Ein Gandhi für Palästina

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Trotz tagtäglicher Gewalt in Israel/Palästina: Immer noch gibt es auf beiden Seiten Friedensbewegte und Kämpfer für Gewaltfreiheit. Amos Gvirtz (Israel) und Nafez Assaily (Palästina) über Friedensmöglichkeiten in Nahost - gegen scheinbar unüberbrückbare Gegensätze.

Die Furche: Vor einigen Tagen wurde im Gaza-Streifen eine amerikanische Friedensaktivistin von einem israelischen Bulldozer getötet, der ein Haus niederwalzen wollte.

Amos Gvirtz: Ich bin schockiert. Israelisches Militär tötet täglich palästinensische Zivilisten. In diesem Krieg überschreitet Israel immer wieder eine moralische Grenze: Seit Intifada-Beginn wurden allein in Gaza mehr als tausend Häuser zerstört. Besonders schockierend war, dass nun auch eine gewaltfreie Aktivistin getötet wurde. Diese Aktivisten kommen als "dritte Seite" ins Land und fungieren als menschliche Schutzschilde gegen die Zerstörungen.

Nafez Assaily: Auch ich bin tief betroffen: Ich kann keinerlei Sicherheitsgründe erkennen, welche die Tötung einer gewaltfreien Zivilistin rechtfertigen würde.

Die Furche: Wie können Sie - angesichts der Gewalt auf beiden Seiten - weiter auf gewaltfreie Aktionen setzen?

Assaily: Gewaltfreiheit kann gerade dann nicht die Flucht ergreifen, wenn es so viel Gewalt gibt! Ich säe da den Samen aus und hoffe, dass einmal ein palästinensischer Gandhi kommt, der uns in die Unabhängigkeit führt. Wir können diesen Weg aber nicht innerhalb der Gewalt gehen. Gewaltfreiheit reduziert die Verluste auch auf unserer Seite. Es geht nicht darum, die Israelis zufrieden zu stellen! Unsere Lage ist schlimm - ob wir mit oder ohne Gewalt reagieren. Wir üben Gewaltfreiheit auf allen Ebenen ein: Ob politische oder soziale Gewalt - wir arbeiten etwa mit Kindern und Eltern daran, ihre Probleme ohne Gewaltanwendung zu lösen.

Die Furche: Aber ein palästinensischer Gandhi ist nicht in Sicht, vielmehr verbreiten Selbstmordattentäter Angst und Schrecken.

Assaily: Die Selbstmordattentäter könnten exzellente gewaltfreie Kämpfer sein, denn sie sind bereit, für ihre Sache zu sterben. Auch ich will Palästinenser, die mit ihrem Leben einstehen - aber nicht mittels Gewalt gegen den Gegner. Wobei schon zu sagen ist: Die Palästinenser haben keine Waffen. Ihre einzige Möglichkeit mittels Anwendung von Gewalt sind die Selbstmordanschläge. Ich heiße das in keiner Weise gut: Für uns Palästinenser ist es furchtbar, dass unsere Kinder sich selbst und andere töten. Für uns ist aber auch die israelische Besatzung Terrorismus! Nach Ende der Besatzung, wird es auch keine Selbstmordattentate mehr geben!

Gvirtz: Auch vor der Intifada demolierte die israelische Armee Häuser: Palästinenser lebten ständig in Angst vor der Zerstörung ihrer Häuser. Ich sah die Mutter mit dem kleinen Kind, die ihr Haus verlassen musste, und ich hörte von den Kindern, die von der Schule kamen - und ihr Haus war nicht mehr da, und von den Ehemännern, die von der Arbeit nach Hause kamen, und ihr Haus war weg, und die verrückt vor Wut waren, weil sie ihr ganzes Leben nichts als Zerstörung gesehen hatten. Menschen, die durch solche Traumata gehen, müssten Heilige sein, wenn niemand von ihnen zum Terroristen würde. Ich habe Briefe an die israelischen Behörden geschrieben: "Ihr schafft die nächste Terroristengeneration!"

