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Ein Mailänder urgiert „seinen Kardinal“

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Ein Mailänder Bürger “hat an das Privatsekretariat Papst Pius XII. ein Schreiben gerichtet, in dem er in forderndem Ton sein Bedauern darüber ausdrückt, daß der Erzbischof der „wichtigsten Diözese Italiens und vielleicht der Welt“, Mailand nämlich, immer noch nicht zur Kardinalswürde erhoben wurde. Da Mon-signore Gianbattista Montini als Haupt des ambrosianischen Ritus auch Metropolit sei, werde dieses Versäumnis von den beleidigten Mailänder Katholiken als „deminutio capitis“ ihres Oberhirten empfunden. Der Brief schließt mit dem beschwörenden Ruf: „Die Mailänder bestehen auf ihrer Forderung, daß ihr Erzbischof zum Kardinal gemacht wird!“ Die Episode ist nicht durch eine Indiskretion des Privatsekretariats Seiner Heiligkeit bekanntgeworden, sondern einfach dadurch, daß der ungeduldige Mailänder Bürger Antonio Prandoni Porta seiner Klage durch eine Leserzuschrift an den Herausgeber des Mailänder Wochenblattes „Oggi“ gehörigen Nachdruck zu geben versuchte. Das Blatt hat sich, auch wenn es von dem despektierlichen Ton des Briefes abrückte, im Grunde die Forderung zu eigen gemacht. Vor ihm hatte die Lokalpresse, darunter der maßgebliche „Corriere della Sera“, in mehr oder weniger taktvoller Weise versucht, auf Papst Pius XII. einen Druck auszuüben.

Bei den vatikanischen Stellen sind solche Stimmen mit äußerstem Mißfallen verzeichnet worden, weil sie Entscheidungen herbeizuführen suchen, die ausschließlich vom Willen des Papstes abhängen, der dabei von Erwägungen geleitet wird, welche der Oeffentlichkeit wie selbst den engeren Mitarbeitern nicht bekannt sind. Anderseits zeigen die Stimmen, mit welch interessierter Anteilnahme das dritte Konsistorium für Kardinalsernennungen Pius XII. erwartet wird, und das erklärt auch das weite Echo der alljährlich um die Jahreswende fälligen Routinemeldung vatikanischer „Informatoren“ in.der Weltpresse, die von einem solchen bevorstehenden Konsistorium wissen wollten.

Im Vatikan selbst können derartige Gerüchte weder mit einem „Ja“ noch mit „Nein“ beantwortet werden, schon deshalb nicht, weil — im Gegensatz zu früheren Pontifikaten, wo die Vorbereitungen der Kardinalserhebungen gewissermaßen ein Teamwork (um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen) der Kurie waren - die unter Pius XII. abgehaltenen Konsistorien der persönlichen und alleinigen Initiative des Papstes entsprangen. So ist eine Reihe

Von Kardinälen in den Jahren 1946 und 1953 von seinem Entschluß, ihnen den Kardinalshut zu verleihen, gar nicht vorverständigt worden und sie lasen ihren Namen erst in der von den Zeitungen veröffentlichten Liste. Objektiv betrachtet, ist die Dringlichkeit eines neuen Konsistoriums keineswegs so groß, wie vielfach angenommen wird. Wenn es auch wahr ist, daß das Durchschnittsalter der Kardinäle sehr hoch ist (69 Jahre bei den nichtitalienischen, 73 Jahre bei den italienischen Mitgliedern des Kardinalskollegiums) und daß einige von ihnen durch Krankheit in ihrer vollen Arbeitsfähigkeit behindert sind, so sind derzeit immerhin erst zwölf Sitze vakant von einem Plenum von 70, während Pius XII. 1953 24 Kardinäle ernannt hat und 1945 sogar 32. Um eventuelle neue Lücken unter den Kurienkardinälen zu schließen, stehen selbst verhältnismäßig junge italienische Kardinäle zur Verfügung, wie etwa Genuas Erzbischof Siri. Der Kardinal von Neapel, Mon-signore Mimmi, hat eben erst die Nachfolge des Sekretärs der wichtigen Konsistorialkongre-gation Piazza angetreten.

Aber nicht allein die Einberufung eines neuen Konsistoriums für Kardinalserhebungen ist Gegenstand eifriger Mutmaßungen, sondern auch eine angeblich bevorstehende Neubesetzung des Postens des Kardinal-Staatssekretärs. Eine solche Maßnahme wäre allerdings weit sensationeller als die' Verleihung neuer Kardinalshüte. Seit dem Ableben des Kardinals Luigi Maglione im Jahre 1944 war Pius XII., einem geflügelten Wort zufolge, „sein eigener Staatssekretär“. Er hat damit die ganze Verantwortung für die Regierung der Kirche auf sich genommen und dazu eine gewaltige Arbeitslast, da ihm auch weniger wichtige Angelegenheiten der Verwaltung, über die sonst der Staatssekretär zu entscheiden hatte, vorgelegt werden müssen. Die aufopfernde Tätigkeit des Papstes ist bekannt, aber werden seine physischen Kräfte bei fortschreitendem Alter den hohen Anforderungen gewachsen sein? Der Besorgnis, daß dies nicht der Fall sein könnte, entspringt der Wunsch vieler Kreise um den Papst, daß sich Pius XII. einen Kardinal-Staatssekretär erwähle.

