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Durchbruch zur Demokratie

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im Wissen um den grundsätzlichen Diasporacharakter der Kirche. Darum muß die Kirche sich auch unabhängig vom Staat und gegen den Staat organisieren lassen. Calvin kämpft in einem modernen Sinn gegen die staatlichen Absolutheits-ansprüche Berns. Darum hat sich seine Lösung als für die Zukunft hilfreich erwiesen, während die Lösungen Zwinglis und Luthers Problemen der modernen Staaten nicht gewachsen sind.

Reformation — Beginn der Neuzeit?

Dieses Thema hat faszinierende Aspekte, ist aber so komplex, daß es nie abschließend diskutiert werden kann: Ist die Reformation der Beginn der Neuzeit? Oder ist sie eine der retardierenden Bewegungen? Wieweit enthält sie Impulse für die Moderne und wieweit schon Proteste gegen Fehlentwicklungen derselben?

Kaum zu bestreiten ist ein Zusammenhang zwischen Calvinismus und der modernen auf Menschenrechten aufgebauten Demokratie. Die amerikanische Demokratie ist eindeutig im Calvinismus verwurzelt, Well der Calvinismus mit dem Priestertum aller Gläubigen ernst machte, mußte er dort, wo er sich selber richtig verstand, auch den Gläubigen zur Mündigkeit erziehen.

Wichtig ist in diesen Zusammenhängen das Problem des Widerstandsrechtes. Zwingli hatte schon 1523 erklart, daß im Fall von Unfähigkeit ein Erbkönig durch Volksmehrheit abgesetzt werden könne! Calvin fordert das Widerstandsrecht für den Fall, daß eine Obrigkeit Ungehorsam gegen Gott fordert. Der Calvinismus hat diese Gedanken so radtkalisriert, daß ein Zusammenhang mit dem neuen Revolutionsdenken angenommen werden darf.

Eine moderne Sozialethik

Weiter öffnet Calvin in einem bestimmten Sinn die Tür zum industriellen Zeitalter. Er macht, im Gegensatz zu Luther, den Schritt über den Patriarchalismus hinaus. Ihn interessieren brennend Fragen der Gesellschaft, Wirtschaft und Finanzpolitik. So bringt er die Textilindustrie nach Genf. Auch gestattet er einen mäßigen Zins, und das gegen deutliche Vorschriften des Alten Testaments. Theologisch entwickelt er eine bestimmte Methode zur Sozialethik, die bis heute wichtig ist. Er unterscheidet nämlich zwischen der unaufgebbaren Substanz von biblischen Vorschriften und Gesetzen Und der buchstäblichen Formulierung dieser Gesetze. Weil sich die buchstäbliche Formulierung auf israelitische Gegebenheiten bezieht, darf man sie fallen lassen. So gibt Calvin modernen Entwicklungen echte Freiheit.

Ursprung des Kapitalismus?

Vielumstritten ist die Frage: Ist der Calvinismüs Ursprung des Kapitalismus? Calvinistische Länder sind bis heute stark industrialisierte und reiche Lander. Dem Puritaner blieb in der Tat nicht viel anderes übrig als Almosengeben, Gemeinnützigkeit und die Wiederinvestierung von Geld im eigenen Betrieb. Das alles war ursprünglich getragen

vom Gedanken, daß Arbeit innerweltlicher Gottesdienst sei; in einer sich emanzipierenderi Welt aber konnte diese Einstellung zum Prinzip reiner Rentabilität umschlagen. In diesem Sinn ist der Calvinismus eine Wurzel des Kapitalismus, der freilich noch viele andere Wurzeln hat.

Die kritischen Rückfragen

Die reformierte Gegenwartstheologie arbeitet oft mit kritischen Rückfragen an Calvin. Das ist auch deshalb legitim, weil Calvin selber immer wieder von sich weg auf die gemeinte Sache wies und grundsätzlich vom Weiterschrelteft der Reformation überzeugt war. Von daher werden übrigens auch Reformationsfeiern problematisch!

