"Ein Religionsmix mit viel ,fantasy' gewürzt"

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Astrologen, Hellseher, Geistheiler haben Hochkonjunktur. Die Medien berichten über Schamanen und Mutter-Erde-Kulte. Eine neue Form der Religiosität macht sich in Europa breit. Im folgenden ein Gespräch über die geistigen Hintergründe dieses Trends zur Mystik.

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Astrologen, Hellseher, Geistheiler haben Hochkonjunktur. Die Medien berichten über Schamanen und Mutter-Erde-Kulte. Eine neue Form der Religiosität macht sich in Europa breit. Im folgenden ein Gespräch über die geistigen Hintergründe dieses Trends zur Mystik.

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die furche: Esoterik - ein Wort, das man oft hört. Viele werden aber nicht recht wissen, was es eigentlich bedeutet. Können Sie den Begriff definieren?

P. Clemens Pilar: Das ist fast nicht möglich. Heute ist es ein schwammiger Begriff, unter dem sehr Vieles zusammengefasst wird. Das Wort selbst meint jedenfalls einen inneren Kreis. Mit dem griechischen Wort wurden ursprünglich Geheimlehren bezeichnet, die man in einem inneren Kreis weitergegeben hat. Ein Beispiel: Bei Pythagoras gab es eine Geheimschule, einen inneren Kreis. Dort wurden mystische Inhalte weitergegeben. Der äußere Kreis hat Mathematik gelernt. Oder: Alchimistische Rezepte wurden von Adepten zu Adepten weitergereicht.

die furche: Mittlerweile kann man doch wohl kaum mehr Geheimlehren damit bezeichnen ...

Pilar: Heute versteht man darunter ein buntes Sammelsurium: Alles, was mit Mystik, mit Weltreligionen zu tun hat. Da werden einzelne Teile herausgenommen und zu einem neuen Mix zusammenverwoben. Dazu kommen alchimistische Lehren und ein Neuheidentum, das aber mit den heidnischen Vorstellungen früherer Zeiten wenig zu tun. Viel "fantasy" wird dazugemixt. Das Magisch-Okkulte, das Esoterische prägt heute vielfach die Atmosphäre, in der wir leben. Es ist in ganz alltäglichen Situationen gegenwärtig: in verschiedenen Formen der Komplementärmedizin, in der Freizeitgestaltung, in Filmen - der "Krieg der Sterne" war ein Vorreiter dieses "New Age", des neuen Zeitalters.

die furche: Eigentlich ist das "New Age" aber gar nicht so neu.

Pilar: Schon in sehr alten esoterischen Kreisen wurde behauptet, es komme ein goldenes Zeitalter, in dem diese Geheimlehren allgegenwärtig und die tragende Philosophie der Menschheit sein würden. Helena Petrowna Blavatsky, eine Deutsch-Russin, hat dies vor mehr als 100 Jahren aufgegriffen und die "Theosophische Gesellschaft" gegründet. Ihr Ziel war, diese magisch-okkulte Religiosität zur eigentlichen Religion im Abendland zu machen, das Christliche zu überwinden. Viele andere Schulen haben sich dann diesem Anliegen verschrieben, etwa die Anthroposophen. Alice Bailey schrieb Ende der dreißiger Jahre, diese Inhalte müssten sich in eine praktisch anwendbare Form einkleiden. Das heißt: Man betreibt nicht Philosophie- oder Religionsunterricht, sondern wendet die Lehren auf den Alltag der Erziehung, der Freizeit oder psychologischen Beratung an. In den USA wurde das schon in den sechziger Jahren Mode und bei uns Ende der siebziger Jahre.

die furche: Oft werden diese Praktiken aber als Ergänzung zum christlichen Glauben angesehen und angeboten.

