Ich wurde 1961 in Bagdad geboren. Meine Kindheit habe ich in Basra verbracht. In dieser Stadt gibt es auch ein armenisches Viertel. Viele der Menschen dieses Viertels waren persönliche Freunde meiner Eltern. Ich kann mich noch erinnern, wie sich mein Vater bemüht hat, mit ihnen ein Paar Worte auf Armenisch zu wechseln. Seit damals kann ich auf Armenisch grüßen.
Meine Volksschule war eine Privatschule, die Christen, Juden und Muslime besuchten. Alle religiösen Feste wurden gleichberechtigt gefeiert. Die Schulbetreiber waren Christen. Mein Vater stammt aus einer traditionellen sunnitischen Familie. Für ihn stand gute Bildung im Vordergrund: Es war kein Problem für ihn, eine Schule auszusuchen, die von Christen betrieben wird.
Im Gymnasium bestand meine Clique bis zur Matura aus einem Christen, einem Kurden und zwei Muslimen - einem Schiiten und einem Sunniten. Wer was war, spielte überhaupt keine Rolle.
Die Christen genossen hier umfassende Religionsfreiheit. Ihre Kirchen, Schulen und Institutionen waren durch ihre deutliche Sichtbarkeit ein äußerer Beweis dafür. Christliche Feiertage waren arbeitsrechtlich garantiert.
Nachbarn seit Jahrhunderten
Christen und Muslime lebten seit Jahrhunderten friedlich miteinander, sie waren nicht nur Nachbarn, sondern auch Freunde. Glocken in den Kirchtürmen und Kreuze darauf waren nichts Ungewöhnliches, nichts Fremdes, schon gar nichts Artfremdes. Diese religiöse Vielfalt und Toleranz war ein Markenzeichen des Irak. Die Christen waren treue Bürger, dienten in der Armee, engagierten sich im Kulturleben und waren politisch aktiv und stellten Minister in der Regierung.
Als ein aktiver Muslim in Europa, der klar gegen Islamophobie und Diskriminierung kämpft und für friedliches Miteinander eintritt, kann ich zu den Vorgängen im Irak einfach nicht schweigen. Ich muss die Gewalt verurteilen und meine Solidarität und meinen Trost aussprechen. Menschenrechte sind nicht teilbar. Dass ich meine Stimme erhebe, ist das Mindeste. Das bin ich meinem Glauben, meiner menschlichen und politischen Einstellung, aber auch meinen ehemaligen Nachbarn und Freunden einfach schuldig.
Der Autor ist Integrationsbeauftragter der Islamischen Glaubensgemeinschaft und SP-Abgeordneter in Wien.
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