Calvin-Kritik! Wir weisen auf das Beispiel des größten reformierten Theologen der Gegenwart, auf Karl Barth. Barth weist in exegetischer Verantwortung Calvins Aussagen über die von Gott Verworfenen zurück. Für Barth steht Jesus Christus an der Stelle des Verworfenen und so ist das Verwerfungsdekret Gottes aufgehoben. Der Mensch als Sünder steht erst recht wieder in der offenen Entscheidungssituation und ist konfrontiert mit einer übermächtigen Gnade. Auch die puritanische Düsterkeit untersteht Rückfragen. Nicht

zufällig hat Barth in seinem Basler Studierzimmer zwei Bilder vor Augen: Calvin und Mozart. Barth vertritt die Auffassung, die Theologie könne sich mit der Musik Mozarts auf eine gelöste und erlöste christliche Existenz einüben; hier werde dann das Natürlich-Menschliche nicht unterdrückt, sondern freigesetzt.

Lutherisch-reformlerte Union als gegenseitiger Dienst

Manche haben es als Sensation empfunden, daß die lutherisch-ref or-mierten Gespräche im Rahmen des Genfer Weltkirchenrates mit dem Ergebnis endeten, die noch bestehenden Unterschiede ließen eigentlich die Kirchentrennung nicht mehr zu. Theologisch gibt es schon lange einen gegenseitigen Dienst der Lutheraner an den Reformierten, der Reformierten an den Lutheranern. Barth etwa hätte die Freiheit für seine Kritik an der Prädestinationslehre bei Luther zu lernen. Lutheraner haben die Freiheit, die Zusammenschau von Rechtfertigung und Recht (Demokratie, Menschenrechte), wie sie sich aus der reformierten Tradition ergibt, ernsthaft zu studieren. Der Reformierte hat ein besseres Verhältnis zum Alten Testament und zur Bundestheologie, lutherische Theologie dagegen vermag eher anthropologische und moderne Konsequenzen der Inkarnation zu zeigen. Der reformiert Gemeindeaufbau ist antihierarchisch und betont das Laienelement. Dagegen vermag die lutherische Sicht vielleicht von einem gewissen Intellektualismus im Gottesdienst wegzuführen. Der Reformierte warnt vor Liturgis-mus, zieht aber oft — etwa aus dem Bilderverbot — falsche Konsequenzen für Kunst und Kultur. In der Abendmahlsfrage hat die Exegese den Gegensatz zwischen Luther und Zwingli grundsätzlich überwunden.

Jedenfalls suchen beide Partner des Protestantismus im Dialog die sinnvoll evangelische Linie in der Verantwortung vor der heutigen Welt, Man kann heute aus guten Gründen einer Union zustimmen, wenn diese nicht einfach falsch nivelliert. Im Sinne des Theologengesprächs müßte sich die Union als gegenseitiger Dienst verstehen, dagegen wäre allen triumphalistischen Überlegungen der einen Seite gegenüber der anderen entgegenzutreten.

tionen beschäftigt sich mit dem „Nach-dem-Kongreß“. Alle Diskussionen des Kongresses waren von dieser Frage gezeichnet — wer wird für die Ausführung sorgen? Wer repräsentiert die Laien in den kirchlichen Behörden in Rom?

An sich wäre diese Frage formal sehr einfach zu beantworten gewesen. Papst Paul VI. hatte zu Beginn des Jahres 1967 das Consilium de Ladcis geschaffen, zu dessen Aufgaben alle die Laien betreffenden Fragen gehören. Die Mitglieder des Consiliums waren vom Papst ernannt worden. Hier setzte jedoch bereits die Kritik ein; so dankbar man dafür war, endlich die Laien in Rom repräsentiert zu sehen, so wenig zeigte man sich über die Art der Berufung befriedigt. Dem Consilium wurde zwar in der letzten Resolution die Bitte übermittelt, die Ausführung des Kongresses auf Weltebene wahrzunehmen, ebenso eindringlich wurde aber eine Demokratisierung sowie eine die verschiedenen Kulturen, die Organisationen und Formen des Laienapostolates in allen Teilen der Welt berücksichtigende Besetzung des Consiliums gewünscht.

