Ein evangelischer Heiliger?

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Das Lebens- und Glaubenszeugnis Dietrich Bonhoeffers wurde in seiner Kirche nicht von Anfang an gewürdigt. Zum 70. Todestag am 9. April.

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Das Lebens- und Glaubenszeugnis Dietrich Bonhoeffers wurde in seiner Kirche nicht von Anfang an gewürdigt. Zum 70. Todestag am 9. April.

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Am 27. Juli 1945 fand in der Holy Trinity Church am Kingsway in London ein Gottesdienst zum Gedenken an Dietrich Bonhoeffer statt. Der Gottesdienst, der von der BBC übertragen wurde, konnte auch im zerstörten Deutschland gehört werden. In Berlin saßen Karl und Paula Bonhoeffer, beide schon in hohem Alter, vor dem Radio und mussten so mit letzter Gewissheit erfahren, dass zwei ihrer Söhne, Dietrich und Klaus, noch in den letzten Tagen des Krieges von den Nazis ermordet worden waren. Der 39-jährige Dietrich war am 9. April im KZ Flossenbürg erhängt und sein um fünf Jahre älterer Bruder Klaus in der Nacht vom 22. auf den 23. April am Lehrter Bahnhof in Berlin erschossen worden. Im Juli 1945 waren in den englischen Zeitungen die Berichte von der Befreiung des KZ Bergen- Belsen mit den schockierenden Bildern der Leichenberge erschienen.

Alle Vorstellungen von den Verbrechen, die durch Deutschland und von Deutschen in den Jahren davor begangen worden waren, wurden auf schreckliche Weise übertroffen. Wie konnte man sich angesichts dieser Gräuel nach 1945 eine Wiederaufnahme Deutschlands in die Gemeinschaft der Völker vorstellen? Der Gedenkgottesdienst für Dietrich Bonhoeffer war daher ein bewusst gesetztes Signal, das der Bischof von Chichester, George Bell, setzte. Bischof Bell kannte Bonhoeffer seit dessen Zeit als Auslandspfarrer in London 1933 bis 1935; die beiden waren zu Freunden geworden.

Für Bell war Bonhoeffer ein Repräsentant des "anderen" Deutschland. In seiner Predigt sagte der Bischof: "Als einer aus der Gemeinschaft der Märtyrer repräsentierte er beides: den Widerstand, den die glaubende Seele im Namen Gottes allen Angriffen des Bösen entgegensetzt, und den moralischen und politischen Aufstand des menschlichen Gewissens gegen Unrecht und Gewalt."

Schandbare Einschätzungen

In der Ökumene galt Bonhoeffer also gleich nach seiner Ermordung als Märtyrer. In Deutschland und in Bonhoeffers eigener Kirche war davon noch lange nicht die Rede. Wegen seiner Beteiligung an den Umsturzvorbereitungen, die in der Widerstandsgruppe in der militärischen Abwehr unter Admiral Wilhelm Canaris betrieben wurden, galt er noch lange nach Kriegsende als Landesverräter. Bestätigt wurde diese schandbare Einschätzung der Person Bonhoeffers, die zugleich eine völlige Missachtung des Rechts und der Pflicht des Widerstands in einem Verbrechensregime darstellt, durch ein Urteil des deutschen Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1956, das die Rechtmäßigkeit der Todesurteile vom April 1945 wegen Hoch-und Landesverrats feststellte. Erst im Jahr 2002 fand der Bundesgerichtshofspräsident Günther Hirsch klärende Worte, indem er das Urteil von 1956 als "beschämend" bezeichnete und die Hinrichtung von Bonhoeffer als "Justizmord" qualifizierte.

Aber auch evangelische Pfarrer sprachen sich etwa dagegen aus, dass Straßen nach Bonhoeffer benannt werden und manche Bischöfe evangelischer Kirchen nahmen bewusst an Gottesdiensten zu seinem Gedenken nicht teil. Infolge der verhängnisvoll tief sitzenden theologischen Rechtfertigung der "Obrigkeit" im deutschen Protestantismus wurde der politische Widerstand vom Glaubenszeugnis eines Märtyrers streng getrennt.