Ich habe sie geschrieben, als man noch vom "Friedensprozess" sprach: In den sieben Jahren des Osloer Friedensprozesses wurden von Israel 800 palästinensische Häuser zerstört! Ich kenne einen Palästinenser, der eineinhalb Hektar Land besaß, und der in Israel arbeitete. Die Israelis wollten dieses Land für eine Siedlung, die sie dort bauten. Er verkaufte aber nicht. Zuerst entzogen sie ihm die Arbeitserlaubnis in Israel: er verlor seinen Job. Kurz darauf konfiszierten sie sein Land: er verlor jede Möglichkeit, Geld zu verdienen. Und er fragte mich: Was soll ich tun? Ich habe keinen Job. Ich habe kein Land. Wie kann ich meine Familie ernähren? Das sind die Geschichten, die geschehen - im Friedensprozess ebenso wie im Krieg ...

Assaily: Du meinst, die israelische Politik der Landkonfiskationen und der Häuserzerstörung ist für die Attentate mitverantwortlich?

Gvirtz: Natürlich! Kein Platz zum Leben. Kein Geld zu verdienen. Was sollen sie tun?

Assaily: Da ist noch ein anderer Aspekt: Als um 1990 Jitzchak Rabin Verteidigungsminister war, deportierte er viele Hamas-Sympathisanten für zwei Jahre in den Libanon. Dadurch gab er ihnen die Möglichkeit, zu lernen, wie man Bomben herstellt. Als sie zurückgekommen waren, hatten sie das Knowhow für die Attentate. Es war so, als hätte er sie auf eine Uni zum Bombenbasteln geschickt. Rabin tat dies, um die Siedler zu befriedigen. In Wirklichkeit erreichte er aber das Gegenteil von dem, was er wollte.

Gvirtz: Man kann nicht ständig Kriegshandlungen setzen und von einem Friedensprozess reden. Niemand wird mit dir Frieden schließen, wenn du sein Land nimmst oder sein Haus zerstörst. Wir plädieren daher für Gewaltfreiheit - unter verschiedenen Aspekten. Zunächst ein persönlicher: Ich kann für mich nicht akzeptieren, einen anderen Menschen zu töten. Das ist ein heiliger Wert für mich. Ein zweiter Aspekt: Der Kampf beider Seiten dauert schon sehr, sehr lange. In diesem Kampf kennt man den Preis: das Töten, die Zerstörungen, die Tragödien. Man weiß nicht, ob man das Ziel, für das man die Gewalt einsetzt, je erreichen kann. Deswegen kann man die Gewalt moralisch nicht rechtfertigen. Der dritte Aspekt: Es gibt militärisch keine gleiche Machtverteilung zwischen Israelis und Palästinensern. In der Gewaltfreiheit hingegen sind die Palästinenser stärker als die Israelis. Das Bild in Amerika und Europa ist aber: Israel verteidigt sich, und die Palästinenser sind Terroristen. Die palästinensischen Anschläge scheinen dieses Bild zu bestätigen. Gewaltfreier Kampf würde es hingegen vollkommen zurechtrücken.

Die Furche: Aber solange in Israel Ariel Scharon an der Regierung ist ...

Gvirtz: Scharon hat die Wahlen gewonnen, weil viele Angst haben und die Rachegefühle groß sind: Jede Terrorattacke nährt den Zorn, den Hass in Israel. In den letzten beiden Jahren entstand die Bewegung "Mut zur Verweigerung", Soldaten, die sich weigerten, in den besetzten Gebieten Dienst zu tun. Die Bewegung wuchs und wuchs. Doch vor einem Jahr gab es in einem Hotel in Netanya, wo eine Familie Pessach feierte, einen Terroranschlag - 29 Tote. Das war für die Israelis ein Riesenschock. Und mit einem Schlag war der ganze Aufschwung der Friedensbewegung und der Verweigerer zu Ende. Das ist bis heute so. Israel übte massiv Vergeltung und besetzte wieder weite Teile des Westjordanlandes, und der Horror geht weiter. Jede Terrorattacke stärkt den Rachewillen der Israelis. Daher ist Scharon so erfolgreich.

