"Durch meinen Glauben handle ich feministisch"

Werbung
Werbung
Werbung

Mitten in ihrem Politikwissenschaftsstudium wird die gebürtige Wienerin und gläubige Muslima Asma Aiad mit der Vorstellung konfrontiert, dass Musliminnen unterdrückt und dazu gezwungen würden, ein Kopftuch zu tragen. "Ich hatte manchmal das Gefühl, dass ich keinen gleichberechtigten Zugang zum Begriff Feminismus oder zum Feministisch-Sein hatte und ausgeschlossen wurde, weil ich ja als kopftuchtragende Muslimin nicht feministisch sein kann -und emanzipiert schon gar nicht." Angeregt von den Diskussionen über die scheinbare Unvereinbarkeit von Glauben und Feminismus, befasst sich die Tochter eines ägyptischen Gastarbeiters bald näher mit verschiedenen Frauenbewegungen. Dort findet sie die Quelle ihres heutigen Engagements, den islamischen Feminismus. Eine Kombination, die in der öffentlichen Debatte oft als Widerspruch dargelegt wird.

Unterdrückt, zurückhaltend oder gar scheu -diese den Musliminnen oft zugeschriebenen Eigenschaften treffen jedenfalls nicht auf die 26-Jährige zu. Ihr strahlendes Lächeln, die sonnige, bunte Kleidung und ein selbstbewusstes Auftreten fallen sofort auf. Aiad spricht schnell -aber nicht aus Unsicherheit, sondern weil sie viel zu erzählen hat.

"Für mich ist mein Glaube der Grund, warum ich auch feministisch, emanzipiert und progressiv handle und mich selbstbestimmt für Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft einsetze", betont die Älteste von vier Geschwistern und verweist auf den Islamischen Feminismus, der die Geschlechtergleichheit durch den Koran argumentiert. Ob man trotz Glauben progressiv handle, das hänge laut Aiad ganz von der jeweiligen Person ab. Sie persönlich motiviere die Religion, "mehr" zu tun. Beispielsweise ehrenamtlich in der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ): Seit zehn Jahren ist Aiad hier aktiv, erledigt die Öffentlichkeitsarbeit und engagiert sich für die muslimischen Frauen, etwa in der Weiterbildungsoffensive "Fatima"."Es soll nicht darum gehen, den angeblich ungebildeten Musliminnen, die kein Deutsch sprechen, eine Weiterbildung anzubieten, sondern Musliminnen, die Schülerinnen, Studentinnen, Akademikerinnen oder Arbeiterinnen sind, eine Fortbildung anzubieten, die ihnen zusätzliche Qualifikationen ermöglicht", schildert die junge Frau und verweist auf MJÖ-Seminare zu Projektmanagement, politische Bildung und Rhetorik.

Teil einer westlichen Bewegung

Durch die Begeisterung für diesen Bereich entscheidet sie sich dafür, die Bachelorarbeit an der Universität Wien zum islamischen Feminismus zu verfassen. "Viele bekannte Vertreterinnen waren in Europa oder Amerika beheimatet, also im 'Westen'. Das fand ich sehr interessant, weil die islamisch-feministische Bewegung für mich daher auch eine 'westliche' Bewegung war. Ich konnte mich damit sehr gut identifizieren", erklärt sie. Um sich auch nach der Abschlussarbeit vor allem aus sozialwissenschaftlicher Perspektive weiterhin mit dem Thema zu beschäftigen, beschließt Aiad, sich für den Masterlehrgang im Fach Gender Studies zu inskribieren.

Neben ihrem sozialpolitischen und feministischen Engagement hat Aiad eine weitere große Leidenschaft: Die Fotografie. Auch in diesem Bereich ist ihr die Darstellung muslimischer Frauen wichtig: Im Projekt "Österreichs Musliminnen", das sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen Amena Shakir und Amani Abuzahra betreibt, werden Muslimas aus ganz Österreich und mit den verschiedensten Hintergründen porträtiert. "Genauso wie es nicht 'die' Frau gibt, gibt es auch nicht 'die' Muslimin", so Aiad. Medial verbreitete Bilder von Musliminnen seien ihrer Meinung nach mit Vorurteilen belastet, was dazu führe, dass die Österreicher generell ein falsches Bild von muslimischen Frauen hätten. "Eine arme, unterdrückte Muslima, die von ihrem Vater oder Bruder geschlagen wird -das ist eine Story, die die Leute hören wollen. Wenn ich aber von einer Muslimin spreche, die gebildet, aktiv und dazu auch noch Feministin ist, dann verbreitet sich das nicht so schnell", ist sich Aiad sicher.

