Ein Professor für das Fach Weltwissenschaften

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Der in Ungarn geborene Journalist Paul Lendvai feiert am 24. August seinen 80. Geburtstag. Er hat alle Schrecken des 20. Jahrhunderts erlebt: Nationalismus, Kommunismus, Flucht. In Österreich absolvierte er über fünfzig Jahre lang eine beispiellose publizistische Karriere. Die frühere Außenministerin, Ursula Plassnik, würdigt den vielseitigen Intellektuellen.

Es gibt drei Dinge, die man Paul Lendvai jedenfalls nicht nachsagen kann: faul, langweilig oder anspruchslos zu sein.

Wenn es in unseren Breiten ein menschliches perpetuum mobile gibt, dann wohl ihn. Den Professor, den Erklärer, den Kommentator, den Bestsellerautor, den Netzwerker, die Informationsschaltstelle, den Vortragenden, den Herausgeber, den Moderator, das öffentliche Gewissen. Um nur einige der Funktionen zu nennen, die er erworben hat oder die ihm zugewachsen sind. Keine davon wollen wir missen, in Österreich/Ungarn, in Europa, in der Welt. Welche seiner Funktionen jeweils gerade die Oberhand hat, lässt sich im fröhlichen Geisteshaushalt dieses politischen Einpersonen-Kraftwerks nicht immer leicht feststellen. Und das ist wahrscheinlich auch gut so. Unentwegt produziert er Qualitätsmaterie. Und bringt Komplexes auf den Punkt. Faulheit oder auch nur Geruhsamkeit sind ihm wesensfremd. In jeder Faser „neu-gierig“ im wahrsten Sinn des Wortes erkundet er die Welten der Politik und spürt denjenigen kritisch nach, die behaupten, sie zu gestalten.

Menschlichkeit rettet vor Verzweiflung

Gäbe es in unserer Zeit, was es im Mittelalter noch gegeben hat – nämlich den „Professor für Weltwissenschaft“ – Paul Lendvai hätte sich in nunmehr 80 Jahren diesen Titel redlich verdient. Dabei retten oft nur sein bubenhafter Charme, sein Witz und seine tiefe Menschlichkeit die Objekte seiner messerscharfen Beobachtungen vor der Verzweiflung. Paul Lendvai beherrscht die Kunst, sich Zugänge zu erwerben und zu erhalten. Er hat die Gabe, Zusammenhänge zu erkennen und sie einem breiten Publikum schmackhaft zu machen. Er ist ein begnadeter Volksbildner, gleichzeitig längst heimisch in der internationalen Liga höchst geachteter und beachteter Intellektueller.

Kurzweilig und tiefschürfend, wortgewaltig und präzis, leidenschaftlich und distanziert: Scheinbar mühelos kombiniert Paul Lendvai vordergründig Unvereinbares. Er lässt nicht kalt. Wie umgekehrt das Lauwarme ihm nicht liegt und das Schwammige ihm vermutlich Gänsehaut macht. Er bezieht Position und wird dadurch immer wieder an entscheidenden Wegmarken selbst zum politisch Handelnden. Uns allen ist etwa in Erinnerung, mit wie viel Mut und Klarheit sich der exemplarische Europäer Lendvai im Jahre 2000 öffentlich gegen die unseligen Sanktionen gestellt hat.

Anspruchvoll ist Paul Lendvai immer geblieben. Damit legt der polyglotte Multi-tasker sich und den anderen geistig und moralisch die Latte. Und bürgt für Qualität in Gedanken, Wort und Schrift. Für selbstverliebten Provinzialismus hat er schlicht nichts über. Was nicht verwundert, hat er doch nahezu alle Schrecken des 20. Jahrhunderts mit eigener Haut erlebt und erlebt sie immer noch: Nationalismus, Kommunismus, Diktatur, Unfreiheit, Naziverfolgung, Flucht und Vertreibung.

Seinen Freunden erspart er weder seinen kritischen Blick noch sein kritisches Wort. Selbst minimale Moderatorenaufgaben spickt er mit Widerhaken wie die gute Hausfrau den Rindsbraten. Man tut also gut daran, ihm auch bei unauffälligeren Programmpunkten mit gespitzten Ohren zuzuhören. Um notfalls satisfaktionsfähig zu sein für ein spontanes Geistesduell. Der Schalk in seinem Auge ist oft Tarnung für punktgenaue Pfeilschüsse, vorzugsweise auf Honoratioren und Erstereihesitzer. Harmlos ist er nicht, dieser Lendvai …

Und doch kennen ihn manche von seiner weicheren Seite: Paul, der Fürsorgliche, der seine sterbende Frau über Jahre hinweg betreut und begleitet hat, ohne sich selbst je zu schonen. Paul, der Jungehemann, der mit Shoka noch einmal vorlebt, wie wunderbar gelungene Partnerschaft stärkt und wachsen lässt. Paul, der Ungar, der 2009 im ungarischen Parlament alle sprachlos macht, als er am Tag der Feiern zum Fall des Eisernen Vorhangs aufruft zum Abbau des Eisernen Vorhangs im Inneren seiner ersten Heimat. Paul, der Österreicher, der seine Dankbarkeit und Liebe zu unserem Land gerade in Zeiten der Anfechtung und gegen die opportunistischen Schweiger immer klar und vorbehaltlos zum Ausdruck gebracht hat.

Jahrzehnte der Standhaftigkeit

Paul Lendvai hat 80 Jahre Standhaftigkeit und Standfestigkeit bewiesen. Seine Lebensfreude und seine Schaffenskraft sind nunmehr voll entwickelt. Moderne Technologien beschleunigen seine Produktionszyklen. Das Pendeln zwischen Wien, Budapest, Altaussee und den übrigen modernen Metropolen hält den Reisefuß locker am Gaspedal seines Cabriolets und sorgt für Wind um die Ohren und Sauerstoffzufuhr im Oberstübchen. Mit Shokas Hilfe wird er bei Laune bleiben und wir alle können ihm weiterhin vertrauen als unserem bewährten Navigator durch das Dickicht des Weltgeschehens.

Ad multos annos!

* Die Autorin, Ursula Plassnik, Diplomatin und im Kabinett von Kanzler Schüssel tätig, war von 2004 bis 2008 Außenministerin und ist derzeit Abgeordnete zum Nationalrat

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