Ein progressiver Konservativer für England

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Englands Medien qualifizierten ihn als "Progressiven". Jedenfalls war Cormac Murphy-O'Connor, seit März Nachfolger des im Juni 1999 verstorbenen Kardinal Basil Hume, schon bisher ein geachteter und erfolgreicher Bischof.

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Englands Medien qualifizierten ihn als "Progressiven". Jedenfalls war Cormac Murphy-O'Connor, seit März Nachfolger des im Juni 1999 verstorbenen Kardinal Basil Hume, schon bisher ein geachteter und erfolgreicher Bischof.

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Als der vierjährige Cormac Murphy-O'Connor gefragt wurde, was er einmal werden möchte, antwortete er mit "Arzt oder Papst". Tatsächlich avancierte der erfolgreiche Priester, der seit 22 Jahren Bischof ist, heuer zum Erzbischof von Westminster. Er ist damit derjenige Erzbischof der katholischen Kirche in England und Wales, der zwar nicht de lege, aber doch faktisch als Oberhaupt der englischen Katholiken gesehen wird.

Damit wurde überraschenderweise von Rom - nach einer sehr langen Nachdenkzeit - ein gemäßigt progressiver Oberhirte gewählt, dem viele innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche in England und Wales (Schottland hat seine eigene Bischofskonferenz) kräftige Impulse für eine Erneuerung der Kirche zutrauen.

Der großgewachsene und imponierende Bischof wird allseits positiv beurteilt. Er gilt als umgänglich, warmherzig und humorvoll und verfügt über gute pastorale und organisatorische Qualitäten. Er ist zugänglich und deshalb auch bei seinen Priestern sehr beliebt, und trotz seiner 67 Jahre wirkt er frisch und jugendlich. Diese umgängliche Art steht aber nicht für Beliebigkeit, denn - wie es ein Kommentar ausdrückte - es steckt ein "man of iron behind the cloth" (ein Mann aus Eisen hinter dem Tuch).

Aus einer irischen Arztfamilie stammend, wuchs Murphy-O'Connor in England auf, spürt aber dennoch gelegentlich "den Kelten" in sich. Es muss ein bemerkenswertes Elternhaus gewesen sein, denn von den fünf Brüdern entschlossen sich drei zum Priesteramt. Vorbild waren vielleicht drei Onkel, die ebenfalls dieser Berufung gefolgt waren. Kein Wunder dass für den Bischof der Stellenwert der Familie besondere Priorität genießt.

Päpstliche Moral Wie er überhaupt in Moralfragen konform mit der Linie des Papstes geht, wie zum Beispiel die radikale Ablehnung von Abtreibung und Euthanasie sowie große Vorbehalte, wenn es um die Propagierung homosexueller Lebenstile geht, ein Thema, das derzeit in England große Aktualität hat (so zum Beispiel will die Labour-Regierung eine Gesetzesbestimmung abschaffen, die die Propagierung homosexueller Lebensgemeinschaften als der Familie gleichwertige Form an Schulen verbietet; in Diskussion steht auch die Erlaubnis für homosexuelle beziehungsweise lesbische Paare Kinder zu adoptieren).

In einem Interview Anfang Mai hat der neue Erzbischof von Westminster das präzisiert. Während er einerseits bei Themen wie Abtreibung oder Frauenordination kompromisslos ist, zeigt Murphy-O'Connor in Bezug auf den Zölibat Verständnis: "Ordnungsvorschriften können sich ändern. Wenn ein Priester anlässlich seiner Weihe den Zölibat auf sich genommen hat, dann soll er ihn auch einhalten. Aber ist eine (bestehende) Ehe inkompatibel mit dem Priesteramt? Die Antwort ist offensichtlich nein. Ich würde das nicht von vornherein ausschließen. Dieses Thema wird noch zu behandeln sein", so der Erzbischof wörtlich.

In ersten Interviews nach Bekanntwerden seiner Ernennung im Februar beklagte er vor allem die Versklavung des Menschen durch die Konsumkultur und die Tatsache, dass sich die Gesellschaft in England in einer "moralischen und spirituellen Krise befindet. Er sagte dies nicht zum ersten Mal, besonders in Erinnerung ist seine Rede am Vorabend des Labour Parteitages 1997 (das Jahr, in dem Tony Blairs Labour-Regierung die Konservativen ablöste) im Beisein des Premierministers und seiner Familie.

Ökumenisch gesinnt Schon die Einladung, bei einer derartigen Gelegenheit das Wort zu ergreifen, zeigt, dass der neue Oberhirte auch gute Kontakte außerhalb der katholischen Kirche Englands hat. Seine enge Freundschaft mit dem Herzog von Norfolk, dem ranghöchsten katholischen Aristokraten Englands, hat ihm wohl ebenso wenig geschadet wie seine guten Kontakte zur anglikanischen Staatskirche, insbesondere zum Erzbischof von Canterbury, George Carey. Murphy-O'Connor ist seit Jahren Co-Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der anglikanischen und katholischen Kirche in England. Diese hatte ja bereits enorme Annäherungsfortschritte gebracht, bis dann die Entscheidung der Church of England, auch Frauen die Priesterweihe zuzulassen, die ökumenischen Hoffnungen rasant abkühlte.

Auffallend war, dass gerade in Murphy-O'Connors bisheriger Diözese Arundel and Brighton besonders viele anglikanische Geistliche, die wegen der Frauenordination ihre Kirche verließen, herzlich aufgenommen wurden. Insbesondere ist er ein Befürworter der kontroversiellen Praxis, dass - im Rahmen einer gewissen zeitlichen Begrenzung - auch verheiratete anglikanische Priester römisch- katholische Priester werden können. Das heißt aber nicht, dass er am Zölibat rütteln möchte, ganz im Gegenteil, er ist ein starker Befürworter des Zölibats und unterstrich in einem Hirtenbrief 1995, dass diese Entscheidung anlässlich der Konversion anglikanischer Priester "nicht das dünne Ende eines Keils" ist, der einen Wandel in der römischen Kirche herbeiführen soll.

Erosion der Anglikaner Angesprochen auf seine persönlichen Erfahrungen mit dem Zölibat, meinte er kürzlich sehr offen: "Da ist ein Teil von mir, der meint, dass ich wohl einen guten Vater und Ehemann abgegeben hätte. Ich wäre kein Mann, wenn ich das nicht fühlte", aber er bedauert die Entscheidung nicht und sieht die Ehelosigkeit als Gabe, besser und intensiver auf andere Menschen eingehen zu können. Aus seiner Erfahrung als Bischof fügt er hinzu, dass "einige der besten Priester diejenigen sind, die gute Familienväter abgegeben hätten". So sieht er auch nicht die Probleme der Kirche im Zölibat, sondern im Glauben.

In dieser Frage ist er sicher von der Situation in Großbritannien geprägt, denn auch die Church of England konnte trotz verheirateter Priester, Zulassung von Frauen zum Priesteramt sowie einer spirituellen Bandbreite, die manche bereits als Beliebigkeit bezeichnen, die anhaltende Erosion nicht stoppen. An der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend steht die offizielle Staatskirche heute mit einem geringeren Kirchenbesuch da, als die englischen Katholiken (obwohl diese nur zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen).

Aber auch die Zahlen für die katholische Kirche sind rückläufig und Murphy-O'Connor ist sich klar, dass er hier gefordert ist. Er gibt auch nicht nur "der Gesellschaft" die Schuld und ihrem Credo "dass alles käuflich ist und auch Menschen eher danach beurteilt werden, was sie haben, als was sie sind", sondern meinte wörtlich, dass die Kirche "semper reformanda est". Es ist ihm klar, dass die Kirche der Zukunft aktive und glaubwürdige Laien braucht sowie Inhalte, die die Menschen berühren.

Trendumkehr geglückt 1990 veranstaltete Murphy-O'Connor in seiner Diözese im Süden Englands eine Umfrage, die 8.000 schriftliche Stellungnahmen erbrachte mit folgenden Hauptwünschen: Erwachsenenbildung, gute Liturgie sowie mehr Verständnis für die Nöte und Probleme der Menschen. Es ist ihm in seiner Diözese eine gewisse Trendumkehr geglückt. Sicher war auch dies - gemeinsam mit der 22-jährigen Erfahrung als Bischof - mit ein Grund für Rom, diesen sehr soliden und verlässlichen Kirchenmann nach Westminster zu schicken. Dazu kommen seine nach wie vor guten Kontakte nach Rom, wo er am English College (dessen Rektor er dann später für einige Zeit sein sollte) und dann an der Gregoriana Philosophie und Theologie studierte. Über sein Verhältnis zum Papst - der ihn höchstwahrscheinlich binnen Jahresfrist zum Kardinal ernennen wird - sagt er: "Ich kann gut mit ihm - er hat Sinn für Humor."

Der Amtsantritt des neuen Erzbischofs von Westminster fällt mit einem wichtigen Datum für Englands Katholiken zusammen: heuer jährt sich zum 150. Mal der Jahrestag der Wiedererrichtung der katholischen Hierarchie in England und Wales: Erst 1850 wurde wieder eine Infrastruktur geschaffen, die eine flächendeckende Betreuung der englischen Katholiken ermöglicht; bis dahin galt England - nach dem Zusammenbruch und der gewaltsamen Auflösung im Zuge der Reformation - als Missionsgebiet. Wenn man dazu bedenkt, dass die Katholiken heute (rund zehn Prozent der Bevölkerung) mit 1.2 Millionen sonntäglichen Messbesuchen einen deutlich höheren Kirchenbesuch aufweisen als die offizielle Staatskirche mit nur 980.600 Seelen (aber rund 45 Prozent der Bevölkerung), dann zeigt diese ehemalige "Missionskirche" trotz sinkender Teilnahme ein kräftiges Lebenszeichen.

Deshalb hat auch der neue Erzbischof in seiner Antrittspredigt am 22. März erklärt, dass er kein Verständnis für Untergangspropheten hat, denn "wenn der Himmel düster ist, scheint das Licht heller". Überhaupt war die Amtseinführungszeremonie in der Westminster Cathedral - die von den BBC live übertragen wurde - ein hochrangig besetzter Event, und der neue Erzbischof konnte bei dieser Gelgenheit nicht nur bewußte Stiländerungen demonstrieren (so wurde auf das traditionelle Küssen des Ringes demonstrativ verzichtet), sondern auch eine Hand in Richtung Einheit der Christen ausstrecken, die er als "Pilgerfahrt der Gnade" bezeichnet, "die wir gemeinsam machen und die nur ein Ziel hat".

Der neue Erzbischof ist nicht nur bei Englands Katholiken, die sich von ihm eine Revitalisierung der Kirche erwarten, beliebt, er wird auch vom Establishment geschätzt und kommt mit den Medien hervorragend zurecht. Keine schlechte Ausgangsbasis für Englands Katholiken am Beginn eines neuen Jahrtausends.

KIRCHE IN GROSSBRITANNIEN Kirchenfusion in Schottland?

John Knox, der Anführer der blutigen presbyterianischen Reformation gegen die "entartete" englische Bischofskirche, muss sich im Grabe wälzen, denn die Pläne für eine Fusion der schottischen protestantischen Kirchen sind in ein recht konkretes Stadium getreten. Treibende Kraft für diesen Schritt sind weniger religiöse, denn eher praktisch-finanzielle Gründe. Die Erosion im Kirchenbesuch hinterlässt auch im dünn besiedelten Schottland ihre Spuren. Die schottische Episcopal Church (die der Church of England in England und Wales entspricht) verfügt nur mehr über 65.000 Mitglieder, die presbyterianische Church of Scotland - nach eigenen Angaben - über 650.000 Seelen. Dazu kommen noch die Methodisten sowie die United Reformed Church (eine protestantische Kirche, die bereits das Produkt einer früheren Fusion ist). Insgesamt sollte diese angeplante "Superkirk" rund 750.000 Mitglieder haben, und damit etwa genauso viele wie die römisch katholische Kirche in Schottland (700.000 Mitglieder), die bei den Fusionsgesprächen als Beobachter vertreten ist.

Viele zweifeln zwar, dass es gelingen könnte, die evangelikal-puritanische Church of Scotland mit der Episcopal Church, die gerade in Schottland als mehr "römisch-katholisch" denn als protestantisch gilt, auf einen Nenner zu bringen, aber namhafte Vertreter beider Bekenntnisse stehen hinter dem Projekt, das eine Union für das Jahr 2010 ins Auge fasst. Sollten die entsprechenden Beschlüsse alle positiv ausfallen, wird in den nächsten Jahren ein gutes Stück Überzeugungsarbeit beim Kirchenvolk zu leisten sein, denn die religiösen Gräben sind - trotz sinkender Ziffern und zunehmender Säkularisierung - gerade im wenig urbanen Schottland noch immer tief.

Herbert Kasper

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