Dass das Kopftuch nach wie vor so stark thematisiert wird, versteht sie nicht. "Mich nervt, dass die Bekleidung der Frau -in dem Fall eben das Kopftuch -ins Zentrum gerückt wird und wir darüber reden, wie sich Frauen zu kleiden haben, was schön ist und welche Ideale es gibt. Es geht immer darum, was die Frau zu tun oder zu lassen hat", beklagt sie. Für welchen Kleidungsstil -ob Kopftuch oder Minirock, oder beides -sich Frauen entscheiden, das solle nicht von der Öffentlichkeit diskutiert oder bestimmt werden.

Obwohl sich die Situation der Frauen in Österreich und Europa in den vergangenen Jahrzehnten verbessert hat, sind sie laut der Einschätzung der Feministin noch lange nicht gleichgestellt. Vor allem in Sachen Arbeitsmarkt, Chancengleichheit und Sexismus sieht sie noch Handlungsbedarf. Auch das Bild der Musliminnen müsse zurechtgerückt werden: "Leider thematisieren manche Frauenaktivistinnen, aber auch politische Akteure die scheinbare Unterdrückung der Musliminnen, um von der allgemeinen Situation abzulenken und die 'emanzipierte, freie Europäerin' gegen die 'arme, unterdrückte Muslimin' auszuspielen." Das entspreche aber nicht der Realität. "Die Muslimin ist auch die emanzipierte Europäerin", betont Aiad.

Binnen-I statt Opfer-Rolle

Frauenpolitische Themen rund um das Binnen-I und die Töchter in der Bundeshymne hält sie für wichtig. "Man muss für Mädchen und Frauen genauso einen Platz in der Gesellschaft schaffen. Wenn man sagt, dass die männliche Form beide Geschlechter inkludiert, dann könnten wir genauso nur mehr in der weiblichen Form sprechen. Aber da schreien alle auf."

Sorgen bereitet der Studentin, speziell nach den Attacken auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo im Jänner, die momentan aufkeimende antiislamische Stimmung. "Das Attentat war ein Schock -für alle. Als ich davon gehört habe, war das erste, was ich gedacht habe: Hoffentlich war es kein Muslim." Besonders am Tag nach dem Anschlag wurde man etwa in der U-Bahn kritisch beäugt. "Da möchte man am liebsten ein Schild hoch halten auf dem steht: Ich habe damit nichts zu tun", erklärt Aiad. Das wünscht sie sich nicht ohne Grund: Einige Freundinnen wären in der letzten Zeit von Fremden sogar geschlagen und bespuckt worden, Moscheen wurden mit Hakenkreuzen beschmiert, Schweineköpfe vor deren Eingangstüren gelegt.

Auch Aiad selbst kennt das Gefühl, die Wörter "Kopftuchmafia" und "Terrorist" an den Kopf geworfen zu bekommen. "Manchmal rede ich zurück und manchmal habe ich keine Lust. Es ist auf jeden Fall eine Stimmung, die nicht schön ist und kein gutes Klima in der Gesellschaft schafft." Und eine Atmosphäre, die der Radikalisierung Grund und Boden bereite. "Die Muslime haben genauso Angst, denn für Terroristen leben wir den Islam viel zu liberal aus und sind daher genauso Opfer."

Einziger Ausweg aus dieser Spirale ist für die Wienerin die verstärkte Arbeit in Sachen Antirassismus und Zivilgesellschaft. "Ich wünsche mir, dass es mehr gemeinsame Strategien für eine gerechtere Gesellschaft gibt. Das kann man durch verschiedene Zugänge erreichen und deshalb sollte man sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern zusammen arbeiten", so die Studentin. "Ich wünsche mir, dass ich Teil dieser Veränderung sein kann."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung