Ein Plädoyer für gläubige Gelassenheit

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Gott selber, nicht aber die Kirche und schon gar nicht andere Systeme bleiben das Ziel. Eine christliche Positionierung im Raum der Zivilgesellschaft.

Keine Frage! Die Voraussetzungen für das aktive Christsein haben sich geändert. Dies nicht nur deswegen, weil unsere Gesellschaft multireligiös und multiethnisch geworden ist und schon deswegen die normative Vorstellung einer Territorialreligion nur um den Preis eines gewaltverhafteten Fundamentalismus aufrechtzuerhalten ist. Die katholische Absage daran und das positive Bekenntnis zur Religionsfreiheit entspringen auch einem vertieften Verständnis der jesuanischen Mission und seiner Gottesvorstellung. Jesus markierte nicht Territorien, er kümmerte sich um Menschen! Deshalb wollte er Menschen für die Wahrheit seines Gottes gewinnen. Aber nicht mit Zwang und Gewalt: "Wer nicht gegen uns ist, ist für uns!” Die Logik hat nichts mit einer Anything-goes-Mentalität zu tun, sie sagt auch nicht, dass jeder nach seiner Fasson selig und auch glücklich werden soll. Religion stellt für Jesus kein unverbindliches Hobby dar: Sie ist der Inbegriff einer Bindung des menschlichen Begehrens. Und für diese steht ihm das erste Gebot: "Du sollst keine Götter neben mir haben!”

Jesus würde widersprechen

Jahrhunderte später brachte Max Scheler die Sache auf die Kurzformel: "Der Mensch glaubt entweder an Gott, oder er glaubt an einen Götzen. Kein Drittes!” Aus diesem Grund würde Jesus den Verfechtern des "modernen Säkularismus“ widersprechen. So wie er dem Prinzip der Trennung von organisierter Religion und Staat zustimmen würde, so würde er Bemühungen, die Religion radikal aus der Öffentlichkeit zurückzudrängen, vehement zurückweisen und den kulturellen Trend des Exodus aus der Kirche als verhängnisvolle Täuschung qualifizieren. Götzen wirtschaftlicher, politischer und kultureller Natur etablieren sich als Objekte menschlichen Begehrens, versklaven auch nach und nach den Menschen.

Das Scheitern emanzipatorischer Kultur der 68er zeigt dies deutlich: Die explosive Befreiung und Entfesselung aller nur denkbaren Begierden ging keineswegs Hand in Hand mit der Geburtsstunde des autonomen, sich selbst bestimmenden Subjekts. Vielmehr brachte sie, und dies nicht zuletzt aufgrund der fast allmächtigen Werbung in unserer markt- und medienstrukturierten Kultur, das Konsumsubjekt hervor.

Gnadenlos liefert die Seitenblickegesellschaft den entwurzelten Menschen an die Dynamik des entfesselten Begehrens aus, erzeugt Aggressionen und bietet auch Sündenböcke zum Abladen von Frust an. Natürlich ist die kirchliche Gemeinschaft keineswegs automatisch vor dieser Falle geschützt. Anspruchs- und Konsumdenken, eine spezifisch ekklesiale Entwurzelung und auch die kirchliche Sündenbockjagd lassen die Kirche kulturell als überflüssig erscheinen.

Als bloße Abziehfolie der Welt wäre sie dies auch. Selbst jener Welt, die dem ethischen Ernst verpflichtet ist. Der ethische Ernst Jesu, seine Bemühung um die Kultivierung des Begehrens und auch um die Unterbindung der Sündenbockjagd sind zwar wichtig. Sie waren aber nicht von Erfolg gezeichnet. Jesus ist ja jenen zum Opfer gefallen, die es ernst meinten. Darin wird die immer im Raum stehende "Katastrophe der Ethik“ sichtbar. Seine Bindung an Gott, den Vater, ermöglicht aber das Leben auch nach der Katastrophe und schenkt auch den Versagern eine neue Zukunft, gar Zukunft durch den Tod hindurch.

Weil Gott selber, nicht aber die Kirche und schon gar nicht andere Systeme das Ziel des menschlichen Begehrens bleibt, schenkt er uns in Zeiten wie diesen gläubige Gelassenheit. Und ermächtigt uns dazu, dass wir die Zerrbilder der "Religio“ korrigieren, indem wir unsere Bindung an Gott konsequent und lebensbejahend selber leben. Gerade in der Kirche. Im Raum der Zivilgesellschaft.

* Der Autor ist Dekan der Kath.-Theol. Fakultät der Uni Innsbruck

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