Ein Bruderkrieg der Freiheiten?

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Die Furche-Herausgeber

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Jetzt also hat das Dilemma sogar die Vereinten Nationen erreicht: Welche unserer großen und gleich gewichtigen Grundfreiheiten zählt letztlich mehr - die Meinungsfreiheit oder die Religionsfreiheit? Konkreter gesagt: darf im "globalen Dorf“ mit seinen digitalen Vernetzungen jedermann straffrei die religiösen Gefühle anderer verletzen? Oder soll verboten werden, was andere erregt und kränkt?

US-Präsident Obama hat eben vor der UNO sein Credo abgelegt: Freie Rede, freies Netz, freie Welt! Das gelte selbst dann, wenn Religionskritik "grob und ekelhaft“ wird. Denn die stärkste Waffe gegen die Niedertracht sei nicht das Verbot, sondern die Gegenrede.

Anders die Haltung muslimischer Staatschefs: Ja zum freien Wort - aber jede Redefreiheit ende dort, wo sie zum Hass auf andere und zum Religionsfrevel entarte.

Religiös aufgewühlte Welt

Wer hat nun recht? Wohin treibt uns ein solcher Bruderkrieg der Freiheiten? Und wer vermag einer religiös aufgewühlten Welt im globalen Medienraum noch allgemein gültige Regeln zu geben?

Wer bei der UNO genau hingehört hat, der konnte spüren, dass allen Beteiligten nicht wohl bei der Sache war. Araber appellierten an den Westen, doch endlich "die Würde des Islam“ zu achten. Und in Obamas Plädoyer für die freie Rede schmuggelte sich der verständnisvolle Satz: "Die Zukunft darf nicht jenen gehören, die den Propheten des Islam verleumden.“

Wie also soll es weitergehen? Hält künftig jeder Internetnutzer die Zünder für globale Erregungen in der Hand? Und umgekehrt: darf sich jede antiwestliche Gewalt auf religiöse Kränkung berufen? Jenseits der großen Politik sitzen Juristen, Kleriker und Medienleute immer öfter zusammen, um über Religionsfreiheit im Zeichen der Globalisierung und Multikulturalität zu beraten.

Als gelegentlicher Zuhörer solcher Treffen glaube ich, einige Fakten verstanden zu haben: Dass die Kluft zwischen der abnehmenden öffentlichen Relevanz von "Religion“ und der zunehmenden Brisanz und Emotionalität religiös motivierter Debatten immer größer wird (Beschneidung, Kopftuch, Kreuz in Schulen …).

Dass die Religionsfreiheit heute gleich von zwei Seiten bedroht ist: von konkurrenzierenden Religionen - und vom wachsenden säkularen Verdacht, andere Grundrechte (Frauenrechte, sexuelle Orientierung …) zu behindern. Gleichzeitig wird unser Verständnis von Meinungsfreiheit in anderen Kulturen als "Weg in die Gottlosigkeit“ verstanden.

Freiheit braucht Verantwortung

Dass wir angesichts der Gleichzeitigkeit von "Entkirchlichung“ und "Wiederkehr des Religiösen“ dringend einen Gesprächs- und Lernprozess bräuchten: zwischen den Religionen, aber auch zwischen religiösen und nichtreligiösen Menschen.

Dass der Weltfriede nur gesichert werden kann, wenn wir beides - die Meinungs- und die Religionsfreiheit - auch weiterhin als unantastbare, aber doch aufeinander bezogene Grundfreiheiten erkennen, von denen die eine nicht ohne die andere zu haben ist.

Dass also sowohl Meinungs- als auch Religionsfreiheit nie ohne Verantwortung zu haben ist. Auch in Österreich.

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