John Cornwells Buch zu Pius XII.: Ein Journalist spielt den Gelehrten

19451960198020002020

Cornwells mißlungener Angriff auf die Integrität von Papst Pius XII. kann dessen Seligsprechungsverfahren weder verhindern noch verzögern.

19451960198020002020

Cornwells mißlungener Angriff auf die Integrität von Papst Pius XII. kann dessen Seligsprechungsverfahren weder verhindern noch verzögern.

Werbung
Werbung
Werbung

Im September 1999 wurde in England und in den USA ein Buch von John Cornwell veröffentlicht, das weltweit Reaktionen unterschiedlichster Art hervorgerufen hat. Das Buch trägt den provozierenden Titel: "Hitler's Pope. The Secret History of Pius XII" (Hitlers Papst. Die geheime Geschichte Papst Pius' XII.). Inzwischen ist das Buch auch in Übersetzungen erschienen, wobei allerdings einige Verleger den Titel, der scharfe Proteste hervorgerufen hatte, wohlweislich geändert haben.

Zu Recht wurde bereits darauf hingewiesen, daß auf beinahe jeder Seite dieses Buches Irrtümer und Unkenntnis der geschichtlichen Zusammenhänge offenkundig werden und daß es sich hier um ein klassisches Exempel dafür handle, was geschieht, wenn ein schlecht vorbereiteter Journalist sich das Ansehen eines nüchternen Gelehrten gibt.

Zum besseren Verständnis der Mentalität des Herrn Cornwell ist es angebracht, zunächst auf einige seiner Behauptungen hinzuweisen, mit denen er in seitenlangen Zeitungsartikeln Propaganda für sein Buch gemacht hat. Dort liest man, er (Cornwell) habe versucht, die erste wissenschaftliche und ehrliche (!) Beurteilung Pius' XII. vorzulegen. Wenn man bedenkt, daß zahlreiche vorurteilsfreie, seriöse Gelehrte sich mit dem Leben und der Aktivität des Pacelli-Papstes befaßt haben, und gleichzeitig berücksichtigt, daß Cornwell keinerlei wissenschaftliche Ausbildung auf den Gebieten der Geschichte, des Rechtes und der Theologie genossen hat, geschweige denn akademische Titel in diesen Fachbereichen besitzt, dann wird man den eben zitierten Satz doch wohl nicht nur als anmaßend, sondern sachlich beleidigend einstufen müssen.

Falsch und gelogen In diesen Artikeln behauptet Cornwell, er sei der Erste, dem Zutritt zu dem Archiv des Päpstlichen Staatssekretariates gestattet worden sei; er habe in demselben monatelang gearbeitet und dabei sei ihm ein Dokument in die Hände gefallen, das dort wie eine Zeitbombe gelegen hätte und jahrzehntelang geheim gehalten worden sei. Alle diese Behauptungen sind falsch und zum Teil vorsätzliche Lüge. Das Attribut "Zeitbombe" bezieht sich auf ein Schreiben, das der damals beim bayerischen Staat akkredidierte Nuntius Pacelli unter dem Datum des 18. April 1919 an den Kardinalstaatssekretär Gasparri gesandt hatte. Dieses Dokument wurde bereits im Jahre 1992 in vollem Wortlaut - und nicht in der gekürzten Fassung, wie Cornwell es tut - veröffentlicht.

Direkt gelogen ist die Behauptung, Cornwell habe monatelang in dem Archiv gearbeitet. In Wirklichkeit war er nur ungefähr drei Wochen dort, wie aus den genauen Eintragungen in der Besucherliste hervorgeht, die ich selbst eingesehen habe. Nachdem das Staatssekretariat in einer offiziellen Berichtigung die vorgenannten Behauptungen Punkt für Punkt widerlegt hatte, sah sich Cornwell gezwungen, seine tendenziöse Falschmeldung zurückzuziehen. Aber dies ist nicht alles. Cornwell "vergaß" zu sagen, daß er wie alle anderen, die längst vor ihm in diesem Archiv arbeiten konnten, nur Zugang zu jenen Dokumenten hatte, die aus der Zeit vor 1922 stammen und sich also auf Jahre beziehen, in denen Hitler noch eine völlig unbekannte Person war.

