Ein Gesinnungswandel ist nötig

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Das jüngste Judendokument aus dem Vatikan hat unklare Adressaten und Träger, meint Religionsexperte Bsteh. Auch die Haltung der Kirchen zum Islam ist gänzlich unaufgearbeitet.

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Das jüngste Judendokument aus dem Vatikan hat unklare Adressaten und Träger, meint Religionsexperte Bsteh. Auch die Haltung der Kirchen zum Islam ist gänzlich unaufgearbeitet.

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Im vergangenen Jahrhundert wurde im berüchtigten Dreyfus-Prozeß das bürgerliche Gewissen Frankreichs durch den Protestruf des Schriftstellers Emile Zola "J'accuse" aufgeschreckt, um sich bald wieder zur Ruhe zu begeben. Nach der schauerlichen Aufgipfelung des Skandals der europaweiten Schoa, der Judenvernichtung in der Mitte unseres Jahrhunderts, verebbt dieser Aufschrei nun im Echo einer kirchlichen Klage, dem vatikanischen Dokument "Wir gedenken. Eine Reflexion über die Schoa". Die genauere Adresse dieser Klage ist unklar, ebenso deren Trägerschaft. Nach dieser eben publizierten Erklärung einer obersten vatikanischen Behörde scheint festzustehen: Das II. Vatikanische Konzil liefert bislang die einzige allseits ernstzunehmende Stellungnahme dem Judentum, dem Islam und anderen Religionen gegenüber, indem es die gesamte getaufte Christenheit zum Dialog mit ihnen selbst aufruft. Die institutionelle Verankerung dieser fraglos sehr neuen und scharf abgehobenen Einstellung der Gesamtkirche(n) zu nichtchristlichen Religionen auf allen Ebenen - von der Basis aufwärts - entscheidet jedoch über den Ernst, mit dem die Kirche mit ihrem eigenen Gewissen, aber auch mit dessen Ansehen in der Welt umgeht.

Die Geschichte hindurch bis in die Gegenwart haben Bischöfe und der Papst ja im großen und ganzen oft versöhnliche, gelegentlich schützende, manchmal sogar verteidigende Haltungen den verfolgten Juden gegenüber eingenommen. Wogegen sie aber machtlos waren und offenbar bis heute bleiben, ist die breite "christliche" Öffentlichkeitsmeinung und deren Beeinflussung: Sind die Prediger von damals (und deren Orden) relativ ungeschoren davongekommen, so gibt es heute einflußreiche Demagogen und Meinungsbildungskonzerne, die seitens der Kirche eher mit diplomatischen Floskeln oder defätistischen Bemerkungen versehen werden, als daß sie mit entschiedenem Widerstand der christlichen Gemeinde und ihren Vertretern zu rechnen hätten.

Gänzlich unaufgearbeitet aber ist die breite Einstellung dieser Bevölkerung - ebenfalls im Umfeld gewisser christlicher Grundhaltungen - zum Islam. Hier wird man auch die Kirchenleitung all die Jahrhunderte hindurch in keiner Weise entschuldigen können - wenngleich die äußere Bedrohung und Bedrängnis durch Muslime zunächst offenen Krieg der Waffen und Worte zu fordern schienen. Aufgearbeitet wurde hier schlechterdings nichts, abgesehen von einer zunächst deutlich kirchenkritischen Aufklärung, die sich durch Toleranz den Religionen und somit dem Islam gegenüber eher profilieren wollte, als diese wirklich kennen und schätzen zu lernen. Heute ist der Islam bis tief in den Westen beziehungsweise Norden vorgedrungen. Man hat erst in letzter Zeit, das heißt nach dem Konzil, seitens des Weltkirchenrats samt der Europäischen Bischofskonferenz sowie des Päpstlichen Rats für die nichtchristlichen Religionen, aber auch seitens des Papstes selbst einiges auf höherer und höchster Begegnungs- und Verhandlungsebene in die Wege geleitet. Sicherlich ist überdies neben einer distanzierten westlichen Orientalistik und Arabistik eine durchaus engagierte Islamwissenschaft aufgebaut worden, die auf hoher Ebene sehr ernst zu nehmenden geistigen Austausch zwischen diesen beiden größten Weltreligionen unterhält. Was aber dringend fehlt, ist eine Umwandlung der öffentlichen Stimmung an der Basis beiderseits, die nach wie vor gegeneinander voreingenommen ist und immer mehr aufgeheizt wird: Mehrheits- und Minderheitsverhältnisse werden zusehends zu Überlegenheits- und Minderwertigkeitskomplexen, Unsicherheit und Angst im eigenen Lager provoziert Fanatismen und Aggressivität im anderen. Die Kirche wird diesen Symptomen und Syndromen so lange hilflos gegenüberstehen, als sie nicht institutionell, das heißt mit einem kontinuierlichen und gut verzweigten Netz an die Meinungsumbildung und Haltungsumkehr ihrer Mitglieder und der Öffentlichkeit herangeht. Auf der Ebene der Pfarrgemeinden wurden im karitativen und entwicklungspolitischen Sektor bereits allgemein anerkannte Leistungen erbracht. Ein solches andauerndes Bemühen müßte auch im Innenbereich des christlichen Glaubensbewußtseins und der Glaubensdarstellung zu Ansätzen interreligiöser Beziehungen führen. Es handelt sich dabei nicht um Marginalien, die Professionisten oder Amateuren überlassen werden dürfen. Vielmehr steht das Glaubensleben selbst auf dem Spiel, das sich in einer eindeutigen Diasporasituation nicht mehr anders gestalten lassen kann, als im Dialog mit dem Umfeld der vorhandenen Religionen.

