Ein Leben lang "unterwegs"

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Einer der engsten Mitarbeiter Karl Rahners, der Theologe herbert vorgrimler, erinnert sich an seinen Lehrer und Freund.

Im Jahr 1950 kam ich als Doktorand zu Karl Rahner nach Innsbruck. Als ich seine armseligen Arbeitsbedingungen im Jesuitenkolleg und in der Universität sah, ohne Assistenten, ohne Sekretärin, beschloss ich, ihm freiwillig zu helfen, als Mitarbeiter, ohne dass ich je Assistent bei ihm war. Das war ich acht Jahre lang. Er hatte eine ungeheure Arbeitsdisziplin. Frühmorgens vor fünf Uhr hielt er seine tägliche Messe. Seine vielen Artikel, die später den Grundstock seiner 16 Bände bildeten, tippte er mit einem Finger.

Seine Arbeit wurde von Besuchern unterbrochen, die ohne Anmeldung zu ihm kommen konnten. Er war gegenüber seelisch oder physisch Notleidenden äußerst hilfsbereit. Da er selber kein Geld hatte (für jede einzelne Zigarette musste er Geld beim Obern betteln), suchte und fand er reiche Leute, die "seinen" Patienten halfen. Auch im Verhältnis zu den Studenten war er alles andere als ein typischer "Professor". Er war sehr an Menschen interessiert, wie sie ihr Leben gestalteten, was sie bedrückte. Deshalb hatte er ein waches Interesse an Politik, auch an Dichtung und Literatur. Als einziges Hobby gab er einmal einem Interviewer an: Lesen.

Von 1958 bis 1968 nahm ich seine Vertretung beim 10-bändigen "Lexikon für Theologie und Kirche" wahr. Er kam sehr oft nach Freiburg; meinerseits war ich oft bei ihm in Innsbruck. Da ich nun Geld verdiente, konnte ich ihn häufig einladen. Er freute sich an Eis und Bier. Wir nahmen nicht nur die Lexikonartikel kritisch durch, er brachte auch die Entwürfe für das Konzil mit. Wir haben sie gemeinsam beraten.

1964 wechselte er an die Universität München. Dort stand ihm ein Auto zur Verfügung, er hatte Assistenten und eine Sekretärin. Nun lernte ich etwas anderes an ihm kennen, seine Freude am schnellen Autofahren und am Fliegen. Er war eigentlich sein Leben lang immer "unterwegs". Bis zu seinem Tod hatte ich die Schriftleitung der von ihm herausgegebenen Reihe "Quaestiones disputatae" (1984 waren es 101 Bände). Daher brach unser wissenschaftlicher Kontakt, der von einer tiefen Freundschaft getragen war, bis zu seinem Tod nicht ab. An Problemfilmen und Krimis im Kino war er interessiert, wenn die "das Leben" zeigten.

Im Alter freute er sich an Ausfahrten, die nicht mit Arbeit verbunden waren, aber auch die vielen Vortragsreisen, die ihn ins Ausland, nach Nordamerika, Skandinavien, in die damaligen Ostblockländer führten, waren ihm Anlass zu immer neuem Lernen. Seine Post ließ er nie liegen. Auch wenn ihm Schüler oder Studenten schrieben, bekamen sie umgehend Antwort.

Er fand im Gespräch leicht Kontakt, auch mit ganz einfachen Menschen, sogar mit Drogensüchtigen und ehemaligen Häftlingen. Er hatte Humor, hörte gern Witze, aber er konnte sich auch mit beißender Ironie über spießbürgerliche Mittelmäßigkeit und Borniertheit äußern. Gegen die ungerechten Angriffe auf seine Theologie hat er sich nicht gewehrt. Andere Ansichten als seine eigenen hat er mit großer Toleranz ertragen.

BUCHTIPP: KARL RAHNER VERSTEHEN. Eine Einführung. Von Herbert Vorgrimler. Neuausgabe. Butzon &Bercker (Topos plus Taschenbücher), Kevelaer 2002. 224 Seiten, TB, e 10,20

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