"Ich möchte glauben lernen"

Dietrich Bonhoeffer - so schrieb sein Vater später - hätte gewiss nicht den Wunsch gehabt, dass Straßen nach ihm benannt werden. Er wollte auch kein Heiliger werden. Am 21. Juli 1944 schreibt er aus der Haft, in der er sich seit 5. April 1943 befand, an seinen Freund Eberhard Bethge: Ich erinnere mich eines Gesprächs, das ich vor 13 Jahren in Amerika mit einem französischen jungen Pfarrer hatte. Wir hatten uns ganz einfach die Frage gestellt, was wir mit unserem Leben eigentlich wollten. Da sagte er: ich möchte ein Heiliger werden (- und ich halte es für möglich, dass er es geworden ist - ); das beeindruckte mich damals sehr. Trotzdem widersprach ich ihm und sagte ungefähr: ich möchte glauben lernen.

Bei dem jungen französischen Pfarrer handelte es sich um Jean Lasserre (1908-78), ein reformierter Pfarrer aus der Schweiz, dem Bonhoeffer anlässlich seines ersten Aufenthaltes in den USA begegnet war. Dennoch war Heiligkeit beinahe so etwas wie ein "Grundthema seiner Theologie" (Wolfgang Huber). Schon seine Doktorarbeit stand unter dem Titel Sanctorum Communio (1927) und in der Nachfolge (1937) steht ein eigenes Kapitel unter der Überschrift "Die Heiligen". Heilig ist allein Gott -so setzt Bonhoeffer dort ein. In Jesus Christus erwählt sich Gott die Gemeinde der Heiligen. Heiligung gibt es daher nur in der Kirche, in der sichtbaren Gemeinde. Sie ist immer in den Kampf gestellt, das ist ihr politischer Charakter, der Gottes Anspruch auf die ganze Welt geltend macht und daher -notgedrungen und zwangsläufig - jedem totalitären Anspruch von Staat und Welt zu widersprechen hat.

Auf diesem Hintergrund versteht sich auch die Einheit von Bonhoeffers politischem Handeln und seinem Glaubenszeugnis, die bis heute in beeindruckender Weise vorbildlich ist. Beides lässt sich nicht voneinander trennen. Im schon zitierten Brief vom Juli 1944 führt er weiter aus: Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen - sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder - dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern die Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube ; und so wird man ein Mensch, ein Christ.

An ihren guten Werken ein Beispiel nehmen

1998 wurden über dem Haupteingang von Westminster Abbey in London die Figuren von zehn Frauen und Männern aufgestellt, die als Märtyrer des 20. Jahrhunderts gelten. Neben Maximilian Kolbe, Janani Luwum, Martin Luther King, Oscar Romero, Esther John steht dort auch Dietrich Bonhoeffer, eine aufgeschlagene Bibel in der rechten Hand. Ist er zum Heiligen geworden?

Im Artikel 21 des Augsburger Bekenntnisses von 1530 heißt es: "Über die Verehrung der Heiligen wird von den Unseren gelehrt, dass man der Heiligen gedenken soll, damit unser Glaube dadurch gestärkt wird, dass wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren und ihnen durch den Glauben geholfen ist. Außerdem soll man sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen, jeder für seinen Lebensbereich." Damit sind im Bekenntnis der evangelischen Kirche selbst gute Gründe genannt, in Dietrich Bonhoeffer einen evangelischen Heiligen zu sehen. Darauf hat etwa Wolfgang Huber, der frühere Ratsvorsitzende der EKD und Mitherausgeber der Werke Bonhoeffers, immer wieder hingewiesen.

Die Bedeutung Dietrich Bonhoeffers weist aber über die Person hinaus: Sie liegt ebenso in den theologischen Impulsen, die er trotz des gewaltsamen und vorzeitigen Endes seines Lebens setzen konnte. Sie sind hohe und bei weitem nicht eingelöste Vorgaben für die Besinnung auf die Aufgaben von Christinnen und Christen heute, für die Ökumene, für das Gespräch des Glaubens mit der säkularen Welt und für die Stellung der Kirche in den Herausforderungen der Zeit. Nach 70 Jahren seines Todes zu gedenken heißt zugleich, das Potenzial an Verheißung und Zukunft zu entdecken, das mit seinem Leben und Wirken gegeben ist.

Der Autor ist Bischof der Evangelischen Kirche A. B. in Österreich

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