Pilar: Im christlichen Glauben geht es um Erlösung: der Mensch braucht, weil er Sünder ist, Erlösung. Und der persönliche Gott kommt ihm entgegen und überwindet die Katastrophe der Sünde. Er tut es durch seinen Tod am Kreuz. Diese Botschaft, dass der Mensch jemanden brauche, der ihm hilft, ist - und war es immer - eine Brüskierung der menschlichen Selbstherrlichkeit. Die heidnische und die gnostische Religiosität hat einen anderen Ansatz: Der Mensch könne sich selbst die Vollendung erarbeiten: durch Erkenntnis oder durch die richtige Praktik. Dieser Ansatz steht auch im Hintergrund der heutigen okkult-esoterischen Religiosität: Der Mensch sei eigentlich göttlich und es gehe darum, seine göttlichen Potenziale zu entfalten. Entweder muss ich also erkennen, dass ich Gott bin, der göttliche Funke in mir ist, oder ich muss meine Energien bis zum Göttlichen anheben.

die furche: Das klingt irgendwie vage. Kann man diese Gottesvorstellung umschreiben?

Pilar: Da gibt es viele Modelle. Das geht von einer schwammigen Vorstellung, in der es einen persönlichen Gott zwar gibt, aber im Sinn des Deismus...

die furche: Was hat man sich darunter vorzustellen?

Pilar: Dass ein Schöpfergott die Welt zwar erschaffen hat, sich die Welt jetzt aber selbst entwickeln müsse. Und dafür ist der Mensch verantwortlich. Damit habe ich nicht mehr unmittelbar mit Gott zu tun. Diese Vorstellungen reichen aber bis zum Pantheismus: Wir alle seien Gott, alles sei göttlich. Da gibt es verschiedene Abstufungen.

die furche: Gibt es gemeinsame Merkmale?

Pilar: Ja, die Vorstellung: Ich brauche keine Erlösung, gehe selbst den Weg der Vollendung - wie immer im einzelnen die Technik dazu aussieht. Eine weitere, vielfach geteilte Vorstellung ist der Monismus...

die furche: Was ist darunter zu verstehen?

Pilar: Christen glauben an das Gegenüber von Materie und Geist, die in der Person zur Einheit werden. In den meisten esoterischen Strömungen wird hingegen behauptet, alles sei Energie, alles sei beseelt - auch der Stein, das Atom. Unterschiede gibt es nur in der Intensität der Energie, des Lebens: Ein Stein hat eine grobe Schwingung, eine Pflanze schon eine höhere... Das Göttliche ist die oberste Schwingung. Durch Anhebung der Schwingungen, der Energie könne man aufsteigen, vom Niederen zum Höheren. Aber grundsätzlich sei alles Energie. Dann wird Krankheit zum Energieproblem und kann auf der Energieebene gelöst werden. Die richtige Schwingung heilt, heißt es dann - egal ob das Problem körperlich, seelisch oder moralisch ist. Typisch die Bachblütentherapie: Sie ist eine Heilung für die Seele.

die furche: Wie soll das funktionieren?

Pilar: Für geistige Probleme, die auf persönlicher Ebene liegen, werden Stoffe eingesetzt. Noch konkreter: Wo Umkehr notwendig wäre, wird eine Arznei gesetzt, die auf mystische Weise bereitet wird.

die furche: Ist nicht auch Reinkarnation - an sie glauben ja laut Umfragen mehr Menschen in Europa als an die Auferstehung - ein wiederkehrendes Thema?