Nicht weniger falsch und tendenziös sind auch die Feststellungen Cornwell's bezüglich des von mir als Untersuchungsrichter verwalteten Privatarchivs, in dem die Akten des Seligsprechungsprozesses von Papst Pius XII. aufbewahrt werden und die ich ihm, wie anderen vor ihm, zur Verfügung gestellt habe. Bewußt sehe ich davon ab, an dieser Stelle auf die völlig unwahren Behauptungen einzugehen, die Cornwell mir zugeschrieben hat. Dagegen vermelde ich, daß Cornwell die wahre Zahl der ihm zugänglichen Zeugenaussagen von 98 auf "mehr als 76" reduziert.

Unzulässig und ehrabschneidend ist weiter seine Behauptung, daß viele dieser Zeugenaussagen, die von hochanständigen, wohlinformierten Personen unter Eid abgegeben wurden, nur Schmeicheleien enthielten, was schon darum absurd ist, weil dieselben lange Jahre nach dem Tod Pius' XII. vor einem völlig unparteiischen Richterkollegium gemacht wurden. Wenn Cornwell behauptet, daß in diesen Aussagen explosive Materialien zu finden seien, dann handelt es sich auch hier um eine unbewiesene und unbeweisbare Feststellung, die inzwischen natürlich von Kennern der gesamten Akten als falsch gebrandmarkt wurde.

In Anbetracht aller dieser Tatsachen ist es nicht verwunderlich, daß vielerseits Bedenken angemeldet wurden im Hinblick auf seine Beteuerungen, er habe ursprünglich ein Buch zur Verteidigung von Pius XII. schreiben wollen, habe dann aber im Verlaufe der Untersuchungen einen "moralischen Schock" erlitten. Dieser Schock soll dann dazu geführt haben, dem Pacelli-Papst eine schwere Neurose, Narzißmus und Arroganz anzukreiden. Damit begibt sich Cornwell auch noch als reiner Dilettant auf das Gebiet der Psychologie und der Psychiatrie. Viele, die, wie ich, Pius XII. persönlich kannten, haben bestätigt, daß derartige Anschuldigungen wissenschaftlich und menschlich unverantwortlich und unannehmbar sind.

Sehr irreführend ist der Außenumschlag der englischen Ausgabe des Buches, der Pacelli darstellt, wie dieser ein deutsches Regierungsgebäude verläßt, und ihm dabei von zwei Soldaten eine Ehrenbezeugung erwiesen wird. Diese Photographie wird dann, wie folgt, erläutert: "Die Photographie zeigt Kardinal Pacelli, den zukünftigen Papst Pius XII., wie er im März 1939 in Berlin das Palais des (Reichs-)Präsidenten verläßt". In Wirklichkeit handelt es sich um eine Photographie aus dem Jahre 1927, die also sechs Jahre vor der Machtergreifung Hitlers aufgenommen wurde. Pacelli war damals noch nicht Kardinal, sondern als Erzbischof päpstlicher Nuntius in Berlin.

Er verließ Deutschland im Jahre 1929 und kehrte nie mehr dorthin zurück. Schon die Tatsache, daß er am 2. März 1939 zum Papst gewählt wurde, schließt aus, daß er im März 1939 in Berlin weilte. Auch gab es im Jahre 1939 keinen Reichspräsidenten mehr in Deutschland, und die Uniformen der Soldaten sind die der alten Reichswehr, nicht aber die der viel späteren Wehrmacht. Leider ist diese Fälschung von nicht wenigen Lesern als ein Hinweis dafür angesehen worden, daß Pius XII. wirklich, wie der Titel des Buches behauptet, Hitlers Papst war. Erst nach wiederholten Protesten hat der Verlag den noch nicht verkauften Büchern einen neuen Umschlag gegeben.

