"Ein ehrliches Dokument"

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Sie sollte ein Meilenstein europäischer Ökumene sein: Die Bewertungen der am 22. April in Straßburg unterzeichneten "Charta Oecumenica" fallen aber unterschiedlich aus.

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Sie sollte ein Meilenstein europäischer Ökumene sein: Die Bewertungen der am 22. April in Straßburg unterzeichneten "Charta Oecumenica" fallen aber unterschiedlich aus.

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Noch im Jänner war es nicht klar, ob das Dokument im April unterzeichnet werden könnte. Doch beim Millenniumstreffen des (katholischen) Rates der Europäischen Bischofskonferenzen CCEE und der Konferenz Europäischer Kirchen KEK, der die meisten nichtkatholischen Kirchen Europas angehören, in Straßburg wurde die "Charta Oecumenica" feierlich unterschrieben - vom scheidenden CCEE-Präsidenten Kardinal Miloslav Vlk aus Prag und vom orthodoxen Metropoliten Jeremie von Paris, dem Vorsitzenden der KEK.

Die Charta Oecumenica ist eine Frucht der Grazer II. Europäischen Ökumenischen Versammlung 1997. Das "Ereignis von Graz" sollte nicht bloß ein ökumenisches "Erlebnis" bleiben, sondern mit der Charta sollte Nachhaltigkeit erreicht werden, indem - wie es im Untertitel der Charta heißt - "Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa" erstellt wurden.

In drei Abschnitten (I. Wir glauben an "die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche", II. Auf dem Weg zur sichtbaren Gemeinschaft der Kirchen in Europa, III. Unsere gemeinsame Verantwortung in Europa) und zwölf Kapiteln legt die Charta Grundlagen der Ökumene in Europa dar. Allerdings handelt es sich nicht um dogmatisch oder kirchenrechtlich bindende Richtlinien. Am Ende jedes Kapitel sind einige "Selbstverpflichtungen" angeführt, die sich die Kirchen zu eigen machen sollen (siehe Dokumentation, rechts). Die beiden Vorsitzenden von KEK und CCEE empfehlen die Charta Oecumenica "als Basistext allen Kirchen und Bischofskonferenzen zur Annahme und Umsetzung in ihrem jeweiligen Kontext".

(K)ein Fortschritt?

Die Charta ist somit kein bindendes Dokument; gerade im deutschsprachigen Raum kritisierten dies viele und kommentierten, die der Ökumene reserviert gegenüber stehenden orthodoxen Kirchen hätten sich durchgesetzt. In der "Frankfurter Allgemeinen" wurde die Charta mit "Kein ökumenischer Fortschritt" qualifiziert und moniert, dass etwa die Abendmahlsgemeinschaft "nur als Ziel genannt" werde. Aber auch die linksliberale "Frankfurter Rundschau" sprach von einer "unverbindlichen Charta".

Oberin Christine Gleixner, Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, kann die Kritik verstehen. Sie führt aber ins Treffen, dass die Charta Oecumenica ein "ehrliches Dokument" sei, das sowohl die Verschiedenheit zur Kenntnis nehme als auch die "Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen" - womit sie vor allem die ökumenischen Schwierigkeiten der Orthodoxen umschreibt. Gleixner weist darauf hin, dass gerade die österreichischen Kirchen sehr darauf gedrängt haben, den Verbindlichkeitscharakter des Dokuments zu klären. Jetzt seien die Regionen in die Pflicht genommen, die Charta umzusetzen und an die eigene Situation anzupassen: "Es wird aus dem Dokument das werden, was die einzelnen Kirchen und Bischofskonferenzen daraus machen."

Gleixner betont gleichzeitig, dass einiges in der Charta sehr wohl einen Fortschritt darstellt. So sei es einerseits gelungen, eine eurozentrische Sichtweise zu vermeiden, andererseits nehme das Dokument auf den gesamteuropäischen Blick Bedacht, und nicht auf eine einseitig west- oder osteuropäische Zugangsweise. Eine andere klare Position findet Gleixner den I. Abschnitt, wo es - für alle Kirchen - heißt: "Wir glauben an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche". Gleixner erinnert gleichzeitig aber daran, dass die Charta immer von der Zusammenarbeit der Kirchen redet - der katholische Kardinal Miloslav Vlk habe eben auch das unterschrieben. Dass dies - nach den ökumenischen Querelen der letzten Monate, wo vatikanische Dokumente den Protestanten die Bezeichnung "Kirche" abgesprochen haben - nun kein Thema ist, erscheint für Österreichs Ökumene-Vorsitzende als Schritt in die richtige Richtung.

Besonders betont Christine Gleixner den österreichischen Beitrag bei dem Teil der Charta, der sich mit dem Judentum beschäftigt und wo gefordert wird, "die tiefe Verbindung des christlichen Glaubens zum Judentum bewusst zu machen": Nicht zuletzt durch die Intervention der heimischen Kirchen sei dieser Teil zu einem eigenen - 10. - Kapitel geworden.

Gleixner ist überzeugt, dass jedenfalls in Österreich die Charta Oecumenica zur erhofften Ökumene-Leitlinie werden wird. Am 22. April, dem Unterzeichnungstag, wurde die Charta auch bei einer hochrangig besetzten Ökumenischen Vesper im Wiener Stephansdom vorgestellt. Die Präsentation, erzählt Christine Gleixner, sei von den Gläubigen im vollbesetzten Dom mit Applaus bedacht worden.

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