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Ein sinnleeres Schlagwort!

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Ich weiß nicht, was Linkskatholizismus ist. Aber ich weiß immerhin, daß sich verschiedene Leute verschiedene Dinge darunter vorstellen. Also gibt es ihn wahrscheinlich gar nicht. Was es allerdings gibt, das sind einzelne Personen oder kleinere Zirkel, die von andern durch die Adresse „Linkskatholiken“ denunziert oder — was auch gar nicht so selten vorkommt — belobigt werden sollen.

Die Begriffspaarung von Links und Katholizismus hat ein nicht ausgeschriebenes „Obwohl“ dazwischen. Man steht, denkt usw. links, obwohl man zu den katholisch Praktizierenden gehört. Für jene, die sich links — was heißt schon links? — auf dem einzig rechten Platz dünken, ist der Linkskatholik offensichtlich ein Mensch, dem endlich ein Licht aufgegangen ist, um ihm in die ideologische Nähe der wahrhaft Linken zu leuchten. Der rechte Katholik, der einen Glaubensbruder beziehungsweise dessen Ansichten als links qualifiziert, will damit eine Anklage formulieren, weil ein Katholik eigentlich nur rechts stehen, denken usw. dürfte. Beide Seiten bestimmen also in Abwandlung einer den Wienern wohlvertrauten Devise selbst, wer und was linkskatholisch ist. Einzelne titulieren sich allerdings in eigener Regie als Linkskatholiken, vielleicht auch nur aus oder der „Publicity“ willen. Das sei ihnen zugute gehalten.

In der konkreten österreichischen Situation reicht für einen praktizierenden Katholiken die Zugehörigkeit zur SPÖ bei weitem nicht aus, um die Beförderung zum Linkskatholiken zu erreichen. Das könnte unter Umständen sogar hinderlich sein! Der als existent vermuteten Spezies „Linkskatholik“ stehen kompliziertere Eigenschaften zu, nach Möglichkeit kombiniert mit einem Näheverhältnis zur „rechten* ÖVP, am besten natürlich mit Sympathien für die christliche Arbeiterbewegung. Ein akademischer Titel erhöht ebenfalls die Chance, zum Linkskatholiken wider Willen zu werden. Zu den auf dem Weg vom einfachen Katholiken zum linken Katholiken förderlichen Eigenschaften gehören unter anderen eine gewisse Abneigung gegen den Atomkrieg (ist nicht gleich mit vorweggenommener Kapitulation), imputierte Ostanfälligkeit sowie eine kritische Einstellung gegenüber verschiedenen Erscheinungen in Kirche und Gesellschaft. Linkskatholik könnte also bei den sogenannten Rechten ein Synonym für trojanisches Pferd oder — noch eher, wenn auch nicht gerade schmeichelhafter — für Trottel sein, der sich als trojanisches Pferd von Links Außen leiten läßt. Links und Rechts in Verbindung mit Katholizismus haben meinem Gefühl nach gar nichts zu tun mit Renten, Suven-tionen, Verstaatlichung, Habsburg oder anderen schönen Dingen, um die sich unsere innenpolitische Diskussion sonst im Kreis dreht. Aber ganz genau, wie es jene, die den Linkskatholizismus im Mund führen, mit ihm meinen und halten, weiß ich wirklich nicht. Und dies trotz der zu diesem Thema nicht erst heute zum erstenmal angestellten Überlegungen. Vielleicht bin ich selber ein Linkskatholik, ohne bisher daraufgekommen zu sein — welch ein Alpdruck!

Auf keinen Fall möchte ich aber die Masse der Katholiken, die dem „Aggiornamento“ ihrer Kirche Nachdruck verleihen wollen, als Linkskatholiken einordnen. Damit wäre diesem gleichzeitig nebulosen und schillernden, monströsen und schwindsüchtigen Wortspiel zu viel Ehre erwiesen.

Der Begriff „Linkskatholizismus“ ^st, zumindest meiner Meinung nach, nichtssagend, weil willkürlich und daher letztlich unnütz. Er ist jedoch als Vehikel für Denunziationen oder auch für bewußt provokative Belobigungen zu handlich, um bald in die Vergessenheit abzugleiten. Da nun zuweilen auch Mitglieder der höheren und höchsten kirchlichen Hierarchie dem linkskatholischen Lager zugerechnet werden, sollte es um so weniger niedriger rangierende Glieder der Kirche betrüben, wenn sie in die Gemeinde der von mir Undefinierbaren eingereiht werden.