Welche Gründe mögen Pius XII. bewogen haben, von einer Neuernennung bisher abzusehen? Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, daß mit einem Staatssekretär an der Seite die Verantwortlichkeit des Papstes zwar nicht de jure, aber doch de facto geschmälert ist. Die Unterschrift des Kardinal-Staatssekretärs bedeu-

tct nichi nur, daß er einen bistimmten Akt und eine bestimmte Politik billigt, in vielen Fällen wird diese Politik geradezu durch ihn bestimmt. Es besteht ein polirischer und mehr noch psychologischer Unterschied, ob ein wichtiges Dokument den Namenszug eines Staatssekretärs oder den des Papstes selbst trägt. Es entspricht durchaus dem Charakter Pius UI., daß er diesem Unterschied Rechnung tragen und keine Verantwortung auf die Schultern eines anderen abwälzen will. In der jüngeren Kirchengeschichte gibt es allerdings keinen Präzedenzfall; nur Pius X. hat eine kurze Zeit lang nur mit einem Pro-Sekretär regiert, Merry del Val, aber schon 1905 hat er ihn zum Kardinal erhoben und zum Staatssekretär ernannt. Welche Bedeutung die politische Einflußnahme des Kardinal-Staatssekretärs hat, beweist auch der Umstand, daß diese fast niemals von den Nachfolgern auf Petri Thron in ihrem Amt neu ernannt werden. Auch hier ist aus der jüngeren Geschichte der Kirche nur ein einziger gegenteiliger Fall bekannt: Kardinal Pietro Gasparri diente sowohl unter Benedikt XV. wie Pius XI.

Da die Neuernennung eines Kardinal-Staatssekretärs noch durchaus hypothetisch ist, erscheint es müßig, sich mit den angeblich für diesen Posten in Betracht kommenden Personen zu beschäftigen. Seltsamerweise ist von den meistgenannten „Kandidaten“ kein einziger Kardinal. Sollte einer von ihnen vom Heiligen Vater in Aussicht genommen werden, so würde auch das ein neues Konsistorium voraussetzen. Das gilt für den jetzigen Pro-Staatssekretär für Außerordentliche kirchliche Angelegenheiten, Domenico Tardini, ebenso wie für den derzeitigen Nuntius in Rio de Janeiro, Armando Lom-bardi, für den Sekretär der Kongregation Propaganda Fide, Pietro Sigismondi. Was den Kardinalshut für Monsignore Tardini anlangt, so herrscht immer noch die Meinung: „Wenn Tardini, dann auch Montini“, eine Anspielung auf das seinerzeitige Nebeneinanderwirken im Staatssekretariat und auf den angeblichen Wunsch des Papstes, den Anschein einer einseitigen Bevorzugung zu vermeiden. Diese Meinung erblickte letzthin darin eine Bestätigung, daß Pius XII. in seiner anläßlich der Volksmission an die Mailänder Bevölkerung gerichteten überaus herzlichen Botschaft das verdienstvolle Wirken des Erzbischofs Montini in keiner Weise hervorgehoben hat. .

Der erst 52jährige, aus der süditalienischen

Provinz Cai,:pobasso gebürtige Monsignore Armando Lombardi, Titular-Erzbischof von Caesarea Philippi, derzeit Apostolischer Nuntius in Brasilien, ist in letzter Zeit in einigen Zeitungen als künftiger Staatssekretär genannt worden; in den vorsichtigeren kirchlichen Kreisen gilt er allerdings erst als „der übernächste Staatssekretär“, was keine geringere Anerkennung seiner Fähigkeiten bedeutet. Von dem Nuntius sprach man als eventuellen Nachfolger für den Erzbischof Joseph Münch als Nuntius bei der Deutschen Bundesrepublik. Münch, Bischof von Fargo in Nord-Dakota, Deutsch-Amerikaner, hat dem Mitteilungsblatt der Katholischen Aktion Italiens zufolge seiner Amtsmüdigkeit Ausdruck gegeben. Aber einem Wunsch nach Ablöse wird nicht so leicht entsprochen werden, da seine Tätigkeit die volle Zufriedenheit der Kurie gefunden hat und weil es Schwierigkeiten geben würde, für ihn einen geeigneten Nachfolger zu finden. Keinesfalls kann es Monsignore Lombardi sein, denn zwischen dem Heiligen Stuhl und Brasilien besteht eine Abmachung, wonach der Nuntius in Rio de Janeiro nicht in gleicher Eigenschaft an einen anderen Dienstort versetzt werden kann. Monsignore Lombardi ist somit am Ende seiner diplomatischen Karriere angelangt und kann Rio de Janeiro nur noch als Kardinal verlassen. Monsignore Lombardi würde für den Posten des Staatssekretärs eine Reihe guter Titel mitbringen: er ist Schüler der Accademia Pon-tificia Ecclesiastica, wo die Diplomaten der Kurie herangebildet werden, er wirkte dort später als Lehrer und gilt als ausgezeichneter Kenner der diplomatischen Geschichte des Heiligen Stuhls und anderer Länder, er war während der letzten Jahre des faschistischen Regimes Italien-Referent im Staatssekretariat, vorher Abteilungschef für Lateinamerika.

Auch der kaum 50jährige Titular-Erzbischof von Neapolis in Pisidia, Monsignore Pietro Sigismondi, aus der Provinz Bergamo stammend und derzeit Sekretär des päpstlichen „Missionsministeriums“, der Kongregation Fide nämlich, kommt aus dem Staatssekretariat und gilt als einer der fähigsten Diplomaten des Vatikans. Er war jahrelang Sekretär der Nuntiaturen in Paris und Rom, dann des Kardinal-Staatssekretärs Maglione. Abteilungschef für den Nahen und Mittleren Osten, Apostolischer Delegat in Afrika, seit 1950 Sekretär der Propaganda Fide, eine Vorstufe für das Kardinalat, das sind die Etappen seiner außerordentlichen Karriere, die noch lange nicht zum Abschluß gelangt ist.

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