Pilar: Selbst viele Christen dürften den Glauben an die Auferstehung durch den Glauben an die Reinkarnation - man komme immer wieder auf diese Welt - ersetzen. Die westliche Vorstellung von Reinkarnation hat jedoch wenig mit dem zu tun, was östliche Religionen lehren. Dort ist Reinkarnation eine bedrohliche Vorstellung: Man müsse in weiteren leidvollen Leben schicksalhaft die Folgen der eigenen Taten abdienen, das Karma abtragen. So versucht man dem Rad der Wiedergeburt zu entkommen. Der Weg dazu besteht darin, sein Schicksal ergeben anzunehmen, sich nicht gegen Leid zu wehren. Das bedeutet vollkommene Passivität gegenüber der eigenen notvollen Situation, aber auch Gleichgültigkeit gegenüber den anderen. Denn jeder hat nun einmal sein Schicksal. Bei uns ist aus dieser Lehre ein Erfolgsweg geworden: Ein Leben ist nicht genug, es macht so viel Spaß. Jedesmal wird es besser, es geht aufwärts.

die furche: Sehen Sie eine Gefahr für den christlichen Glauben?

Pilar: Vor allem weil sehr viele Christen nur mehr recht wenig über den eigenen Glauben wissen, welchen Schatz er darstellt: Dass Gott Person ist, dass er mich liebt, mich im Sein hält, dass das Leben ein Geschenk Gottes ist. In der Esoterik kommt oft der Begriff der Lebenskraft vor - auch in der Heiligen Schrift. Nur dort heißt es: Gott ist die Kraft meines Lebens, ich werde von Gottes Liebe gehalten. Ein weiterer Schatz: Es gibt zwar Sünde, aber es gibt auch Gott, der mir vergibt. Ich bin zu einem ewige Dialog der Liebe berufen. Daher geht es nicht darum, Gott zu sein, sondern ihn zu lieben. Diese christlichen Inhalte verwässert die Esoterik. So gibt es bei den Bachblüten Tropfen für den Trost in Todesnot, um Grenzerfahrungen zu bewältigen. So tritt eine Substanz, ein Etwas, an die Stelle des Dialogs, der Begegnung mit Gott. Viele merken den Wechsel der Paradigmen, der Weltanschauung, der da stattfindet, gar nicht.

die furche: Muss man bei den vielen Angeboten, mit denen man heute konfrontiert ist - medizinische, psychotherapeutische, im Bereich der Unterhaltung - sehr vorsichtig sein? Vor allem wenn es um die heranwachsende Jugend geht?

Pilar: Man kann heute Kinder und Jugendliche nicht ganz aus all dem heraushalten. Daher scheint mir wichtiger, als vor allem möglichen zu warnen, mittels einer guten Katechese in der Familie, das Fundament für einen tragfähigen Glauben zu legen. Mir hat die Glaubensschule zu Hause mehr geholfen als alle Warnungen. Wichtig ist also, ein Fundament zu legen, damit der junge Mensch selbst unterscheiden kann. Die heutige, von der Esoterik geprägte Situation ist wie ein Weckruf, die christlichen Schätze wieder zu entdecken. Das war auch für mich die Frucht der Auseinandersetzung mit der Esoterik. Sie hat mich gezwungen, mich den wesentlichen Fragen des christlichen Glaubens zu stellen und seine Herrlichkeit zu entdecken.

Das Gespräch führte Christof Gaspari Zur Person: Missionar undEsoterik-Experte P. Clemens Pilar ist im Dezember 1961 in Wien geboren, aber in Kirchdorf an der Krems in Oberösterreich aufgewachsen. Dort besuchte er Volksschule und Gymnasium. 1981 begann er sein Medizinstudium in Wien. Nach Beendigung des ersten Studienabschnitts trat er der Ordensgemeinschaft der Kalasantiner bei und begann, Theologie zu studieren. Im April 1989 wurde er zum Priester geweiht. Auf Anregung von Herbert Madinger begann er 1987, sich mit Fragen der Esoterik auseinanderzusetzen. Nach ausgiebiger Befassung mit diesem Themenkreis begann P. Pilar 1992 im Vorträge innerhalb der Gemeinschaft über das Thema zu halten. Mittlerweile ist er ein gefragter Referent zu dem Fragenkomplex. Sein Buch "Esoterik und christlicher Glaube" ist soeben im Eigenverlag erschienen.

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