Die Furche: In Israel wie in den Palästinensergebieten glaubt aber kaum jemand an die Gewaltfreiheit ...

Gvirtz: Hauptforderung der israelischen Friedensbewegung ist das Ende der Besatzung: Denn diese erfolgt mittels Gewalt und provoziert die Gewalt der anderen Seite. Deshalb ist es notwendig, die Beschlagnahme von Land und die Zerstörung der Häuser zu stoppen. Auch dass den Palästinensern das Wasser weggenommen wird, muss ein Ende haben. Aber die Regierung hört nicht auf uns.

Dennoch: Es gibt Israelis, die sich weigern, in den besetzten Gebieten Militärdienst zu leisten. Es gibt auch die Aktivisten aus aller Welt, die zu uns kommen, die keine Feinde im Konflikt haben, und die die Menschenrechte der Zivilbevölkerung zu verteidigen. Die meisten Reaktionen, die ich in Israel persönlich erfahre, sind gegen uns. Man sagt, Israel muss sich verteidigen usw. Aber die Politik hat nichts mit unserem Schutz zu tun, sondern damit, die Palästinenser aus ihren Gebieten zu vertreiben.

Assaily: Wenn wir über Gewaltfreiheit sprechen, sagen viele, dass dies gegen die Israelis nicht funktionieren wird. Wir arbeiten dennoch mit jungen Männern und Frauen und lehren sie gewaltfreie Kommunikation und das Aufbauen gegenseitigen Vertrauens.

Die Furche: Wie sehr kann der Irakkrieg Ihre Situation beeinflussen?

Assaily: Auf der palästinensischen Seite gibt es zwei Szenarien. Das eine geht davon aus, dass Israel diese Situation ausnutzen und uns umsiedeln wird - nach Jordanien, nach Ägypten, oder innerhalb der besetzten Gebiete weit weg von den Siedlungen. Ein anderes Szenario ist, dass Scharon jüdischen Fanatikern freie Hand lässt, die Moschee in Jerusalem zu zerstören ...

Die Furche: ... einen Anschlag auf die Al-Aksa-Moschee???

Assaily: ... dann gibt es Massaker!

Gvirtz: ... nein, nein, ich glaube nicht, dass Israel die Zerstörung der Moschee zulassen würde, denn das brächte die ganze muslimische Welt gegen Israel auf. Das ist viel zu gefährlich. Aber wenn die Aufmerksamkeit der Welt auf den Irak gerichtet ist, dann könnte Israel schwerwiegende Schritte unternehmen.

Aber auch ich befürchte eine "innere Vertreibung". Man muss wissen, wie es um den "Verteidigungszaun" bestellt ist, der Israel von den besetzten Gebieten trennen soll. Dieser Zaun folgt nicht der Grünen Linie, der Grenze zwischen Israel und den Palästinensergebieten, sondern liegt an vielen Stellen weit im Palästinensergebiet. Meine Sorge besteht darin, dass Israel Palästinenser umsiedelt, um diesen Zaun bauen zu können und um die Siedlungen herum keine Palästinenser mehr zu haben. Und ich befürchte, dass es dabei zu Massakern an den Palästinensern kommt!

Das ist eine ganz, ganz wichtige Aufgabe für die Medien: Sie sollen über diese Gefahren einer neuerlichen Vertreibung der Palästinenser berichten, um sie zu verhindern! Wenn die Welt zuschaut, dann wird Israel das nicht tun! Und: Ich wäre sehr, sehr froh, wenn meine Befürchtungen nicht eintreffen!

Das Gespräch moderierte Otto Friedrich.

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