Aufbau repräsentativer Strukturen

Eine weitere wichtige Frage bezog sich auf das Verhältnis zur Bischofssynode Daß ein Arbeitskontakt mit ihr nicht zustande kam, ist letztlich doch eher der Un-beweglichkeit zweier so großer Körper zuzuschreiben und dem Mangel

der Vorbereitung eines solchen Treffens, als dem Fehlen des Willens zu einer Begegnung. So blieb es beim Empfang einer Abordnung des Kongresses in den Arbeiusräumen der Synode und bei der symbolischen Teilnahme einer größeren Anzahl von Bischöfen und Kardinälen bei der Schlußsitzung des Kongresses.

In einem von den Delegationsleitern beschlossenen Brief an die Bischofssynode konnten jedoch die wesentlichen Gedanken über einen erforderlichen Dialog zwischen Hierarchie und Laien niedergelegt werden: der Aufbau künftiger repräsentativer Strukturen, in denen Bischöfe, Priester und Laien zusammenarbeiten, so daß nicht zwei Hierarchien nebeneinander bestehen, sondern nur eine kirchliche Struktur; die Wahl der Laien in solche gemeinsame Gremien.

Vieles könnte noch aus den Gesprächen in den Wandelgängen des Kongresses, von den Aufregungen um eine Erklärung Kardinal Roys an die am Kongreß teilnehmenden Bischöfe oder von der großen Enttäuschung vieler über die als pessimistisch und stark restriktiv empfundene Ansprache des Hl. Vaters bei der Messe am Sonntag, dem 15. Oktober, berichtet werden, doch es erscheint wichtiger, die Grundlinien des Kongresses weiter zu verfolgen. Man ist versucht die Hoffnung auszusprechen, dieser Kongreß hat für die Laien in der Kirche eine Tür aufgetan, die so leicht nicht wieder geschlossen werden kann.

Viele Blitzlichter, viele Bischöfe, wenig Hoffnung auf tiefgehende sachliche Ergebnisse, das war der Eindruck bei der Eröffnung des III. Weltkongresses für das Laienapostolat am 11. Oktober in Rom. Daß es anders kam und daß dieser Kongreß sogar Schlagzeilen machte, scheint drei Umständen zu danken zu sein: der hohen Qualifikation der Teilnehmer an diesem Kongreß, der Weltweite der behandelten Probleme und nicht zuletzt dem Durchbruch der Demokratie.

Das Gesamtthema des Kongresses lautete „Gottes Volk auf den Wegen der Menschheit“ — im ersten Teil stand „Der Mensch heute“ im Mittelpunkt der Diskussion, im zweiten Teil sollte die Antwort der Kirche beziehungsweise der Laien auf die Situation des heutigen Menschen gegeben werden.

In manchen Ländern hatten die Delegationen schon monatelange Vorbereitungsarbeiten für den Kongreß geleistet und vor allem die nichteuropäischen Länder hatten erfahrene und hochbegabte Delegierte entsandt. Die unverbrauchte Kraft der Völker der dritten Welt und das Bewußtsein, daß Europa längst nicht mehr der Angelpunkt der Welt ist, zählt zu den stärksten Eindrücken dieses Kongresses.

Waren die Arbeitskreise mehr der Ort des Gespräches im kleinen Kreis und der menschlichen Begegnung, so geschah im Präsidium und den Leitungsorganen des Kongresses, in der Versammlung der Leiter der Delegationen der einzelnen Länder sowie der internationalen Organisationen, aber das, was man eingangs den Durchbruch der Demokratie nennen konnte.

