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Ecclesia semper reformanda

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Die Notwendigkeit einer Kirchenreform zu leugnen kommt einet Häresie gleich (allerdings einei „Rechtshäresie“ — und solche werden von der Hierarchie seltener verfolgt). Aber bevor wir diese These zu belegen versuchen, gilt es, psychologisch zu erklären, warum die Idee der Kirchenreform als überflüssig, ja als anrüchig und gefährlich empfunden wird.

Zunächst gibt es an jedem etablierten Kirchenzustand Interessenten, die eine Zustandsänderung für höchst unwünschenswert halten (die Lebensführung der Kurie in Renaissancezeiten war nicht immer darnach angetan, die Reform in capite in Angriff zu nehmen). Dann gibt es Konservative, denen nicht nur aus Beharrungsvermögen, sondern aus der Überzeugung jede Reform lästig ist, daß das Wesentliche bleibend sei und das Wechselnde doch nur eine Art von Dekoration und Mode darstelle (sie vergessen allerdings, daß es zum Wesen der Kirche gehört, eine Kirche für Sünder und damit eine Kirche der Buße zu sein); verwandt damit ist die Mentalität derer, die das Geschichtliche als irrelevant betrachten und in der Kirche einen erratischen Block, einen Megalithon, aber keinen Petrusfelsen sehen, der die Stürme der historischen Welt gelassen, unbewegt überdauert; sie verstehen die Kirche weder als Lebensvorgang noch als eschato- logisch auf das Reich Gottes hin ausgerichtete Vorläufigkeit, noch als mit der Welt, vermöge ihrer Missionsbeauftragung, korrelativ und kommunikativ verbundene göttliche Stiftung.

Verwechslungen und Verschiebungen

Ebenso abgeneigt dem Wort und der Sache der Reform sind jene „Triumphalisten", die Kirche und kommende Gottesherrschaft einfach verwechseln oder doch die Gottesgemeinde der Pilgerschaft in ihrer Zerstreuung unt jc .jdip.yölker, die lfleine Herde’ Christi, immer wieder mit den Zügen des kommenden himmlischen Jerusalem ausstatten und meinen, damit sei die Kirche erhöht oder verbessert. Oft ist es die (nicht gläubige) panische Angst von Apologeten, die Kirche würde ihre Position schwächen, wenn sie zugäbe, gesündigt zu haben; man erlaubt höchstens, von einigen Retuschen zu sprechen, oder schiebt die Frage der Reform von den strukturellen und sozialen Kirchenproblemen weg auf die Moralität des einzelnen; man unterscheidet sorgfältig zwischen „der“ Kirche und den Christen; letztere sind, besonders wenn sie nicht der Hierarchie oder dem Klerus angehören. gewiß ständig belangbar.

Man reduziert auch die Frage auf eine moralische; man gibt zu, daß die Heiligkeit der Christen noch nicht perfekt ist und einer Aufwertung fähig wäre, aber man übersieht die Fragen des ..aeeiornamento“ (Papst Johannes XXITL), der ständigen Adaption der Kirche an die wechselnden Umstände, weil man den Trieb hat, möglichst vieles in der Kirche als unveränderbare Gottesstiftung zu erklären. Diese Mentalität wird von einem latenten Monophysitismus gespeist, der eigentlich der westlichen Kirche fremd ist und der auf die Dauer Isolierung und Immobilität erzeugen muß; beides Eigenschaften, die der Mission der Kirche an die Welt unversöhnlich widersprechen. Reform und Reformer suspekt zu nehmen und zu, m cheru 4 . prophetischen (Jeist, das kostbare Charisma der ersten’ Zeit ersticken zu… wallen, (i,Löschenden Geist nicht aus!") ist nicht nur ein Zeichen von „Kleingläubigkeit“ (ein Ausdruck Jesu), sondern ein Indiz der Abwesenheit katholischer Seelenstruktur. Die Kirche selbst nennt sich „heilige“, weil sie aus dem Glaubensbewußtsein lebt, daß der allein heilige Gott sie durch Seinen Christus wunderbarerweise geheiligt habe; aber dieselbe Kirche wagt es nur selten, eines ihrer Glieder heilig oder „Heiliger“ zu nennen; so pessimistisch ist sie selbst bezüglich jenes „Normalzustandes“, in dem sich ihre Christen befinden sollten (denn Heiliger ist soviel wie Christ im vollen und eigentlichen Sinn des Wortes). Es ist schade, daß das Ökumenische Konzil eingangs kein prinzipielles und kein konkretes Sündenbekenntnis vor den getrennten Christen und der Welt abgelegt hat (aber vielleicht ist es wichtiger, die Buß- und Reformgesinnung in Taten zu dokumentieren, die wirksamer sind und sich nicht dem Vorwurf der Heuchelei aussetzen).

