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Am Samstag findet in Mariazell der Mitteleuropäische Katholikentag mit der "Wallfahrt der Völker" seinen Abschluss.

Es wird ein frommes Fest sein, wenn kommenden Samstag Zehntausende in Mariazell versammelt sind, um bei der "Wallfahrt der Vielfalt" den Höhepunkt des Mitteleuropäischen Katholikentags zu begehen. Wenn gelernte Österreicher dabei ein wenig darüber raunzen, dass aber das Wetter mitspielen müsse, kann man mit einschlägigem Beispiel aufwarten: 1983 fiel der große Papstgottesdienst mit Hunderttausenden im Wiener Donaupark buchstäblich ins Wasser - und trotz Morast und Bis-auf-die Haut-durchnässt-Sein (oder: gerade deswegen?) erinnern sich viele an ein spirituelles Erlebnis, an ein einzigartiges gemeinsames Gefühl, Kirche zu sein.

Mehr als 20 Jahre später sind die kirchlichen wie die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend anders. 1983 war weder vorstellbar, dass der Ostblock frei sein würde, noch dass ein Gutteil davon zum "westlichen" Europa gehören würde. Es ist da mehr als sinnvoll, wenn nach dem politischen Neubeginn Europas, den der 1. Mai 2004 markierte, auch ein - über die nationalen Grenzen hinweg sichtbarer - religiöser Impuls markiert wird.

Und es gibt mehrerlei Gründe, solchen Impuls in Mariazell zu setzen: Mariazell ist für die Katholiken des Donauraumes seit Jahrhunderten ein gemeinsamer Nenner. Ein weiterer Mosaikstein der Geschichte kommt heuer dazu: Vor 50 Jahren versammelten sich in Mariazell tausende junge Arbeiter der Katholischen Arbeiterjugend Österreichs, um ihrer Glaubensgeschwister hinter dem Eisernen Vorhang zu gedenken: Für jedes Ostblockland wurde damals eine brennende Kerze gelöscht - und sollte erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wieder angezündet werden (was Pilger aus diesen Ländern dann im Jahre 1990 tun konnten).

Schließlich bedeutet "Mariazell" für Österreichs Kirche eine weitere Wegmarkierung: 1952 wurde hier mit dem "Mariazeller Manifest" die gesellschaftliche Positionierung mit dem Schlagwort der "freien Kirche in der freien Gesellschaft" geprägt. Dieses Wort bedarf heute - nicht zuletzt im gesamteuropäischen Kontext - einer Relecture, einer Ausweitung, einer Neubestimmung.

Klar ist, neben der religiösen Dimension, die bei der "Wallfahrt der Völker" im Mittelpunkt steht, geht es - ob man will oder nicht - auch um Geschichte, Politik und Gesellschaft. Die Brüche des 20. Jahrhunderts (Stichwort: Auschwitz, Stichwort: Kommunismus) sind längst nicht Vergangenheit, sondern sind um der Zukunft willen auch in der religiösen Auseinandersetzung der Gegenwart zu benennen. (Zur Erinnerung: Zu den eindrücklichsten Symbolen der Europavesper mit dem Papst 1983 auf dem Wiener Heldenplatz gehörte die vom Krakauer Kardinal Franciszek Macharski mitgebrachte Asche aus Auschwitz.) Die Brüche der Geschichte prägen auch die Verhältnisse innerhalb der katholischen Kirche: Bei den internationalen Symposien zum Katholikentag etwa, war einmal mehr sichtbar, wie sehr sich die Ortskirchen der ehemaligen Ostblockländer und Österreichs noch unterscheiden - was Kirchenbild, Frömmigkeit, Verständnis Klerus-Laien usw. betrifft. Die Unterschiede werden nach der "Wallfahrt der Völker" weiter virulent sein: Sich mit ihnen auseinanderzusetzen, ist eine der Zukunftsherausforderungen, denen sich die Katholiken stellen müssen - nicht zuletzt, damit eine freie Kirche in einem freien Europa ihre Stimme bekommt und behält.

Dazu kommen weitere Herausforderungen - etwa die zur Zeit ordentlich ins Stocken geratene Ökumene, die gerade beim Mitteleuropäischen Katholikentag unterbelichtet bleibt: Die Rede von den "Christen auf dem Bauplatz Europa" nimmt da gerade die Katholiken in die Pflicht, sich gemeinsam mit den anderen Christen zu engagieren. Und dass in Österreich am Vorabend der Mariazell-Großwallfahrt auch die Debatte um den Islam in Europa (politisch gesagt: um den EU-Beitritt der Türkei) neu aufgebrochen ist, weist auf eine weitere anstehende Herausforderung hin, der die Katholiken des Kontinents mitbetrifft. Schließlich bleiben auch die lebensnotwendigen Fragen nach dem Ort der Religion und der Kirche(n) in der säkularen Gesellschaft oben auf der Agenda Europas und seiner - "neuen" wie "alten" - Länder.

Nochmals: Mariazell 2004 wird ein frommes Fest sein. Das sollte aber niemanden davon abhalten, dort um Kraft und Initiative für diese Herausforderungen zu bitten.

otto.friedrich@furche.at

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