Ein asiatischer Konfliktmanager für die Europäer

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Für Kasachstan und seinen Staatschef Nasarbajew ist der OSZE-Vorsitz im Jahr 2010 ein Prestigeprojekt. Das große und vor allem rohstoffreiche Land in Zentralasien wird gegenwärtig von Ost und West hofiert.

Kasachstan liegt in Europa. Nein, nicht geografisch. Doch seit Jahresbeginn sitzt das zentralasiatische Land am Schalthebel der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE). Am OSZE-Sitz in Wien erarbeiten kasachische Spitzenbeamte richtungsweisende Lösungen für die Europäer. Seit Jahren hat sich Kasachstan um den OSZE-Vorsitz bemüht. Endlich ist es so weit: Das Jahr 2010 wird für das Steppenland zum Europa-Jahr. Staatschef Nursultan Nasarbajew möchte es mit einem Gipfeltreffen krönen.

Für die OSZE ist diese einjährige OSZE-Präsidentschaft eine mehrfache Premiere. Erstmals führt ein asiatisches und ein postsowjetisches Land den Vorsitz in der 56 Mitglieder zählenden Organisation. Und mit Kasachstan steht erstmals ein Staat mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit an der Spitze. Bei allen Demokratiedefiziten ist das straff regierte Land das fortschrittlichste der Region. Jetzt hat der Langzeit-Präsident, der fest im Sattel sitzt, die Chance, die europäische Politik mitzugestalten.

Für sein OSZE-Jahr hat sich Kasachstan viel vorgenommen. „Neue Dynamik“ wurde bei Konfliktlösungen versprochen, eine „europäische Roadmap“ für die neuen Herausforderungen wie Terrorismus, Finanzkrise und Migration solle entworfen werden. Afghanistan steht auf der Agenda ganz oben. Mehr als 30 OSZE-Staaten sind am Hindukusch involviert – mit Truppen oder humanitären Projekten. Kasachstan finanziert Ausbildungsprogramme für Lehrer, Beamte und Ingenieure.

Schlüsselregion Zentralasiens

Und dann brach plötzlich ein neuer Konflikt vor der eigenen Haustüre auf. In Kirgistan wurde Präsident Kurmanbek Bakijew aus dem Amt gejagt. Der kasachische Außenminister Kanat Saudabayew eilte dieser Tage nach Bischkek, um als OSZE-Krisenmanager mit der neuen „starken Frau“ Roza Otunbayewa zu beraten. Nasarbajew sagte dem armen Nachbarn auch bilaterale humanitäre Hilfe zu. Letztlich hatten ökonomische Missstände in Kirgistan zum Umsturz geführt.

Kasachstan, das flächenmäßig neuntgrößte Land der Erde mit nur 15 Millionen Einwohnern, wird ob seiner geopolitischen Lage und seiner Bodenschätze von Ost und West hofiert. Öl, Gas, Uran, Kupfer, Gold und andere Schätze birgt die kasachische Steppe. Die Führung in Astana spielt ihre Karten geschickt aus. „Wir exportieren in jede profitable Richtung“, lautet das Motto. Pipelines verlaufen nach Russland und China, Schiffsladungen über das Kaspische Meer.

Die Ölförderung von derzeit 75 Millionen Tonnen soll bis 2015 auf mehr als das Doppelte gesteigert werden. Vom Tengiz-Ölfeld wird Rohöl ans russische Schwarzmeer-Ufer gepumpt und dort in die Weltmärkte verschifft. Kashagan im Kaspischen Meer wurde erst 2000 entdeckt. Auch große Gasmengen lagern in der Steppe. Die OMV hat, wie in Turkmenistan, die Fühler für die geplante „Nabucco“-Pipeline ausgestreckt. Sie ist über ihre rumänische Tochter Petrom in Kasachstan aktiv.

Kasachstan hat noch ein kostbares Gut, verfügt es doch über die drittgrößten Uranreserven der Welt. Auch die Produktion dieses für die Atomenergie wichtigen Minerals soll erhöht werden, und zwar auf über 15.000 Tonnen im laufenden Jahr. Nasarbajew regte die Schaffung einer „Brennstoff-Bank“ an. Kasachstan unterzeichnete den Atomwaffensperrvertrag und übergab bei der Auflösung der Sowjetunion alle Kernwaffen an Moskau.

Schweres Erbe der Sowjetunion

Das wirtschaftlich mächtige, mit Europa eng verflochtene Land verzeichnete aber auch Rückschläge. Nach Jahren 10-prozentiger Wachstumsraten schlitterte Kasachstan in eine Bankenkrise. Etliche Großbanken übernahm der Staat. Nach einem Jahr Nullwachstum gehe es wieder aufwärts, atmete Wirtschaftsminister Bakhyt Sultanow Ende 2009 auf: „Es war eine sanfte Landung,“ Die ATF-Bank, die fünftgrößte des Landes, gehört übrigens der Bank Austria-UniCredit.

