Ein - nicht nur - afrikanisches Problem

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Ein Artikel im "National Catholic Reporter" brachte schlimme Kirchenzustände ins Rampenlicht.

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Ein Artikel im "National Catholic Reporter" brachte schlimme Kirchenzustände ins Rampenlicht.

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Im Hintergrundgespräch wird auch hierzulande bestätigt, dass an den Berichten der letzten Wochen über sexuellen Missbrauch an Ordensfrauen "etwas dran" sei. Der Bischof von Monodeno-El Ferrol in Spanien, Jose Gea Escolano erklärte auf einer Pressekonferenz ebenfalls: "Es hat Fälle wie diese gegeben - und sie geschehen weiterhin." Auch in Spanien. Gea: "Dort, wo es Männer gab, geschah es. Und es könnte auch weiterhin geschehen."

Seit 1995 aktenkundig Nachdem es im letzten Jahrzehnt immer wieder Vorwürfe pädophiler Verfehlungen katholischer Priester gegegeben hatte, rückte eine Titelgeschichte in der liberal-katholischen US-Wochenzeitung "National Catholic Reporter" die sexuelle Ausbeutung von Ordensfrauen ins Rampenlicht.

Der amerikanische Artikel weist auf diverse Dokumente hin, die diesbezüglich dem Vatikan vor allem über Afrika vorliegen würden: 1998 etwa habe Schwester Marie McDonald von den "Missionaries of Our Lady of Africa" den internationalen Oberenkonferenzen der weiblichen und männlichen Orden sowie der vatikanischen Ordenskongregation einen Bericht unter dem Titel "Das Problem des sexuellen Missbrauchs afrikanischer Ordensfrauen in Afrika und Rom" übermittelt. Der Artikel im "National Catholic Reporter" stützt sich weiters auf bereits mehrere Jahre alte Berichte von Schwester Maura O'Donohue, einer Ärztin, die dem Orden "Medical Sisters of Mary" angehört. Die Informationen dieser Berichte habe O'Donohue 1995 auch Kardinal Eduardo Martinez Somalo, dem Präfekten der vatikanischen Ordenskongregation vorgetragen.

In einem der Berichte O'Donohues finde sich die Einschätzung, dass Ordensfrauen auch deswegen sexuell missbraucht worden wären, weil bei ihnen die Ansteckungsgefahr mit Aids als geringer eingeschätzt wird. Der National Catholic Reporter zitiert aus O'Donohues Bericht: "So fragten Priester bei der Oberin einer Schwesterngemeinschaft in einem Land an, ob die Schwestern ihnen für die Befriedigung ihrer sexuellen Vorlieben zur Verfügung gestellt werden könnten. Als die Oberin dies verweigerte, erklärten die Priester, sie seien nun gezwungen, sich Mädchen im Dorf zu suchen - weswegen sie Aids bekommen könnten."

Auch im Bericht von Schwester McDonald aus 1998 fänden sich ähnliche Beispiele. Die Ordensfrau, so der National Catholic Reporter, liste Faktoren auf, die das Problem verschärften: Zölibat werde nicht in allen Ländern als Wert angesehen; die Stellung der Frauen sei mitunter eine sehr geringe; Ordensfrauen gelten als "Aids-sicher"; Schwestern würden finanziell sehr wenig unterstützt; das Verständnis für das geweihte Leben sei bei Schwestern, Priestern, Bischöfen und Laien sehr gering; die Anwerbung von Ordensmitgliedern geschehe ohne genügende Kenntnis für kulturelle Zusammenhänge; Schwestern, die nach Rom geschickt würden, seien oftmals viel zu jung und daher prädestiniert, dort sexuell ausgebeutet zu werden; eine "Verschwörung des Schweigens" verschleiere das Thema. Der Bericht von McDonald spreche auch davon, dass "sexuelle Belästigung und sogar Vergewaltigung von Schwestern durch Priester und Bischöfe angeblich verbreitet" seien, und dass "manchmal, wenn eine Ordensfrau schwanger wird, der Priester auf einer Abtreibung besteht".