Bei der Beurteilung eines Buches, das vorgibt, wissenschaftlich zu sein, stellt sich an erster Stelle die Frage, welche Quellen bei der Herstellung desselben benutzt oder übergangen wurden. Was das Buch von Cornwell betrifft, kann das Urteil eines sachkundigen Historikers nur vernichtend sein. Unter der Rubrik "Archive" werden nur zehn Titel aufgeführt. Drei dieser Titel beziehen sich nicht auf Archive. Eine Nachfrage ergab, daß Cornwell zwar auf die "Documents of German Foreign Policy" verweist, das einschlägige Archiv aber nie betreten hat. Zahlreiche Archive wurden überhaupt nicht benutzt, obschon sie wertvolle Materialien enthalten.

Nur als Beispiel verweise ich auf das Vatikanische Geheimarchiv, italienische, französische, amerikanische, belgische, holländische Archive, die Archive der ehemaligen Ostblockländer und Israels. Die für das Thema des Buches sehr wichtigen Akten der Nürnberger Prozesse sind völlig vernachlässigt worden. Auch was die gedruckten Quellen angeht, muß festgestellt werden, daß Cornwell äußerst selektiv vorangegangen ist und zudem in vielen Fällen englische Übersetzungen, nicht aber die Originaltexte verwertet hat.

Diese Hinweise ließen sich leicht vervielfältigen, wie jene, aus denen hervorgeht, daß Cornwell weitgehend verschweigt, was mit seinen Thesen nicht in Einklang steht. Ein weiterer schwerer methodischer Fehler Cornwell's ist die Tatsache, daß er die Zeitungen und andere Medien, und zwar sowohl der Nationalsozialisten wie auch die der freien Welt, praktisch völlig vernachlässigt.

Mit dieser Bemerkung beziehe ich mich, was die Nationalszialisten betrifft, auf die gehässigen Angriffe, die in Veröffentlichungen wie "Der Stürmer", "Das Schwarze Korps", "Das Reich" gegen Pius XII. vorgetragen wurden, aber auch auf die Tischreden Hitlers, das Tagebuch von Joseph Goebbels, die Äußerungen von Martin Bormann, Alfred Rosenberg ... Andererseits verweise ich auf Zeitungen, die in der freien Welt veröffentlicht wurden.

Keineswegs bin ich der offizielle Promotor oder Verteidiger von Papst Pius XII., sondern der vom jetzigen Papst ernannte Untersuchungsrichter, dessen Aufgabe es ist, alles genauestens zu studieren, was je für oder gegen die Seligsprechung des Pacelli-Papstes angeführt worden ist. Wie jedem Richter obliegt mir die Pflicht, an erster Stelle zu untersuchen, mit welchen Methoden die Fürsprecher oder Gegner des Verfahrens ihre Ansichten vortragen und erhärten. Wenn sich herausstellt, daß diese Methoden unzuverlässig sind oder gar von vorgefaßten Ideen beeinflußt wurden, wird man den betreffenden Stellungnahmen keinen Wert zuschreiben könne.

Abschließend zwei Bemerkungen: * Auf die mir gestellte Frage, ob das Buch von Cornwell das Seligsprechungsverfahren von Papst Pius XII. verhindern oder verzögern könnte, antworte ich mit der mir zukommenden Autorität mit einem klaren Nein. Das Verfahren geht zügig voran. Zwei Bände der sogenannten Position liegen im Druck vor, und im Jahr 2000 hoffe ich zuversichtlich meine Arbeiten für dieses Verfahren abschließen und den zuständigen Kommissionen von Historikern und Theologen vorlegen zu können.

* Das Buch von Cornwell ist stilistisch sehr gut geschrieben und kann darum Leser, die mit den geschichtlichen Tatsachen nicht vertraut sind, ungünstig beeinflussen. Darum ist es angebracht, darauf hinzuweisen, daß Herr Cornwell, der - wie er sagt - "praktizierender Katholik" ist, in seinem Buch auch den jetzigen Papst schwer angegriffen hat. Im übrigen polemisiert er laufend gegen das Papsttum und die gottgewollten Strukturen der Kirche. Seine billigen und verleumderischen Angriffe auf den heiligmäßigen Papst Pius XII. müssen entscheidend aus dieser Sicht beurteilt werden.

Der Autor, Jesuitenpater und Universitätsprofessor in Rom, ist Untersuchungsrichter im laufenden Seligsprechungsverfahren von Papst Pius XII.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung