmette WIRD als zweite Lesung ein Text aus dem Brief an Titus (Tit 2,11-14) verlesen, wo es im Vers 13 wie schon in der früheren, nun auch in der neuen Einheitsübersetzung heißt: während wir auf die selige Erfüllung unserer Hoffnung warten: auf das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Christus Jesus. In einer Anmerkung zu diesem Vers steht, wie bereits in der bisherigen Einheitsübersetzung, als "andere Übersetzungsmöglichkeit" zu lesen: (der Herrlichkeit) des großen Gottes und unseres Retters Christus Jesus. Diese beiden Varianten lassen sich nicht in Einklang bringen. Nach dem Haupttext ist Gott mit dem Retter Jesus Christus identisch, der Anmerkung nach sind sie zwei verschiedene Personen.

Im folgenden Vers 14 heißt es: Er hat sich für uns hingegeben, damit er uns von aller Ungerechtigkeit erlöse Das kann nur von Jesus Christus, nicht von Gott und Jesus Christus als demselben, gemeint sein. Auch aus einem Vergleich mit Vers 1,4 im selben Brief ergibt sich, dass die zweite Variante die richtige ist. Denn dort steht: Gnade und Friede von Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserem Retter. Und der Vers 3,6 lautet: Ihn [den Heiligen Geist] hat er [Gott] in reichem Maß über uns ausgegossen durch Jesus Christus, unseren Retter. Die in der Anmerkung angegebene Variante ist also nicht eine "andere" Übersetzungsmöglichkeit, sondern die zutreffende. Sie ist aber in der Christmette nicht zu hören. Dort wird die Lesung nach dem Haupttext entsprechend der dogmatischen Christologie als "Wort des lebendigen Gottes" vorgetragen. Es müsste erlaubt sein, die korrekte "andere Übersetzungsmöglichkeit" im Gottesdienst zu verwenden.

Ähnlich wie Tit 2,13 lautet Vers 1 des 2. Petrusbriefs in der neuen Einheitsübersetzung: Simon Petrus, Knecht und Apostel Jesu Christi, an jene, die durch die Gerechtigkeit unseres Gottes und Retters Jesu Christi den gleichen kostbaren Glauben erlangt haben wie wir. Auch hier steht in der Anmerkung als "andere Übersetzungsmöglichkeit" die richtige: unseres Gottes und des Retters Jesus Christus. Denn schon im folgenden Vers 2 heißt es eindeutig: Gnade sei mit euch und Friede in Fülle durch die Erkenntnis Gottes und Jesu, unseren Herrn. Es wird also zwischen unserem Gott und unserem Herrn Jesus Christus unterschieden.

Übrigens kann auch der Vers 5,20 im 1. Brief des Johannes nicht als Argument für ein Gottsein Christi herangezogen werden kann. Dort steht in der Einheitsübersetzung: Der Sohn Gottes ist gekommen und er hat uns Einsicht geschenkt, damit wir den Wahren erkennen. Und wir sind in diesem Wahren, in seinem Sohn Jesus Christus. Er ist der wahre Gott und ewiges Leben. Mit "Er" ist hier dem Anschein nach Jesus Christus gemeint, der demnach der wahre Gott wäre. Im Urtext heißt es sogar: Dieser ist der wahre Gott

Aber das griechische Wort "dieser" kann sich in biblischen Texten auch auf ein vorletztes Subjekt beziehen, nicht auf das zuletzt genannte; hier also auf den wahren Gott, dessen Sohn Jesus Christus ist.

Konsequenzen und neue Chancen

Aus all dem ergibt sich, dass sich die neue Einheitsübersetzung in vielen, für das Verständnis von Jesus Christus relevanten Texten nicht nach der Bibel, sondern nach der kirchlichen Lehre richtet und daher nochmals überarbeitet werden müsste. Daraus folgt als weitere Konsequenz, dass die dogmatische Christologie wieder nach der biblischen ausgerichtet und entsprechend revidiert werden müsste. Schon die Bezeichnung von Jesus als "Christus" besagt, dass er "der [von Gott!] Gesalbte" ist. Eine prägnante und im Evangelium von Jesus selbst angenommene Bezeichnung findet sich im Bekenntnis des Petrus: Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes (Joh 6,69). Jesus ist demnach nicht "der heilige Gott", sondern der Mensch, durch und in dem das Heil Gottes sichtbar wird, und der es anderen vermittelt. Einem Menschen, der zugleich in ein und derselben Person "wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch ist" (Konzil von Chalkedon), wäre nicht in allem wie wir versucht worden (Hebr 4,15) und hätte sich nicht von Gott verlassen fühlen können. Ihm könnten wir nicht nachfolgen. Er hätte selbst nicht geglaubt und wäre nicht der Anführer und Vollender unseres Glaubens (Hebr 12,2; auch im Brief an die Galater 2,16 ist vom Glauben Jesu Christi, nicht "an Jesus Christus", die Rede).

An dieser früh-und damit judenchristlichen Sicht Jesu nach dem Neuen Testament müssten die christlichen, also auch die orthodoxen und die protestantischen Kirchen neu anknüpfen. Damit wäre auch eine inhaltliche Annäherung zwischen dem Christentum und dem Judentum sowie dem Islam möglich, ohne dabei das Wesentliche des Glaubens im Sinne Jesu aufzugeben; natürlich noch mehr, falls auch diese ihre Fundamente hinterfragen. Dann könnte Religion generell wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen.

Der Autor ist Pastoraltheologe in Innsbruck. - Teil 1 des theologischen Gastkommentars ist in FURCHE 05/2017, Seite 15 erschienen.

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