Kasachstan sieht sich selbst als Erfolgsstory. Mit der Unabhängigkeit 1990 erbte die Rüstkammer der UdSSR auch zwei ökologische Katastrophengebiete: das verseuchte Atomtestgelände von Semipalatinsk und eine Region am austrocknenden Aral-See. „Wir hatten eine todkranke Wirtschaft und ein explosives Völkergemisch“, so der Außenminister. Heute sei die Wirtschaft Kasachstans zweimal so stark wie die der anderen Staaten Zentralasiens zusammen.

Mit rund 140 ethnischen Gruppen weist Kasachstan eine bunte Bevölkerung auf. Ethnische Kasachen und Muslime machen 57 Prozent aus, Russen etwa 27 Prozent. Polen, Ukrainer, Wolga-Deutsche verschlug das Schicksal hierher. Der Anteil der Christen ist mit 40 Prozent so hoch wie nirgendwo sonst im muslimisch geprägten Zentralasien. Karaganda im Norden war „ein Synonym für Leiden“, erinnert der aus St. Gallen stammende Generalvikar Jean-Marc Felix Stoop an Stalins Arbeitslager, wo unzählige Menschen umkamen.

Die neue Hauptstadt Astana, die Nasarbajew mitten in die Steppe bauen ließ, feierte 2008 mit großem Pomp ihr 10-jähriges Bestehen. Die Verlegung des Regierungssitzes von Almaty gen Norden, mehr in das russische Siedlungsgebiet hinein, war ein geschickter Schachzug. Zugleich wurde Astana zu einem Schaustück der regionalen Macht, das sich mit überdimensionierten Regierungsbauten, aber auch mit brandneuen Gotteshäusern der abrahamitischen Religionen präsentiert.

Als Beispiel sei hier die prächtige Nur-Astana-Moschee genannt, die arabische Golfstaaten sponserten. Ferner die neue katholische Kathedrale, an deren Fassade ein großes Papst-Porträt an die Pastoralvisite von Johannes Paul II. 2001 erinnert, und die Beit-Rahel-Chabad-Lubavich-Synagoge, die der heimische jüdische Mäzen Alexander Machkevich finanzierte. Die Rabbiner kommen aus Israel, die katholischen Seelsorger aus ganz Europa. Kasachstan ist das einzige Land der Region mit einem Konkordat.

Der Blick über die Grenze nach Usbekistan mag den schlauen Fuchs an der Staatsspitze zur maßvollen Förderung von Ethnien und Religionen unter staatlicher Kontrolle bewogen haben, um islamistische Strömungen hintan zu halten. Nasarbajew pflegt den Dialog der Kulturen und Religionen. Die Kongresse von Politikern und Religionsführern mögen den Anstrich von Propagandashows haben, doch sie nützen auch der gelebten interreligiösen Koexistenz.

Zumindest einige kritische Töne

Als einziges Land Zentralasiens hat Kasachstan eine halbwegs funktionierende Zivilgesellschaft. Im Vorfeld des OSZE-Vorsitzes wurde in Astana ein NGO-Forum zelebriert, das 35.000 Nicht-Regierungsorganisationen vertrat. Themen wie Umwelt und Gesundheit wurden fokussiert, Menschenrechte weniger. Immerhin konnte sich die Autorin dieser Zeilen auf dem Forum überzeugen, dass auch kritische Töne laut wurden. Redner klagten über den schwierigen Zugang der NGOs zur Information, wobei die Staatssicherheit oft als Ausrede dient. Andere wetterten gegen die teure medizinische Versorgung und das geschlossene Bildungssystem.

Kasachstans Medien sind großteils staatlich kontrolliert oder in Händen des Präsidenten-Clans. Demokratiepolitischer Stein des Anstoßes ist für OSZE und Europarat auch das faktische Ein-Parteien-System mit der Regierungspartei Nur Otan (Strahlendes Vaterland). Die Sieben-Prozent-Hürde lässt anderen politischen Gruppen keine Chance. Zweifellos sind aber die Demokratiedefizite bei den Nachbarn Turkmenistan, Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan viel größer.

An dieser Stelle soll ausnahmsweise nicht von der Affäre um den früheren kasachischen Botschafter Rakhat Alijew in Wien die Rede sein, den in Ungnade gefallenen Ex-Schwiegersohn Nasarbajews, dessen Auslieferung die kasachische Justiz begehrt. Nur ein Satz: Diese Affäre ließ 2008 den ersten österreichischen Staatsbesuch in Kasachstan platzen. Auch wenn dies in der Hofburg anders dargestellt wird.

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