In diesem Kontext muß eine klare Priorität gesetzt werden. Man wird in Hinkunft auf viele Stilelemente kirchlichen Lebens verzichten müssen, um die Substanz des Glaubenslebens und des Verkündigungsauftrags neu zu gewinnen. Eine innere Erneuerung wird dann das Ablegen manchen geschichtlich angewachsenen Ballastes aufwiegen. Eine solche Verjüngung muß eine Verwesentlichung bedeuten. Erzbischof Henri Teissier von Algier hat diesbezüglich in einem Interview mit einigen Kirchenzeitungen aufhorchen lassen: "Österreich - und besonders die Kirche Österreichs unter dem großen Kardinal König - hat für eine Öffnung der Kirche nach dem Osten gesorgt. Jetzt braucht es eine Öffnung zu den arabischen und muslimischen Staaten!: In der Situation, in der wir leben, gibt es den täglichen Dialog im verborgenen." Wir dürften nicht in Gefahr kommen, "vor den Alltagsproblemen davonzulaufen", so Teissier. (Genau hier setzt auch die Arbeit der "Kontaktstelle für Weltreligionen" an.)

Wenn man sich wirklich in einer Diasporasituation mit interreligiösem Dialog befaßt, wird einiges erhellt: Das paulinische "Wach-auf!" greift die Mahnung Jesu zur Wachsamkeit am empfindlichsten Punkt der menschlichen Natur auf. Denn im Grunde sind Schläfrigkeit, Einschlummern, Wachtraum giftige Folgen menschlicher Abwendung von Gott. Der "mundus senescens" (Gregor der Große) findet keine anderen Möglichkeiten mehr, seine unabtragbare Schuldenlast und aussichtslose Süchtigkeit zu löschen. Aufstehen, auferstehen bedeutet einen Anbruch, der nur mit qualitativ neuen Elementen, also als Umkehr, gelingen kann: Nur im Glauben an die Nähe des lebendigen Gottes wird der Gelähmte heil. Mit diesem Aufstehen aber ist verbunden, daß der Mensch seine Hinfälligkeit und Verfallenheit eingesteht und bekennt. Alle abrahamitischen Religionen - Juden, Christen, Muslime - haben diese Haltung der Unterwerfung und zugleich Aufgerichtetheit vor Gott angenommen. Und hier liegt das eigentliche Ärgernis, der Anstoß sündigen Dämmerdaseins! Demut und Hoffnung der Gläubigen sind Haltungen, die das verfängliche Netz eines zwielichtigen Schleiers aufgeklärter Dekadenz und Arroganz der Ungläubigen zerreißen. Die Brutalität und Raffinesse der Juden-, Christen- und Islamverfolgungen hat ihren Sitz in der Illusion des autonomen Herren-Menschen selbst. Solange es Geschichte gegeben hat und geben wird, ist sie von diesem Dünkel belastet. Was aber unter den Gläubigen selbst, die Gott anbeten und durch Seine Gnade aufgerichtet werden, nicht einfach weitergehen darf, das ist die gegenseitige Zerfleischung in Bruderkriegen unter den Abrahamiten! Und diese zu überwinden, sind wir alle aufgerufen, besonders jene, die jeweils aneinander schuldig werden. Vielleicht, ja sicher, kann die Versöhnung vor dem einen allbarmherzigen Gott, der uns alle auf den Pilgerweg zu Sich und zu einander berufen hat und uns begleitet, auch ein leuchtendes Zeugnis inmitten einer Welt sein, die sich dadurch rechtfertigt, daß sie die Armen Gottes zertritt.

Um diesen Aspekt gläubigen Bewußtseins wach zu halten, sind mahnende und wirksame Zeichen der Umkehr zueinander an der Basis aufzurichten. Diese müssen zunächst in den Kirchen so institutionell verankert sein, daß sie nie wieder in alte Fehlhaltungen geraten lassen.

Der Autor ist Leiter der "Kontaktstelle für Weltreligionen" der Österreichischen Bischofskonferenz (vgl. auch "Islam und Menschenrechte", Seite 16 in dieser Furche).

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