Ein Christenmord als Alarmsignal

Werbung
Werbung
Werbung

Kritik an den islamischen Fundamentalisten wird in Pakistan zunehmend zur tödlichen Gefahr. Die Ermordung | des einzigen christlichen Ministers zeigt die steigenden Zerfallserscheinungen im asiatischen Schlüsselstaat.

Shahbaz Bhatti, Integrationsminister der pakistanischen Regierung, hatte vor seinem Tod mehrere Warnschreiben erhalten. Er teilte das den pakistanischen Behörden mit. Geschützt wurde er trotzdem nicht. Am zweiten März wurde Bhatti, ein bekennender Christ, auf offener Straße von mutmaßlich islamischen Extremisten in seinem Auto erschossen. Bhattis Tod wirft ein Schlaglicht auf den fragilen Zustand eines der politischen Schlüsselländer Asiens. Denn der einzige christliche Minister im Kabinett hatte zuvor das geltende Blasphemie-Gesetz kritisiert. Es verbietet generell die Beleidigung jeder Religion, wird aber in der Praxis nur bei Herabwürdigung des Islam eingesetzt.

Theoretisch kann ein Gesetzesverstoß auch mit dem Tod bestraft werden, was in der Praxis nie geschah - zumindest bislang nicht. Denn im November des Vorjahres wurde erstmals die Todesstrafe gegen die 45-jährige christliche Erntehelferin Asia Bibi ausgesprochen, weil sie angeblich den Propheten Mohammed beleidigt zu hatte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Salman Taseer hat bereits mit dem Leben bezahlt. Der Gouverneur der Provinz Punjab war im Jänner erschossen worden, nachdem er sich für die Abschaffung des Gesetzes ausgesprochen hatte. Anlass war besagter Fall Bibi gewesen.

509 Menschen starben in Pakistan laut der in Neu Delhi ansässigen Organisation "South Asia Terrorism Portal“ im Vorjahr durch Anschläge aus religiösen Gründen - die höchste Zahl seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1989. Die Opfer waren vor allem Christen und Hindus, die fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Ermordung des christlichen Ministers ließ zuletzt selbst den Vatikan reagieren: Der Sprecher von Papst Benedikt XVI., Federico Lombardi, sprach von "einer außerordentlich schwerwiegenden Gewalttat“.

Pakistan gilt als Hochburg islamistischer Extremisten, die unzugängliche Nordwest-Provinz mit ihren Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan als Rückzugsgebiet der Taliban.

Die extremistischen Fundamentalisten sind auch für die Gründung von insgesamt 30.000 Madrassas im Land verantwortlich. Diese Gebetsschulen bilden zum einen die einzige barrierefreie Bildungsalternative zum maroden staatlichen Schulwesen, gelten aber auch als organisatorische und finanzielle Drehscheiben der Dschihadisten - gegen die sowohl Pakistans jeweilige Regierungen als auch die USA vorgehen.

Intensive US-Hilfe

Wie intensiv die Vereinigten Staaten mit Pakistans Machthabern kooperieren, wird im Fall des US-Bürgers Raymond A. Davis sichtbar. Davis war im Februar verhaftet worden, nachdem er an einer Straßenkreuzung in Lahore zwei mutmaßliche Straßenräuber erschossen hatte. Kurz darauf musste das US-Außenamt zugeben, dass der 36-jährige ehemalige Elitesoldat im Auftrag des US-Auslandsgeheimdienstes CIA tätig war. Laut New York Times war Davis Teil eines verdeckten Teams, das militante Gruppen im Landesinneren bekämpft. US-Präsident Barack Obama setzte sich bereits für die Auslieferung des Amerikaners ein - bislang erfolglos.

Die USA überweisen seit Jahrzehnten Milliardenbeträge an Pakistans Militär. Seit 2004 existiert eine intensivere strategische Partnerschaft zwischen beiden Ländern. US-Einheiten operieren im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet und setzten unbemannte Drohnen für Luftschläge gegen mutmaßliche Terrorzellen ein.

Dass Pakistans Behörden vor den US-Aktionen nicht immer um Erlaubnis gebeten werden, enthüllten unlängst von WikiLeaks veröffentlichte US-Depeschen. In einem Schreiben des damaligen US-Botschafters Codel Snowe berichtet dieser von einem Gespräch mit Premierminister Yousuf Gilani im November 2008. Der pakistanische Regierungschef habe "der US-Regierung für die Hilfe bei der Demokratisierung des Landes gedankt“, heißt es dort. Die US-Drohnenangriffe würden sich aber "kontraproduktiv auf die Unterstützung durch die Bevölkerung“ auswirken, so Gilani weiter.

Die unkontrollierte Einmischung der USA zeigt die Schwäche der amtierenden Pakistanischen Volkspartei (PPP) auf. Präsident Asif Ali Zardari wird von weiten Teilen der Bevölkerung als Staatschef am Gängelband der USA gesehen. Zudem schürt die Kooperation mit dem Westen den Hass der Islamisten. Deren Reaktion auf Zardaris vorsichtige Äußerungen in Richtung einer Begnadigung der Erntehelferin Bibi und der Änderung des Blasphemiegesetzes fiel heftig aus. Was folgte, war die Zunahme von Übergriffen auf religiöse Minderheiten.

Mitte Jänner sprach sich Papst Benedikt XVI. für die Abschaffung des Blasphemiegesetzes aus. Die Folge waren Demonstrationen und Straßenschlachten in zahlreichen Städten des Landes. Zardaris Kabinett ruderte schließlich zurück und Premierminister Gilani erteilte der päpstlichen Forderung eine scharfe Zurückweisung.

Massive Wirtschaftsprobleme

Die Regierung kämpft aber nicht nur gegen oppositionelle und außerparlamentarische Kräfte, sondern auch gegen die wirtschaftliche Situation des Landes. Nach der schweren Flutkatastrophe im Vorjahr sind aus den prognostizierten 4,5 Prozent Wachstum nur knapp drei Prozent geworden und gleichzeitig die Staatschulden gestiegen. Es sind aber nicht nur die Al Kaida, die Taliban und ihre Ableger, die dem Westen Sorgen bereiten. Es geht nicht allein um Selbstmordanschläge und die Auslegung der Scharia. Es geht um Pakistans Atomwaffenarsenal. Und das hat sich seit dem Amtsantritt Obamas nahezu verdoppelt. Pakistan ist laut New York Times auf dem besten Weg, die viertgrößte Atomwaffen-Nation der Welt zu werden. Nicht auszudenken, was diese Waffen in den falschen Händen ausrichten könnten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung