6640471-1957_42_05.jpg
Digital In Arbeit

Ein Dokument

Werbung
Werbung
Werbung

Der Herausgeber des „Hochland”, Franz losef Schöningh, eröffnet den fünfzigsten Jahrgang dieser Zeitschrift mit einem außerordentlichen Dokument, das mit Recht Aufsehen weit über den engeren Rahmen des deutschen Katholizismus hinaus erregt hat und das wir im folgenden ungekürzt wiedergeben. Die Geschichte des deutschen Katholizismus in diesem letzten halben Jahrhundert ist in seinen Höhepunkten und Krisen eng mit der Geschichte des „Hochland” verbunden. In einer Zeit offensichtlicher Inferiorität der deutschen katholischen Bildung und Geisteswelt, die sich, trotz einiger glänzender Ausnahmen, um 1900 in keiner Weise noch gegen seine zahlreichen Gegner und Feinde behaupten konnten, unternahm Carl Muth sein Wagnis. Er begründete „Hochland”, um eine Zelle für die iBildung und das Wachstum eines eigenständigen katholischen Geisteslebens in Deutschland zu schaffen. Die Widerstände gegen sein Werk kamen weit mehr von innen als von außen. Es ist wahrscheinlich heute noch nicht möglich, eine Geschichte des „Hochland” zu schreiben: zu intim ist sie verflochten mit den schweren inneren Kämpfen im deutschen, im europäischen Katholizismus vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Berühmte Bischöfe und Kardinale haben sich für „Hochland” eingesetzt, haben dieses große Anliegen verteidigt und sich zu ihm bekannt: eine weltoffene Katholizität zu vertreten auf der Grundlage einer wahrhaft universalen, konservativen Bildung. — Nach dem Tode Carl Muths und dem Ende des zweiten Weltkrieges hat sein langjähriger Kampfgefährte und Mitarbeiter Franz Josef Schöningh das verpflichtende Erbe übernommen. Wie sehr dieser Auftrag, das freie Wort für die Freiheit der Kirche und des Volkes zu hüten, heute aktuell ist, zeigt der nun folgende Mahnruf.

„Die Furche”

„Wiewohl Hochland schon 1953 ein halbes Jahrhundert alt wurde, eröffnet es erst mit diesem Heft seinen 50. Jahrgang. Es gab bekanntlich mehrere Jahre, in denen es zum Schweigen verurteilt war.

Das wäre noch kein ausreichender Anlaß zu einem Vorwort, doch kommen einige andere gewichtige Gründe hinzu, die es rechtfertigen.

In einem Bericht, den der amerikanische .Couijcil on Germany’, eine objektive (übrigens alles andere als CDU-feindliche) Informationsstelle, jüngst veröffentlichte, wird bemerkt, daß der Antiklerikalismus in der Bundesrepublik seit 1953 gewachsen sei. Dies entspricht der tiefen Beunruhigung, die man in Gesprächen mit gebildeten deutschen Katholiken sehr bald und Kriegsende erschienen sind, kann diese Entwicklung ablesen: in wachsendem Maße melden sich

Stimmen innerkatholischer Kritik. Dabei hat die Schriftleitung nicht etwa nach solchen gesucht. Man warf ihr im Gegenteil gelegentlich vor, sie zeige allzuwenig vom Kampfgeist Carl Muths und neige offenbar zum Konformismus. Wenn sie sich heute entschließt, ihre Sorge offen auszusprechen, so wird sie von der Befürchtung bestimmt, daß manche Ohren vielleicht nur so erreicht werden können. Da die Wahlen vorüber sind, ist eine politische Mißdeutung ausgeschlossen.

Wenn man zahlreiche kritische Aeußerungen im Bereich des deutschen Katholizismus zusammenfaßt, so gelangt man zu folgenden Feststellungen:

Die Stärke der christlichen, näherhin katholischen Widerstandskräfte, die wir in unserem Lande während der nationalsozialistischen Herrschaft zu spüren vermochten, entspricht nicht der Machtstellung, die heute der Kirche auf der politischen Ebene mehr aus politischen als aus religiösen Gründen zugefallen ist. Dies führt in die Versuchung unrichtiger Selbsteinschätzung und falscher Folgerungen. Wir sollten nicht vergessen, daß 1933 fast alle katholischen Organisationen nicht etwa nach zähem Widerstand, sondern wie Kartenhäuser vor einem einzigen Windstoß zusammenbrachen. Statt nun aus dieser schmerzlichen Erfahrung zu lernen, sind wir in Gefahr, wieder allzu vieles von halb politischen Organisationen und Veranstaltungen zu erwarten, statt von der Stärkung der eigentlichen religiösen Substanz. Man tut so, als sei die Katastrophe des Nationalsozialismus nur ein Intermezzo gewesen und der klare Beweis, daß man bis 1933 auf dem rechten Wege war, auf dem es nun munter fortzuschreiten gilt.

Bisweilen hat es den Anschein, als möchte man sogar das rückgängig machen, was die Not der Verfolgung und des Zusammenbruchs an gutem Neuem hervorgebracht hat. Allenthalben werden die von den Bomben des Krieges gottlob zerstörten Mauern des katholischen Gettos wiederaufgebaut. Dabei war die Erscheinung Hitlers mit ihrem apokalyptischen Vorgeschmack wahrlich dazu angetan, den Geist der Schwere und der ängstlichen Beharrung zu vertreiben. Ist aber auf unserer Seite im .offiziellen’ Bereich genug Kühnheit zu neuen Wegen zu spüren? Offenbar haben wir den totalen innenpolitischen Sieg des Nationalsozialismus nicht auch als Anklage gegen uns und zugleich als furchtbare Warnung, verstanden.,:Wie, werrri unsi nur eine Gnadenfrist gegeben Wäre? Ein Christ, darfp muß — importune, opportune — so fragen.

