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Was hätte aus diesem Pontifikat werden können, wenn sich Johannes Paul II. mit der gleichen Kraft, mit der er für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit eintrat, auch innerkirchlichen Fragen zugewandt hätte!

Die letzte Etappe des nun zu Ende gegangenen Pontifikats hat das Wesen der Persönlichkeit Johannes Pauls II. noch einmal brennpunktartig erkennbar gemacht: ein unbeugsamer Wille, der auch zur Starrköpfigkeit werden kann; eine beispielhafte Leidensfähigkeit, die den Ego-Satten der reichen Welt als kaum noch nachvollziehbar erscheint; ein Sendungsbewusstsein, das in der Begründung einer Rücktrittsverweigerung ("Auch Christus stieg nicht vom Kreuz") an die Grenze der Blasphemie streifte. Karol Wojtyla, der am 16. Oktober 1978 in sein Tagebuch die lakonischen Worte "17.15 Uhr Jan Pawel II." eingetragen hatte, war als "Simultandolmetscher Gottes" empfangen worden - und genau so hat er sich bis zuletzt gesehen.

Wie weiland Josua

Es ist nicht leicht, auch gläubigen Katholiken klar zu machen, dass ein solches Selbstverständnis anachronistisch ist. Der starken Ausstrahlung dieses Mannes konnte sich niemand entziehen, der ihm in seinen starken Jahren je begegnet ist. Einen Schwächling hatten die Kardinäle nicht zum Papst gemacht. Die innerlich ausgehöhlten Mauern des europäischen Kommunismus blies der starke Pole um wie weiland Josuas Widderhörner die Mauern von Jericho. Eine neue Kraft erfüllte die katholische Kirche, und der Papst nutzte sie für neue Initiativen in der Ökumene, im Verhältnis zum Judentum, im Eintreten für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. Was hätte daraus nicht werden können, wenn Jan Pawel sie auch für Strukturreformen in seiner eigenen Kirche eingesetzt hätte!

Aber dazu war der Papst auch in seiner Glanzzeit nie bereit. Seine Maxime war klar: Die Kirche hat sich nicht der Welt anzupassen, eher schon die Welt der Kirche. Alle geschichtliche Erfahrung spricht freilich dagegen: Die Kirche war schon in der Frühzeit gegen den (römisch-heidnischen) Staat und damit auch gegen den Kriegsdienst (der einen Eid auf den Gottkaiser zur Voraussetzung hatte). Kaum war das Christentum Staatsreligion, übernahm die Kirche "heidnische" Amtskleider und hierarchische Amtstitel und ließ umgekehrt nur noch Christen als Soldaten ins Feld ziehen. Feudalherrenpraktiken wurden rasch Kirchenpraxis, alle Zeitenwenden vollzog die Kirche nicht nur äußerlich, sondern auch in der Formulierung von Glaubensaussagen mit.

Papst-Allmacht

Der neuzeitlichen Demokratie müsste sie sich gar nicht einmal "anpassen" - Mitbestimmung aller Kirchenmitglieder hat es bei der Bischofswahl und bei Heiligsprechungen jahrhundertelang gegeben, gibt es in den Orden heute noch. Mit der rhetorischen Keule, dass man "über Wahrheit nicht abstimmen kann", wird heute so getan, als vertrügen sich Kirche und Demokratie wie Feuer und Wasser.

Aber genau das, nämlich über Wahrheit abgestimmt, hat man auf den ökumenischen Konzilien der ersten Jahrhunderte, als unser heute noch gültiges Credo formuliert wurde. Johannes Paul II. aber hat die im Ersten Vatikanum mit ziemlichem Druck herbeigeführte Absolutsetzung der Papstmacht immer für gottgewollt und unaufgebbar erachtet. Letztlich läuft die weltweite Verschärfung aller Kirchenkonflikte um Frauenrechte, Sexualität und Mitbestimmung auf diese Papst-Allmacht zurück.

Ein bisschen seltsam ist es schon, wie man Bibeltexte, selbst wenn man sie als Urtext-Bestandteil anerkennt, missdeuten kann: "Auf diesem Felsen Petrus" wollte Jesus "seine" Kirche gründen: Nicht der Papst ist Kirchengründer, sondern Christus; der Papst soll den festen Grund dafür abgeben und die Lämmer und Schafe weiden. Heute aber wird so getan, als hätte der Auftrag gelautet: "Durch dich, Petrus, den Felsen" soll die Kirche gebaut werden. Oberster alleiniger Gesetzgeber, Exekutor und Richter ohne jedes Berufungsrecht zu sein, ist aber nicht Schafhirtenpflicht.

In einem Sinneswandel dieser Art sehen immer mehr Theologen und auch Bischöfe die sicherste Gewähr für eine Rettung, nicht Zerstörung der päpstlichen und gesamtkirchlichen Autorität.

Der Papst selbst hat schon 1995 in der Enzyklika "Ut unum sint" zum Nachdenken über neue Formen der Ausübung des Petrusamtes angeregt.

Das beweist, dass er kein Willkürherrscher sein wollte. Freimachen von der Rigidität eines absolutistischen Amtskonzeptes konnte er sich nicht. Vielleicht floss ein Unbehagen über solche Widersprüchlichkeiten in seine Selbstaskese, seinen Leidensheroismus ein.

Vielleicht trieb ein solches Unbehagen den Papst auch von Reise zu Reise, von Land zu Land - ein Fels, der vom Fliegen (wie vom Seligsprechen) nicht genug bekommen konnte: Sinnbild nicht nur für die gebrochene Natur dieses Papstes, sondern für die gebrochene Natur eines jeden Menschen.

Blumen aufs Grab

Es wäre leicht, von guten und von schlechten Päpsten sprechen zu können. Aber keiner war nur schlecht, keiner nur heilig. In uns allen verläuft die Grenze zwischen Gut und Fehlerhaft mitten durchs eigene Herz und die Scheidewand zwischen Richtig und Falsch durch jedes Gehirn. Wer sich ohne Fehl wähnt, werfe den ersten Stein. Wer ein Christ sein möchte, lege Blumen auf das Grab dieses Papstes, der nur Gutes gewollt und gar nicht wenig davon auch gestiftet hat. Einen ganz anderen werden wir auch beim nächsten Konklave nicht erhalten.

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