Das heikle Thema: Geburtenregelung

Unter dem Vorsitz des kanadischen Präsidenten, der mit Durchschlagskraft, aber mit der den Angelsachsen eigenen Fairneß die Verhandlungen leitete, gelang es, die Wünsche der Gesamtheit der Kongreßteilnehmer, repräsentiert durch die Leiter der Delegationen, zum Ausdruck zu bringen. Jede Resolution, die als Resolution des Kongresses verabschiedet werden sollte, mußte mit Zweidrittelmehrheit die Versammlung der Delegationsleiter passieren. Dies gelang in fast allen Fällen anstandslos — mit einer Ausnahme: Die Zweidrittelmehrheit für die Resolution über „Entwicklung“ übersprang die Hürde nur knapp (67 Pro-Stimmen, 21 Gegenstimmen, 10 Enthaltungen). Der Passus, an dem die Gegner Anstoß nahmen, befaßte sich mit dem Problem der Geburtenkontrolle und enthält die Textstelle über die verantwortliche Elternschaft, die einigen Ländervertretern unannehmbar erschien; sogar das

Wort Häresie fiel in der Versammlung und zeitweise schien es, als würde sie an dieser Frage zerbrechen.

Obwohl noch keine offiziellen deutschen Texte vorhanden sind, kann der umstrittene Textteil in der Übersetzung aus dem Englischen hier wiedergegeben werden: „Angesichts der furchtbaren Bevölkerungsexplosion rufen die Teilnehmer des dritten Weltkongresses das starke Gefühl unter den christlichen Laien in Erinnerung..., daß ein Bedürfnis für eine klare Erklärung durch die kirchliche Lehrautorität besteht, die sich auf fundamentale moralische und geistige Werte beschränkt, während die Wahl der wissenschaftlichen und technischen Mittel, um einer verantwortlichen Elternschaft Rechnung zu tragen, den Eltern überlassen werden sollte, die in Ubereinstimmung mit ihrem christlichen Glauben und auf der Basis medizinischer und wissenschaftlicher Beratung handeln sollen.“

Wenngleich die Erklärung über die verantwortliche Elternschaft und über die Überlassung der Auswahl der Methoden an die Eltern wahrscheinlich als spektakulärste Erklärung des Kongresses gelten wird, dürfen die anderen Erklärungen durchaus nicht gering geachtet werden: Die erste Resolution wendet sich in scharfen Worten gegen den Rassismus. Die Kirche wird ersucht, In unmißverständlicher Weise klarzumachen, daß der Rassismus vollkommen unakzeptabel gegen alle menschlichen Werte und gegen den christlichen Glauben ist. Die zweite Resolution wendet sich gegen jede Unterdrückung, aus welchen Gründen immer, rassischen, ethnischen, religiösen, ideologischen oder gesellschaftlich bedingten; die Christen mögen an jeder Aktion teilnehmen, die den Unterdrückten ihre Emanzipation bringen kann.

In der Resolution über .Friede und Weltgemeinschaft“ unterstrichen die Teilnehmer die Friedensbemühungen des Papstes und der UNO, verurteilten den Skandal jeden Krieges (besonders der gegenwärtigen) und dringen auf eine humane und gerechte Lösung des Nahostproblems. Sie verlangen ferner eine Stärkung der Weltgemeinschaften, um eine vollkommene und allgemeine Abrüstung mit geeigneter Kontrolle möglich zu machen.

Betrachtet man die verabschiedeten Resolutionen, so erstaunt zunächst die bisher ungewohnt offene Sprache, die sich nicht scheut, für die Armen, die Schwachen, die von Sorgen Geplagten das Wort zu ergreifen. Zwar hat das auch das Vatikanische Konzil getan, doch weniger hart, weniger kompromißlos; in vielen hat der klare Stil der Enzyklika „Populorum Progressio“ die Texte beeinflußt.

Die letzte der von der Generalversammlung verabschiedeten Resolu-

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