,Geographisch begrenzt' Der ausführliche und brisante Bericht im "National Catholic Reporter" führte dazu, dass schließlich auch in italienischen Zeitungen über den sexuellen Missbrauch von Ordensfrauen geschrieben wurde. Vatikansprecher Joaquin Navarro-Valls erklärte daraufhin am 20. März: "Das Problem ist bekannt, und es ist auf ein geographisch begrenztes Gebiet beschränkt." Der Heilige Stuhl arbeite gemeinsam mit den Bischöfen und Ordensoberen an der Ausbildung von Personen und an der Lösung von Einzelfällen. Auch der Papst meldete sich - indirekt - zu Wort, als er wenige Tage später vor katholischen Frauenorganisationen "jede Form von Gewalt gegen Frauen" verurteilte.

Die Vatikan-Aussage über die "geographische" Begrenzung des Problems kann als Hinweis darauf gelten, dass Rom das Ganze als "afrikanisches Problem" ansieht. Denn "sexuelle Probleme" in der Kirche Afrikas südlich der Sahara sind schon seit längerem ein diskutiertes Thema. So hatte das amerikanische "Time-Magazine" schon 1994 anlässlich der Bischofssynode über Afrika geschrieben, dass bis zu drei Viertel der afrikanischen Priester praktisch verheiratet seien und Kinder aufzögen. Ob das Problem des sexuellen Missbrauchs in katholischen Gemeinschaften aber tatsächlich eine vornehmlich afrikanische Sache ist?

Der "National Catholic Reporter" zitiert dazu wieder Schwester O'Donohues Bericht, der 23 Länder, wo sexueller Missbrauch an Ordensfrauen vorkam, benennt. Nur 15 davon liegen in Afrika, die anderen seien: Brasilien, Indien, Irland, Italien, Kolumbien, Papua-Neuguinea, Philippinen und die Vereinigten Staaten.

Letzten Sonntag stellte sich - im ORF-Religionsmagazin "Orientierung" - der deutsche Franziskanerpater den Fragen zum Thema. Schalück war von 1991 bis 1997 Generaloberer des Franziskanerordens und leitet heute Missio-Aachen, die deutsche Hilfsorganisation, die Priester und Ordensleute in der Dritten Welt unterstützt. Schalück bezeichnete die Berichte der letzten Wochen als "absolut glaubhaft und ernsthaft". Auch er wies darauf hin, dass in Afrika Sexualität und Ehe anders gesehen würden wie im Westen. Daher sei das Verständnis des Zölibats "nicht so eng wie bei uns". Auf dieser kulturellen Unterschiedlichkeit lagerten dann auch die Fälle von Vergewaltigung und Missbrauch.

Bildung, Abschreckung Schalück warnte aber davor, das Problem nur auf Afrika zu beschränken. Als langfristige Strategie gegen die sexuelle Ausbeutung setzt er auf "gender-spezifische" Projekte "vor allem für Frauen, die die Untergeordneten sind - auch in der Kirche des Westens! -", die es ihnen ermöglichen sollen, sich selber zu artikulieren und nicht mehr von den Männern abhängig zu sein. Den Bischöfen Afrikas warf Schalück vor, die auszubildenden Priester und Ordensleute von der Lebenswirklichkeit zu sehr abzuschotten. Im Gespräch mit Bischöfen und Ordensoberen dränge er darauf, bei der Ausbildung mehr auf Qualität als auf Quantität zu achten und mehr Sorgfalt auf die Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten zu verwenden.

Schalück forderte in der "Orientierung" aber auch Abschreckung: In Fällen, wo die sexuelle Belästigung zum Verbrechen wird, verlangt der Franziskanerpater von Rom, ähnlich hart zu verfahren, wie dies in einigen Fällen von Pädophilie von Priestern - "ein Problem des Westens, nicht Afrikas!" - geschehen sei.

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