Katharer sind Ketzer; sie halten sich für die „Reinen“, Heiligen und entziehen sich so der heilsamen und notwendigen Buße. Die sich selbst anklagende Kirche stellt sich unter die gnadenhafte „Freisprechung“ Gottes und verhindert damit, daß sie zur sichge- nügsamen, selbstgerechten Sekte mit pharisäischem Auswählungsbewußtsein werde. Es ist müßig, darüber zu streiten, ob’ v,die“ Kirche sündigen könne’ oder gesündigt habe (natürlich nicfif,-’ wenn man den erhöhten Jesus-als tragendes „Subjekt“ 3er Kirche versteht, natürlich ja, wenn man die Christen, auch die Hierarchie, als „Kirche“ nimmt); Tatsache ist, daß jeder ein- zelne Christ (,,alter Christus“) wie auch die Christen als Ganzes, wie auch die Hirten im besonderen, Christum repräsentieren und in dieser Welt vertreten und es keine andere Präsenz des himmlischen Christus gibt als durch diese Seine Gemeinde hindurch (denn auch Wort und Sakrament sind Instrument Gottes nur in der Hand der Gemeinde). Man könnte behaupten, der Kirchenzustand sei heute unvergleichlich perfekter als in der Zeit des Kon- stanzer Reformkonzils; gewiß, aber die Umwelt der Kirche ist auch ungleich empfindlicher geworden gegenüber der Repräsentation Christi durch die Christen (es genügen „katholische“ Diktaturen; himmelschreiende Sozialzustände wie etwa in Südamerika; intolerante Versuche, mit Hilfe der Staatsmacht die Kirche beherrschend erhalten zu wollen, „christlicher“ Antisemitismus und ähnliches mehr).

In der geänderten Welt

Aber die Kirchenreform’bežiehf rich’ keineswegs nur auf die eigentliche sittliche Fragwürdigkeit: sie stellt sich als der natürliche Prozeß einer inneren Entwicklung und der Antwort auf eine geschichtlich geänderte Umwelt dar. So wechselt die Kirche mit Recht aus einem „feudalen“ ins „demokratische“ Zeitalter der unterstrichenen Brüderlichkeit, überwindet sie die Zweiklassengesellschaft in Klerus und Laien (an der sonderbarerweise auch Laien von heute — aus Ressentiment — noch Interesse zeigen), tritt sie aus der Ära einer päpstlichen Monokratie in das Zeitalter kollegialer Mitbestimmung des Weltepiskopates ein und vieles mehr. Andererseits versucht sie, einer geänderten Welt (und wie rasch ändert sich diese heute) gerecht zu werden, sie formuliert ihren Glauben neu in Konfrontation mit der technischen und aufgeklärten Welt; ihr Gott wird hintergründiger. nicht mehr deus ex machina ėiner wissenschaftlich noch perfektionierteren Zivilisation, ihr Verständnis der Offenbarung scheidet zwischen Glaubenssubstanz und mythischer Bildformel, zwischen Offenbarungsgut und veralteter weltbildlicher Hülle desselben. Die Kirche wird von der Bauernkirche im Gefolge der modernen Urbanisation wieder zur Stadt- und Großstadtkirche, von der dominierenden Dorfpfarrerkirche zur Minderheits- und Diasporakirche der Metropolen und nimmt so Zeugnis- und Dienstcharakter an; sie wechselt von der privilegierten Staatskirche zu der auf Gott und Gnade gestellten (und damit auch der Verfolgung besser gewachsenen) Kirche des freien Entschlusses, die selbst zum Hort der Freiheit des Menschenrechts wird; sie wird von der Großkirche mit Sozialkomment und Sozialzwang . zur Bekenntnisgemeinde mit reflektiertem und geprüftem Glauben und vieles mehr.

Kirchenreform darf nicht als Anmaßung oder Revolte verdächtigt werden (allerdings auch nicht mit dieser Geste betrieben und gefordert werden!: sie erweist die Gemeinde Gottes ja nicht nur als reformbedürftig, sondern auch als reformabel. Und wer wollte, als Leugner der Reformbedürftigkeit, faktisch an ihrer Refonnierungsfähig- keit als Christ verzweifeln?

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