Dann verliert er auch nicht das Verhältnis zum .getrennten Bruder’. Mit Wehmut geradezu denkt man an die Zeit zurück, in der katholische und evangelische Christen sich im Zeichen des Kreuzes gegen das Hakenkreuz sammelten und alle gemeinsam etwa die päpstliche Enzyklika ,Mit brennender Sorge’ als ein ergreifendes Vaterwort hörten. Wer erinnert sich noch an diese Sternstunde der Christenheit in Deutschland, in der es nicht um Aemter und Positionen, sondern ,nur’ um das ewige Leben ging. Offenbar fühlt sich die westdeutsche Christenheit inmitten eines märchenhaften wirtschaftlichen Aufschwungs so sicher, daß die alten gravamina zwischen den Konfessionen wieder hörbar zu werden beginnen. Man lobt gelegentlich ohne Scheu den General Tilly; Gustav Adolf wird wohl nicht auf sich warten lassen. Aber in Magdeburg gibt es heute weder katholische noch evangelische, sondern nur sowjetische Kanonen.

Es wäre gut, wenn wir uns öfter der Männer des 20. Juli erinnerten und uns fragten, wie sie heut über die kirchlich-religiöse Entwicklung in unserem Land urteilen würden. Ist die Vermutung abwegig, daß sie schmerzlich überrascht wären? Man sollte daran denken, daß nach deni 20. Juli sowohl der Linkssozialist Julius Leber als auch der Jesuit Alfred Delp hingerichtet wurde. Beide verband der Wille zur Freiheit im Kampf gegen den totalen Staat. Keiner von ihnen hätte es wohl für möglich gehalten, daß nach all den furchtbaren Erfahrungen im Dritten Reich die Fragestellung genau so lauten werde wie im Wilhelminischen Zeitalter: ob ein Katholik Sozialist sein oder auch nur sozialistisch wählen dürfe. Dabei ist man nach dem Krieg mit nicht wenigen englischen Katholiken zusammengekommen, die . der Arbeiterpartei angehören. Lord Pakenham, hervorragender Katholik und längere Zeit Minister für Deutschlandfragen, ist Sozialist. Die englischen Katholiken würden es mit Recht als Kompetenzüberschreitung der kirchlichen Autorität empfinden, wenn man ihnen verböte, Labour zu wählen. Der Unterschied zwischen Labour und Sozialdemokratie soll nicht geleugnet werden, Aber für diese prinzipielle Frage ist er unerheblich.

Wer die letzten Jahrgänge dieser Zeitschrift überprüft, kann leicht feststellen, daß sie keine sozialistischen Tendenzen vertritt. Es geht ihrum etwas ganz anderes, nämlich um den berechtigten Widerstand gegen eine mancherorts sichtbar werdende Neigung, die universale, völkerverbindende Kirche an eine Partei zu binden und auf den Gesichtskreis einer solchen zu verengen. Ueberdies Werden gläubige Katholiken so in Gewissensnot gestoßen und vielleicht für immer ihrer Kirche, trotz aller Liebe zu ihr, entfremdet.

Hochland, das von seinen Anfängen an stets aus der Fülle dessen zu leben versucht hat, was Katholizität bedeutet, warnt vor einer solchen Entwicklung. Hätte es je seinen Horizont auf eine Parteiperspektive einengen lassen, wäre es längst schon vergessen. Es läßt auch fürderhin alle diejenigen zu Wort kommen, die dem klaren und eindeutigen Anliegen der Zei -?rhr!ff- zu dienen bereit sind, ob sie nun sogenannte Links- oder Rechtskatholiken, Integra; -..m oder Liberale, Konservative oder .Fortschrittliche’ sind. Wenn es im Haus unseres Vaters viele Wohnungen gibt, sollte der deutsche Katholizismus Raum genug für Menschen sehr verschiedener Prägung und sehr unterschiedlicher Anschauungen haben. Sonst würde am Ende der stets verfügbare und gefügige deutsche Einheitskatholik übrigbleiben. Die großen Katholiken der deutschen Geschichte würden zornig aus ihren Gräbern steigen.

Theodor Haecker, einer unserer tapferster Mitarbeiter, hat einmal Macht und Mittelmaß als die großen Gefahren für die Kirche bezeichnet. Er dachte wohl nicht daran, daß sich Macht und Mittelmaß miteinander verbinden und eine beklemmende Einheit bilden können. Wir sollten nicht aufhören, eine solche Möglichkeit zu fürchten.

Es ist eine sorgenvolle Besinnung, die diesen 50. Jahrgang eröffnet. Aber Hochland wäre sich selber nicht treu, wenn es sie seinen Lesern ersparen würde. Man lese die Bilanzen nach, die Carl Muth mehr als einmal gezogen hat. Heute erinnert man sich nicht mehr, welch heftigem Widerspruch und Widerstand sie oft begegneten; man erkennt nur noch ihre innere Berechtigung. An der Schwelle des neuen Jahrgangs sei seiner, der heuer neunzig Jahre alt geworden wäre, dankbar gedacht.

Zu drei Schutzgeistern hat diese Zeitschrift immer emporgeblickt: zu Nikolaus von Cues, Johann Michael Sailer und John Henry New- man. Ihrer Führung und Fürbitte sei Hochland auch in Zukunft empfohlen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung