Die grausamen Bilder der Massenexekutionen von Zivilisten und irakischen Soldaten durch die Terrormiliz Islamischer Staat sind mehr als schockierend. Es ist kaum begreifbar, dass eine solche abscheuliche Aggression heute, im 21. Jahrhundert, stattfindet. Bitter für den Islam ist, dass diese menschliche Tragödie in seinem Namen stattfindet.
Auf der anderen Seite ist es bemerkenswert, dass Verurteilungen und Distanzierungen auch ausgerechnet vom salafistischen Lager kommen. Der saudische Großmufti, Scheich Abdul Aziz al-Sheikh, hat die IS-Milizen scharf verurteilt und beschrieb sie als "Feind Nummer eins" des Islams. Er sagte, dass Extremismus, Radikalismus und Terrorismus nichts mit dem Islam zu tun hätten. Eine Woche davor bezeichnete der ägyptische Großmufti die IS-Milizen als eine Gefahr für den Islam und die Muslime.
Die IS-Ideologie ist eine faschistische Ideologie im Namen des Islams, die ihre Grundlagen allerdings im saudischen Wahhabismus findet. Nun distanzieren sich die Wahhabiten selbst von dieser Gruppierung. Um dies aber konsequent zu tun, müssen sie ihre eigene Ideologie kritisch reflektieren. Nun ist die Zeit reif dafür.
Die Menschen, die heute unter dem Terror der IS-Milizen leiden, und das sind überwiegend Muslime, opfern ihr Leben für einen längst fälligen Abbruch mit einem hingenommenen konservativen islamischen Diskurs, in dem alles Religiöse im Leben des Menschen fremdbestimmt wird. Nun bereitet sich die Bühne langsam auf freie Geister vor, die nicht den Islam selbst verwerfen wollen, sondern eine bestimmte Lesart des Islams, die den Menschen bis jetzt ignoriert hat. Der humanistische Islam wird gerade wachgerüttelt: ein Islam, der von einem Gott ausgeht, der an den Menschen glaubt -einem Gott, für den der Mensch samt seiner Würde und seiner Freiheit heilig ist.
Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster
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