Dr. Romuald Riedl, Kammer für Arb. u. Angest., Wien

Katholizismus, so hat einmal ein kluger Mann gesagt, ist die Ideologie der Katholizisten. Und wenn es schon Katholizisten gibt, dann mag es auch Links- oder Rechtskatholi-zisten geben. Haben wir uns mit denen zu befassen? Ich glaube kaum. Natürlich kann jeder Katholik sich in seinem politischen Verhalten gewiesen Richtungen anschließen. Er kann, immer politisch gesehen, konservativ oder progressistisch sein. Er kann also, um bei diesem Terminus zu bleiben, politisch links oder rechts stehen. Das ist sein gutes Recht, das ihm zumal in Österreich schon seit langem niemand mehr streitig macht. Er handelt dann als Staatsbürger mit vollem demokratischem Entscheidungsrecht.

Bedenklich wird es immer dann, wenn man aus einer persönlichen Entscheidung ein System zu machen versucht. Eine solche Systemisie-rung sollte eigentlich dem Österreicher weniger liegen. Der Begriff des Linkskatholizismus kommt daher im wesentlichen auch aus Deutschland. Dort gibt es als gesellschaftliche Erscheinung eine Linke, die in dieser Art in Österreich überhaupt nicht existiert. Die besonderen Bedingungen in Deutschland, die Stellung, die dort die katholische Kirche in der Öffentlichkeit, im Staat und zu den politischen Parteien einnimmt, lassen dprt auch das Phänomen eines sogenannten Linkskatholizismus als Reaktion in manchem begreiflich erscheinen.

Bei uns in Österreich ist die Stellung der Kirche eine wesentlich andere. Der Ausdruck Linkskatholi-zismus oder Linkskatholik wird in Österreich meistens in diffamierender Form verwendet. Den Linkskatholiken gibt es nicht, wie es in Österreich ja kaum Menschen gibt, bis auf ganz wenige Ausnahmen — weniger als Finger auf einer Hand —, die sich selbst als Linkskatholiken bezeichnen. Linkskatholik ist man in Österreich immer nur für jemanden, der sich dadurch von dem, den er so bezeichnet, distanzieren will. Man wird keine fünf Menschen in Österreich treffen, die eine einheitliche Definition des Linkskatholizismus geben können. Aber auch keine fünf, die damit einen einheitlichen Personenkreis umschreiben können. Der eine mag für den einen „links“ sein, für den anderen ist er „rechts“. Es kommt immer auf den eigenen Standpunkt an. Oder wollen wir annehmen, daß alles das links ist, das für eine offene Kirche, für eine Kirche des Dialogs, für eine parteifreie Kirche, für eine sozial aufgeschlossene Kirche eintritt? Dann mag es auch sein, daß für solche Leute nicht nur die „Furche“ links ist, sondern auch der Bischof, die Mehrheit des Konzils, der Papst.

Etwas anderes ist es, wenn man versuchen würde, den Begriff des Linkskatholizismus auf die Weltkirche, auf die Theologie anzuwenden. Würde das bedeuten, daß die ganze moderne Theologie, die versucht, alte Positionen neu zu überdenken, die moderne Welt in den Glauben einzubauen, die wissenschaftliche Forschung zur Kenntnis zu nehmen, die mit einem Wort versucht, den Menschen der Gegenwart den Glauben in der Sprache der Gegenwart zu vermitteln, würde das heißen, daß diese Theologie links steht, weil sie fortschrittlich ist? Sind Congar, Lubac, Rahner Linke, war Teilhard de Chardin ein Linkskatholik? Und ist Ottaviani, weil er aus sehr guten Gründen und sehr notwendigerweise auf dem Konzil andere Positionen einnahm, ein Rechtskatholik?

Die Kirche ist heute in Bewegung in der ganzen Welt, sogar in Österreich spüren wir etwas davon. Heißt das, daß die Kirche links steht, wenn sie vorwärts schreitet?

Das wäre doch eine Interpretation des „Linkskatholizismus“, die gerade jenen zu denken geben müßte, die mit diesem Wort so freigebig umgehen. Und wie interpretieren sie sich selbst, für die andere links sind? Die Definition des Linkskatholizismus hängt von der Interpretation seiner Gegenposition, des Rechtskatholizismus, ab, denn, wenn links gesagt wird, muß man fragen: links von wo? Doch links von rechts. Was versteht man aber unter Rechtskatholizismus a) im allgemeinen, b) in der konkreten österreichischen Situation?

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